Für Karl Marx ist das „Gesetz“ des „tendenziellen Falls der Profitrate“ (3. Band – Das Kapital) eine Grundlage für die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus. Diese These gilt ebenfalls als Grundlage für die Erkenntnis, dass lohnabhängig Beschäftigte immer größerer Konkurrenz bei immer schlechteren Bedingungen ausgesetzt sind. Aufgrund von Eigenschaften der kapitalistischen Wirtschaft besteht also laut Marx eine Tendenz zur Verringerung der Profitrate im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt.
In der kapitalistischen Gesellschaft treten sich Lohnarbeiter und Kapitalist als Warenbesitzer gegenüber. Der Kapitalist besitzt die Produktionsmittel und kauft mit Geld (G) die Arbeitskraft der Lohnarbeiter. Dieser Warenaustausch (W=Ware) wird in folgender Formel zum Ausdruck gebracht: G – W – G‘. Der Profit des Unternehmers errechnet sich, laut Marx, aus dem Mehrwert. Lohnarbeiter verkaufen ihre Arbeitskraft, zu ihrem Wert an die Kapitalisten. Für den Unternehmer lohnt sich dieses Geschäft nur, wenn die Lohnarbeiter länger arbeiten, mehr Produkte herstellen, als zu ihrer eigenen Selbsterhaltung notwendig ist. Die geleistete unbezahlte Mehrarbeit, das Mehrprodukt, ist eine Gratisleistung an die Kapitalisten, dies ist laut Marx der Mehrwert. Mehrwert ist also das Ergebnis der unbezahlten Mehrarbeit. Marx erläutert, dass man den Arbeitstag in zwei Bestandteile zerlegen kann. Ein Teil umfasst die Zeit, während der der Arbeiter den Wert seiner eigenen Arbeitskraft reproduziert (notwendige Arbeit), der Rest des Arbeitstages – die darüber hinaus gehende Zeit ist die überschüssige Arbeit oder der Mehrarbeit. Das Verhältnis der Mehrarbeit zu notwendigen Arbeit wird in der sogenannten Mehrwertrate ausgedrückt. Mehrwertrate = Mehrarbeit / notwendige Arbeit. Wenn beispielsweise ein achtstündiger Arbeitstag in vier Stunden notwendige und weitere vier Stunden Mehrarbeit aufgeteilt wird, dann beträgt die Mehrwertrate 4/4 bzw. 100 Prozent. Beträgt die Mehrwertrate 3/5 Stunden, entspricht dies 60 %. Ein Arbeiter beispielsweise lötet Platinen. Jeden Tag acht Stück, in jeder Stunde eine Platine. Er verdient monatlich EUR 2200, kostet den Unternehmer mit Steuer und Versicherung. EUR 33 pro Stunde. Dazu kommt der Materialwert von ca. EUR 33 pro Stück. Verkauft werden die Platinen für EUR 68 pro Stück. Schon nach der Produktion der zweiten Platine ist die „notwendige Arbeit“ getan und der Arbeiter produziert den restlichen Tag Mehrwert für den Unternehmer. Produktion des relativen Mehrwerts bezeichnet die Verringerung der notwendigen Arbeit durch die Verbesserung der Produktionsmethoden. Es verringert sich die zur Produktion notwendige Arbeitszeit, die in den Wert der Arbeitskraft eingehenden Waren können in kürzerer Zeit hergestellt werden, obwohl die absolute Länge des Arbeitstages gleich bleibt. Mit der Produktion des relativen Mehrwerts verringert sich nicht nur der Anteil der notwendigen Arbeit, sondern auch die Anzahl der zur Herstellung einer Ware notwendigen Arbeiter.
Die Profitrate errechnet sich aus dem Verhältnis des Mehrwerts zum gesamten Kapital, das im Produktionsprozess zum Einsatz kommt. Das Gesamtkapital andererseits zerfällt in zwei Bestandteile: das konstante Kapital, das heißt die Produktionsmittel (Rohstoffe und Maschinen) und jenes Kapital, das zum Erwerb der Arbeitskraft ausgelegt wird. Die Profitrate ergibt sich also aus dem Verhältnis des Mehrwerts zu dem im Produktionsprozess eingesetzten Gesamtkapital. Stellen die Arbeiter eines Unternehmers im Vergleich zu den Arbeitern eines anderen Unternehmers überdurchschnittlich viel Mehrwert, erhält der Unternehmer einen Extraprofit. Es besteht deshalb ein unvermeidlicher Anreiz, wenn auch unter Beachtung der zusätzlichen Kosten, mehr in Maschinen zu investieren als in den Kauf von Arbeitskraft, wenn dies die Produktivität der Arbeiter so ausreichend erhöht, dass der Mehraufwand für zusätzliche oder bessere Maschinen wieder hereingeholt wird. Wenn dann aber so mit dem technischen Fortschritt, mit der Automatisierung usw. immer mehr Lohnarbeit, die doch allein Mehrwert schaffen kann, durch immer mehr Maschinerie (konstantes Kapital) ersetzt wird, wird damit auch das allein ausbeutbare, also allein Profite schaffende Element relativ immer kleiner. Also sinkt langfristig die Profitrate als Verhältnis der Profite zum für den Kauf von Maschinerie usw. eingesetzten Kapital. Die Profitrate ist also Mehrwert durch (konstantes Kapital + variables Kapital). Durch die Konkurrenzsituation wird dem Unternehmer ein ständiges Produzieren und eine ständige Verbesserung der Produktionsmethoden aufgezwungen. Bei der einfachen Produktion widerholt sich der Produktionsprozess auf gleichem Niveau, das vorgeschossene Kapital bleibt gleich hoch und wird in der selben Größe immer wieder in die Produktion gesteckt. Bei der erweiterten Produktion wird der erwirtschaftete Mehrwert zusätzlich in die Produktion gesteckt, Marx spricht von der Akkumulation des Kapitals. Die Akkumulation des Kapitals bedeutet, dass die vorgeschossene Kapitalsumme um den Mehrwert (den Teil des Mehrwerts der vom Unternehmer nicht individuell konsumiert wird), vergrößert wird und somit auf höherer Stufenleiter produziert wird.
Der tendenzielle Fall der Profitrate ergibt sich also daraus, dass mit steigender Arbeitsproduktivität der Anteil des konstanten Kapitals am Produktionsprozess wächst. Abgetrieben durch den Wettbewerb des Marktes ist das Unternehmen gezwungen auf „höherer Stufenleiter“ zu produzieren. Es kommt also zu einer Veränderung des organischen Kapitals. Wird also die Produktivität durch technische Verbesserungen erhöht, so entfallen auf einen Arbeiter wertmäßig mehr Produktionsmittel als vorher. In hochtechnisierten Bereichen ist der Anteil von c hoch, der von v niedrig. Das konstante Kapital nimmt zu, das variable Kapital wird tendenziell weniger. Höherer Technikeinsatz, Rationalisierung usw. führen zu einer Abnahme des Mehrwertes, da menschliche Arbeitskraft eingespart wird. Laut Marx bezieht der Unternehmer seinen Profit ausschließlich durch den Mehrwert. Da dieser Mehrwert zurückgeht, sinkt ebenso tendenziell die Profitrate. Michel Heinrich schreibt: „Die Produktivkraftsteigerung mittels Maschinerie hat zur Folge, dass sowohl die Mehrwertrate m/v als auch die Wertzusammensetzung des Kapitals c/v zunehmen. Die quantitative Entwicklung dieser beiden Größen ist entscheidend für die Bewegung der Profitrate. Dividiert man in der Profitratenformel Zähler und Nenner durch v, dann erhalten wir für die Profitrate den Ausdruck: m/(c+v) = (m/v) / (c/v + v/v) = (m/v) / (c/v +1). Hier werden Mehrwertrate und Wertzusammensetzung als Determinanten der Profitrate sichtbar. Marx stützt seine Begründung für den tendenziellen Fall der Profitrate auf das steigen von c/v. Würde m/v unverändert bleiben, dann würde das steigen von c/v automatisch zu einem sinken der Profitrate führen (der Zähler unseres Bruches bliebe konstant, der Nenner wächst, damit vermindert sich der Wert des Bruches)“ Im 13. Kapitel eines 3. Bandes des Kapitals schreibt Marx: Bei gegebenem Arbeitslohn und Arbeitstag stellt ein variables Kapital, z.B. von 100, eine bestimmte Anzahl in Bewegung gesetzter Arbeiter vor; es ist der Index dieser Anzahl. Z.B. 100 Pfd.St. sei der Arbeitslohn für 100 Arbeiter, sage für eine Woche. Verrichten diese 100 Arbeiter ebenso viel notwendige Arbeit wie Mehrarbeit, arbeiten sie also täglich ebenso viel Zeit für sich selbst, d.h. für die Reproduktion ihres Arbeitslohns, wie für den Kapitalisten, d.h. für die Produktion von Mehrwert, so wäre ihr Gesamtwertprodukt = 200 Pfd.St. und der von ihnen erzeugte Mehrwert betrüge 100 Pfd.St. Die Rate des Mehrwerts m/v wäre = 100%. Diese Rate des Mehrwerts würde sich jedoch, wie wir gesehen, in sehr verschiedenen Profitraten ausdrücken, je nach dem verschiedenen Umfang des konstanten Kapitals c und damit des Gesamtkapitals C, da die Profitrate = m/C. Ist die Mehrwertsrate 100%: Wenn c = 50, v = 100, so ist p´ = 100/150 = 662/3%. - Wenn c = 100, v = 100, so ist p´ = 100/200 = 50%. – W enn c = 200, v = 100, so ist p´ = 100/300 = 331/3%. - Wenn c = 300, v = 100, so ist p´ = 100/400 = 25%. - Wenn c = 400, v = 100, so ist p´ = 100/500 = 20%. Marx räumte ein, dass die Wertzusammensetzung des Kapitals schwächer wächst als die technische Zusammensetzung, da im Zuge des technischen Fortschritts Waren in kürzerer Arbeitszeit hergestellt werden können, so dass gemäß Arbeitswertlehre der Wert der Waren sinkt, auch der Waren, die das konstante Kapital bilden. Darüber hinaus räumt Marx ein, dass „abstrakt betrachtet“ der Anstieg der technischen Zusammensetzung durch die Wertminderung des konstanten Kapitals gerade ausgeglichen werden kann. Deshalb spricht er sinnvollerweise von dem tendenziellen Fall der Profitrate. Der tendenzielle Fall der Profitrate ist die Triebkraft hinter jeder Entwicklung neuer Technologien und der Revolutionierung der Produktivkräfte, die Marx als Charakteristikum der kapitalistischen Produktionsweise bezeichnete. Natürlich sprechen auch einige Umstände gegen das Gesetz über den tendenziellen Fall der Profitrate. Wenn beispielsweise weniger Arbeiter bezahlt werden müssen, fallen auch die Lohnkosten. Bei gleich bleibendem Wert der Arbeitskraft würde sich das variable Kapital um den entsprechenden Anteil vermindern. Ob die Profitrate fällt hängt auch davon ab, was schneller fällt, die Mehrwertmasse oder das vorgeschossene Kapital. Gesamtwirtschaftlich besteht ein Zielkonflikt. Die Arbeitsproduktivität wird am stärksten dadurch gesteigert, dass ein immer größerer Teil des verfügbaren Kapitals in Form von konstantem Kapital c, ein immer geringerer Teil in Form von variablem Kapital v investiert wird. Dies bedeutet aber, dass immer weniger zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.
Der Nachkriegsboom wurde durch die Ausdehnung des Kapitals erzeugt. Der tendenzielle Fall der Profitrate wurde Ende der sechziger Jahre erkennbar und schlug sich 1974/75 in einer der tiefsten Rezessionen nieder. Das Kapital reagierte mit einer Offensive gegen den Lebensstandard, mit der Reorganisation der Produktion und der Flucht ins Finanzkapital, auf die fallenden Profitraten. Die fallenden Profitraten sind eine Ursache für die aktuelle Überproduktionskrise. Um denselben Profit zu erzielen, mussten eine immer größere Menge von Autos produziert werden. Einerseits wurde das Problem durch Kreditfinanzierung und Leasing in der Produktion und später im Konsum hinausgeschoben. Die panikartigen staatlichen Rettungsmaßnahmen bezogen sich daher neben den Banken vor allem auf die Autokonzerne, die ähnlich den Banken als „systemrelevant“ gelten. Aber das Problem dieser Überproduktionskrise wird so nicht beseitigt. Einige Autokonzerne werden in der nächsten Zeit die Tore schließen. Die fallenden Profite in der Autoindustrie werden fallende Kaufkraft zur Folge haben. Die Überakkumulationskrise wirkt seit ungefähr 35 Jahren. Hintergrund war eben das Auslaufen des Nachkriegsbooms. Mit dem Rationalisierungsschub der aufkommenden Mikroelektronik war es jedoch mit dem realwirtschaftlichen Aufschwung vorbei. Die Menge der Waren explodierte, die der benötigten Arbeit implodierte. Die fallende Profitrate, die Realwirtschaft hatte keine rentable Anlagemöglichkeit mehr, trieb das Kapital in die Spekulation, in fiktives Kapital. Mit Erfolg, die Krise wurde aufgeschoben.
Quellen: Karl Marx – Das Kapital – Band 1 und Band 3
Alfred Müller - Die Marxsche Konjunkturtheorie: Eine überakkumulationstheoretische Interpretation
Michael Heinrich - Kritik der politischen Ökonomie
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