Von Stefan Sasse
Der Schuldenstreit in den USA ist beendet. Sieger nach Punkten ist die Tea-Party-Bewegung. Siege nach Punkten sind aber nie so schön wie k.o.-Siege, und deswegen macht der Kompromiss erwartungsgemäß niemanden sonderlich glücklich. Die Tea-Party nicht, weil die Einsparungen sowohl das Militär betreffen als auch nicht in der (absurden) Höhe sind, die vorgeschlagen wurde und die Anhebung über das Jahr 2012 hinaus reicht. Die restlichen Republikaner nicht, weil sie ein weiteres Mal nach rechts gedrängt wurden und, sollten sie die Wahl 2012 tatsächlich gewinnen, vor unlösbaren Problemen mit einer gigantischen Erwartungshaltung stehen, die sie genauso enttäuschen werden müssen wie Obama seine change-Gläubigen. Die Demokraten, weil ihre Klientel herbe Einschnitte verkraften muss, anstatt den versprochenen change zu bekommen und für Klarsehende (die sich in ihrem Klientel am ehesten finden) der Kompromiss die nächste Wirtschaftskrise bereits präjudiziert. Und für Obama, weil der Kompromiss ihn zu einer lame duck gemacht hat. Jeder konnte sehen, dass eine Kongress-Blockade ihn selbst die größten Kröten schlucken lässt - eine denkbar schlechte Voraussetzung für den Start ins Wahljahr, in dem er immerhin seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen sollte. Und das ist etwas, das die Republikaner kaum zulassen werden.
Die Frage ist, ob Obama eine realistische Alternative hätte. Wäre es vernünftig gewesen, wie bereits 1995 den Shutdown zu riskieren? Auf das viel zitierte "Vertrauen der Finanzmärkte" oder die Ratingagenturen sei dabei, grob gesagt, geschissen. Auf diesen Akteuren, die von Rechts wegen vollkommen diskreditiert sein sollten, lag in den letzten Wochen ohnehin viel zu viel Aufmerksamkeit, und oft schien es als ob die einzige Konsequenz der Krise die Gefahr für das AAA-Rating sein könnte, das an und für sich relativ bedeutungslos ist - es gibt keine reale Alternative zum Dollar. Die Unterschiede zu 1995 sind jedoch größer, als es zuerst den Anschein hat. Clinton war damals derjenige, der nach außen hin eine harte Sparpolitik vertrat (während er, clevererweise, stets verkündete die Mittelschicht zu stärken und sich damit mit den amerikanischen Werten verknüpfte). Als Newt Gingrich ihm den Hahn abdrehte, profitierten davon 1996 die Demokraten; Clinton wurde wiedergewählt. Obama aber steht in der Debatte für Steuererhöhungen. Sicher, diese betreffen nur Spitzeneinkommen von mehreren hunderttausend Dollar, aber in der irrationalen Steuerdebatte, die in den Staaten derzeit wütet, kommt man mit solchen Argumenten genausowenig durch wie mit dem, dass es technisch nicht einmal eine Steuererhöhung wäre, sondern nur die Streichung von Vergünstigungen, die Bush den Reichen gegeben hat.
Hätte Obama also den Kompromiss platzen lassen, wäre er als der Präsident dagestanden, der die Steuern erhöhen will und dafür bereit ist, Veteranen und Rentnern ihre Schecks vorzuenthalten. Die Situation ist aber noch schlimmer: wenn es tatsächlich zur Wirtschaftskrise kommt - und das ist nicht unwahrscheinlich - kann die Tea Party einfach behaupten, dass es daran liegt, dass zuwenig gespart wurde, während Obama praktisch keine Chance hat, die Schuld an die Rechtsaußen zurückzugeben. Auf dem wahlentscheidenden Feld der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik haben die Republikaner damit die Deutungshoheit errungen und Obama gedemütigt. Zum ersten Mal seit 2009 haben sie damit bessere Chancen, 2012 tatsächlich ins Weiße Haus einzuziehen. Obama hat eigentlich nur zwei Möglichkeiten, sich aus der aktuellen Falle zu befreien: er kann entweder versuchen, eine Aufklärungs- und Werbekampagne zu initiieren und damit die Stoßrichtung der Debatte wieder zu drehen, was eine geradezu herkuleische Aufgabe ist. Oder er kann hoffen, dass bis November 2012 ein neues Thema die Agenda beherrscht, mit dem er bei den Wählern punkten kann. Ansonsten bleibt ihm wenig als darauf zu hoffen, dass die Tea Party weiterhin ihre eigene Partei demontiert und moderate Republikaner von den Urnen fernhält, während die moderaten Demokraten ob der Alternative scharenweise ihr Kreuz bei Obama machen.