Der schöne Schein oder Warum ich Feiertage hasse

Es gibt Menschen, die an Feiertagen gerne mit ihrer Familie zusammenkommen. Essen, Spiele spielen, vielleicht noch einen Spaziergang…ich gehöre nicht dazu.

Während ich die Zeit vor größeren Feiertagen wie Ostern und Weihnachten wirklich genieße (z.B. die Weihnachtsmärkte, Lichter, Dekoration), graust es mir regelmäßig vor dem Tag X.

Ich habe keinen Kontakt zu meiner Familie mütterlicherseits und habe den Großteil von ihnen auch nie kennengelernt. Die andere Hälfte lebt in Italien. Wenn ich also nicht irgendwo eingeladen werde oder verreise, bestehen Familienfeierlichkeiten hauptsächlich aus meiner Mutter, ihrem Lebensgefährten, meinem Vater und mir. An sich würde mich das nicht stören, wenn da nicht diese aufgesetzte Fröhlichkeit wäre.

An Feiertagen ignorieren wir großzügig, dass der Freund meiner Mutter sich die meiste Zeit wie ein Pascha aufführt und überall etwas auszusetzen hat. Neben mehreren Schlaganfällen und einem Herzinfarkt leidet der Mann an Diabetes und muss alle paar Tage in die Dialyse. Er ist an den Rollstuhl gefesselt und nicht länger in der Lage für sich selbst zu sorgen. Für die Erteilung von Befehlen und exzessiven Alkohol- und Nikotinkonsum reicht seine Kraft jedoch weiterhin aus. Er finanziert den Großteil unserer wöchentlichen Lebensmitteleinkäufe, was aus meiner Sicht der einzige Grund ist, aus dem meine Mutter ihn hier überhaupt noch duldet (ohne seinen finanziellen Zuschuss geht uns nämlich spätestens Mitte des Monats das Geld aus). Was auch immer die beiden mittlerweile haben, eine Beziehung würde ich es auf jeden Fall nicht nennen. Zweckgemeinschaft scheint mir der passendere Ausdruck zu sein. Während der Feiertage kann man sich vor lauter “Schatzi” und “Mausi” allerdings kaum retten.

Komplett ignoriert wird außerdem, dass meine Mutter gerne mal zu tief ins Weinglas schaut. Der einzige Unterschied zu einem normalen Tag ist, dass sie die Flasche nicht hinter der Couch versteckt und sich ganz offen noch ein Gläschen gönnt. “Es ist ja schließlich [hier beliebigen religiösen Feiertag einsetzen].”

Mein Vater versucht dagegen nach außen den Schein eines fröhlichen Beisammenseins zu wahren, in der Regel durch den großzügigen Ausschank hochprozentiger Spirituosen. Den Gesichtsausdruck nach dem Genuss eines “Verdauungsschnaps” (oder vier oder fünf), habe ich liebevoll “Sambuca-Lächeln” getauft.

Und ich? Ich trinke keinen Alkohol und möchte mir die Situation auch nicht “schön saufen”. Ich zähle die Stunden, bis wieder der vertraute Wahnsinn einkehrt und stelle mir vor wie es wäre, wenn ich mich weigern würde an den Festlichkeiten teilzunehmen. Die Reaktion meiner Eltern, kann ich mir schon sehr gut vorstellen: Meine Mutter würde wahrscheinlich mit ihrem Standard “Mach doch, was du willst!” reagieren, gefolgt von einem “Leck mich doch am Arsch!” und einer Zusammenfassung von allen Dingen, die sie an mir stören und Vorwürfen zu Entscheidungen und Handlungen, die 10+ Jahre zurückliegen.

Mein Vater würde meine Entscheidung voraussichtlich zunächst akzeptieren, mir jedoch spätestens am Tag vor Tag X zu verstehen geben, dass er mich notfalls gefesselt und geknebelt an den Tisch setzt und ich mich gefälligst zusammenreißen soll.

Und an Tag X würden wir dann alle wieder in unseren besten Kleidern und mit unserem breitesten Lächeln im Restaurant sitzen und so tun, als wäre alles in bester Ordnung.


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