Hallo liebe Freundinnen und Freunde der Regenbogenkombüse!
Das Jahr 2014 begann hier im Odenwald mit einem Paukenschlag. Denn just am Neujahrstag erschien im Feuilleton der FAZ ein Artikel, der seitdem nicht nur zwischen Birkenau und Rimbach, sondern im gesamten Odenwald bis hinunter zur Bergstraße einen Tsunami der Empörung auslöste. Was konnte den eigentlich eher mit beiden Füßen auf der heimischen Scholle stehenden Odenwälder derart aus der Fassung bringen?
Willkommen in der “Odenwaldhölle”
Antonia Baum, Redakteurin im Feuilleton der FAZ und ihres Zeichen ehemalige Odenwälderin (wenn auch eine “Zugezogene”…) hat unter dem Titel “Dieses Stück Germany” heftigst und kompromisslos über den Odenwald abgelästert. Der mit Sicherheit schon ab Zeile 4 erstaunte Leser konnte in ihrem Artikel vernehmen, dass es sich bei diesem Stück im Allgemeinen eher als südhessiche Idylle gehandelten Landstriches um ein “verkleistertes und kopflos verbautes Nachkriegs-, Nachwende- und Attrappendeutschland” handelt, das “an Hässlichkeit und Traurigkeit eigentlich nicht zu überbieten ist”. Harter Tobak also schon in den ersten drei Abschnitten. Obwohl Frau Baum (nomen scheint hier allerdings nicht unbedingt omen zu sein….) einräumt, dass der Odenwald “an sich schön” ist.
Nicht schön genug jedoch, um die anscheinend verzweifelten Odenwald-Jugendlichen, zu denen sich Frau Baum in ihren prägenden Jahren ebenfalls zählte, zu rechtschaffenen und sozial verantwortlichen Mitmenschen erwachsen zu lassen. Ganz im Gegenteil. Wer, nach Frau Baum, als Jugendlicher im Odenwald aufwuchs, dem blieb das harte Schicksal nicht erspart, schon früh auf die schiefe Bahn zu geraten. Zitat der Autorin: “Ich kenne einige ehemals junge Menschen, denen der Kopf vom Odenwaldinhalt derart verwüstet wurde, dass sie ihn vollends verwüsten mussten, indem sie so viele Drogen nahmen, dass er, der Kopf, leer und zu nichts mehr zu gebrauchen war.”
Wenn der Zweck höllisch die Mittel heiligt
Da Frau Baum einst zu denen zählte, die in der “Odenwaldhölle” “kaputt im Kopf” gemacht wurden und die, nach ihren Angaben, zwangsläufig gar nicht anders konnte als zu kiffen und zu klauen, frage ich mich, ob das mit dem “kaputten Kopf” immer noch anhält. Oder wie lässt sich erklären, dass Frau Baum einen in vielen Passagen derart hirnlos anmutenden Artikel verfassen konnte? Dauert Fraum Baums letzter verzweifelter Odenwaldkiff jetzt etwa schon über Jahre an?
Ich denke nicht. Ich kenne die Autorin zwar nicht persönlich und ich möchte ihr auch nichts unterstellen. Doch mir drängt sich der Eindruck auf, dass sie sich hier eines der beliebtesten Stilmittels unserer Zeit bedient: Sie polarisiert. Hart an der Schmerzgrenze, aufreizend und vor allem laut. Ihr Konzept ist damit jedoch aufgegangen. Durch die “Odenwaldhölle” ist sowohl Frau Baum als Autorin, aber auch der Odenwald plötzlich in aller Munde.
Viele lieben plötzlich die Odenwaldhölle
Wütende Lokalpatrioten, so sagt man wenigstens, laufen auf dem Landratsamt in Heppenheim und in den örtlichen Rathäusern Sturm. Matthias Wilkes, der Landrat des Kreises Bergstraße, fürchtet, dass die örtliche Odenwälder Wirtschaft höllischen Schaden genommen hat und verlangt von der FAZ-Redaktion eine Richtigstellung.
Ganz so “kaputt im Kopf”, wie es Frau Baum in ihrem Artikel darstellt, kann der Odenwälder an sich jedoch nicht sein: Auf dem Gelände der in Erbach ansässigen Firma Koziol (die poppig-bunten Design-Kunststoff-Glücksbringer) prangt ein riesiges Plakat mit der Aufschrift “Ich liebe die Odenwaldhölle”. Landrat Matthias Wilkes initierte einen Apfel-Aufkleber, der momentan die Hecks vieler Autos nicht nur mit dem Kennzeichen HP verziert. “Ich bin ein Odenwälder”, dazu kann man sich jetzt offen bekennen und mit dem Kauf des rot-frechen Aufklebers noch einem guten Zweck dienen: Der Erlös der Aktion kommt der seit der Geburt körperlich behinderten Tochter von Jeanette Kolb, der Ersten Odenwälder Apfelprinzessin aus Grassellenbach zugute. Die Musiker Matthias Dörsam, Manuel “Mino” Ortiz-Perez, Clemens Bittinger und Akina Ingold haben mit dem “Laukas-Project” ein Lied zur “Odenwaldhölle” geschrieben und produziert. Bei Youtube kann man sich davon hier ein Lautbild machen. Reinhören lohnt sich!
Wo bin ich ganz persönlich? Im Himmel oder in der Hölle?
Bei dem derzeitigen lokalen lauten Gerummel um den Odenwald stellt sich natürlich auch mir die Frage, wie ich persönlich zu dieser Mittelgebirgslandschaft stehe. Bedeutet er für mich ein Stück vom Himmel oder eher doch die Hölle? Schließlich habe ich mit der Autorin Antonia Baum einiges gemeinsam: Auch ich stamme ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen und bin eher zufällig in den Odenwald versetzt worden. Was unsere Erfahrungen unterscheidet ist, dass ich als Erwachsene sozusagen in den “besten mittleren Jahren” mit dem Odenwald Bekanntschaft machen durfte. Das verändert die Perspektive. Mich verleitet die Ruhe und das wenig aufregende Leben in einem kleinen Dorf im Odenwald nicht zum verzweifelten Kiffen und Saufen, weil ich mir mein Leben immer genau so gewünscht habe. Obwohl ich zugegebenermaßen einem guten Tropfen Rotwein nicht abgeneigt bin…. Ich will nicht in die nächst größere Stadt fliehen, weil das Landleben für mich genau richtig ist. Mich martert nicht die Langeweile, sondern eher die Erkenntnis, dass ich all die Wanderwege, die sich kreuz und quer durch den Odenwald ziehen, zumindest in diesem Leben nicht mehr alle werde ablaufen können. Ich mag die grünen Hügel, die Streuobstwiesen, die klare Luft, das Gelb der Löwenzahnwiesen im Frühling, die blühenden Apfelbäume, das Muhen der Kühe und Krähen der Hähne, die Nebelschwaden im Herbst und das Schneeschippen im Winter. Der Odenwälder an sich mag zwar kantig und mitunter auch etwas karzig sein, aber damit liegt er voll auf meiner Linie. Ich stelle an mich auch nicht den Anspruch, everybodys darling sein zu müssen.
Kurz gesagt: Ich bin zwar keine waschechte Odenwälderin, aber ich mag den Odenwald und der scheint mich zu mögen. Und ich finde in ihm, zum Beispiel beim sonntäglichen Spaziergang im idyllischen Ellenbacher Tal, ein Stück vom Himmelreich. Schaut und bildet Euch selbst Eure Meinung:
“Und wenn du dich selbst nicht erträgst, dann gilt auf alle Fälle: Schieb es nicht auf den Odenwald, denn hier ist nicht die Hölle.” (Refrain aus dem Lied zur “Odenwaldhölle”)
Heike Kügler-Anger