Der Nachbarjunge

Der Fall war eigentlich recht unspektakulär. Eine Frau höheren Alters mit Schmerzen auf der Brust. Interessant war das Drumherum. Ein etwa 16jähriger junger Mann wies uns ein und zeigte uns eifrig den Eingang zum Haus.
“Ich wohne nebenan.”, erklärte er uns. “Frau Meyer hat mich gerufen, als es ihr nicht gut ging, wissen Sie?” Ich nickte, während ich die Treppen hochstieg. Ein wenig wunderte ich mich ob der Uhrzeit, es war kurz nach Mitternacht, aber gut. Vielleicht lebte Frau Meyer allein und der junge Mann war ihr Enkelersatz. “Ich habe schon mal ihre Medikamente rausgelegt.”, plapperte der Schüler weiter. “Die liegen auf dem Tisch.”
“Sehr gut, danke!”, antwortete ich. Von einem 16jährigen Nachbarjungen hätte ich eine solche Initiative nicht erwartet und war ernsthaft beeindruckt. Wir betraten die Wohnung. Eine Dame Mitte 70 wartete auf der Couch auf uns. Das Team vom RTW war schon da und legten gerade einen Zugang. Ich wechselte ein paar Worte mit der Frau. Sie erzählte kurz, dass sie schon mal einen Herzinfarkt gehabt habe, vor ein paar Monaten hatte man ihr daher Stents implantiert. Mein Blick glitt über die Medikamente auf dem Tisch. Sie waren in Reih und Glied aufgestellt. Ich fand schnell, was ich suchte, ASS und Clopidogrel. Die Dame hatte also einen drug-eluting Stent bekommen, für mindestens sechs Monate wurde sie also doppelt in ihrer Thombozytenfunktion gehemmt mit eben diesen beiden Medikamenten, die dafür sorgen sollten, dass die Stents im Herzen nicht gleich wieder zugingen. Allerdings war dies jetzt möglicherweise doch der Fall, denn Frau Meyer beklagte Schmerzen hinter dem Brustbein. Während ich auf den EKG-Ausdruck wartete, sah ich mir die übrigen Medikamente an. Da trat der Nachbarjunge wieder neben mich.
“Also, das hier sind die Medikamente!” Er zeigte nachdrücklich darauf.
“Ja, danke!”, sagte ich erneute. Ich hatte jetzt auch den Rest der Medikation erfasst. Standardmittel für Herzpatienten: Blutdrucksenker, Betablocker, CSE-Hemmer etc. Der Junge nahm die Packung mit ASS und die mit Clopidogrel in die Hand.
“Also, diese beiden hier sind zur Blutverdünnung.”, erklärte er mir.
Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Erklärte mir der junge Mann gerade tatsächlich, wofür diese Medikamente gut waren? Etwas amüsiert grinste ich und wollte gerade etwas Spöttisches sagen. Da besann ich mich eines Besseren. Irgendwie konnte ich diese Situation ja durchschauen. Der junge Mann war am Rettungswesen interessiert und wahrscheinlich in irgendeiner Schüler-Sani-Gruppe. Das erklärte, dass er wusste, dass wir nach Medikamenten fragen würden und vielleicht auch, warum die alte Frau Meyer ihn um diese nachtschlafende Zeit geweckt hatte. Er hatte seine Sache gut gemacht, er wollte jetzt ein wenig Anerkennung. Vielleicht hatte er auch gehofft, dass wir ihm ein wenig was erklären würden, da er ja augenscheinlich etwas Fachkenntnis besaß, und als das ausblieb (was nicht meinem prinzipiellen Unwillen, sondern vielmehr der späten Stunde geschuldet war), hatte er noch einmal nachgesetzt,was jetzt gehörig daneben gegangen war. Das schien ihm wahrscheinlich auch gerade aufzugehen. “Aber das wissen Sie ja sicher.”, schob er schnell nach.
“Ja, das weiß ich.”, sagte ich nur. Dann wandte ich mich wieder der Patientin zu.

Einer der Rettungsassistenten erbarmte sich schließlich seiner. Er durfte einen Koffer tragen. Das machte er dann auch ganz stolz. Und ebenso stolz schob er ganz selbstständig den Koffer in die dafür vorgesehene Stelle im RTW.
“Danke.” Ich nickte ihm freundlich zu. Ist doch schön, wenn man mit einfachen Dingen die Leute glücklich machen kann.  ;-)

 

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