Der Massenmord von Srebrenica und die Verstrickung der Niederlande

Es war der erste und schlimmste Fall von Völkermord in Europa seit dem zweiten Weltkrieg. Am 11. Juli 1995 nahmen Truppen der bosnischen Serben die UN-Schutzzone Srebrenica ein, in der sich zigtausende bosnischer Muslime aufhielten. Die Stadt wurde besetzt, teilweise geplündert, in den ersten Tagen wurden Frauen vor ihrem Abtransport grausam vergewaltigt, und dann wurden rund 8000 muslimische Männer und Jungen abtransportiert und systematisch von den bosnischen Serben hingerichtet. Dies alles unter den Augen der zum Schutz der Zivilbevölkerung in der Stadt stationierten Blauhelmsoldaten aus den Niederlanden. Dies ist nun 15 Jahre her, und in Srebrenica leben Serben und Muslime mittlerweile nebeneinander, wenn auch nicht wirklich miteinander. Zum Gedenken an den Völkermord von Srebrenica reisten vor ein paar Tagen die Staats- und Regierungschefs aus dem ehemaligen Jugoslawien an, zusammen mit Vertretern Belgiens, Frankreichs, der USA und der Niederlande. Dort jedenfalls ist Srebrenica zu einem nationalen Trauma geworden, denn Hinterbliebene der Opfer haben den niederländischen Staat angeklagt, zumindest mittelbar am Völkermord beteiligt gewesen zu sein.

Als das niederländische Bataillon die Verantwortung für die UN-Schutzzone Srebrenica übernahm, ging man davon aus, dass keine der Kriegsparteien UN-Soldaten angreifen würde. Die rund 200 Niederländer waren leicht bewaffnet und sollten die Zivilbevölkerung nur durch ihre bloße Anwesenheit schützen, wie es in anderen Kriegsfällen durchaus schon gelungen war. Im Krieg um das zerfallene Jugoslawien aber waren Regeln des Völkerrechts nichts wert. Und so nahmen die bosnisch-serbischen Truppen beim Ansturm auf die Moslemenklave Srebrenica französische Blauhelmsoldaten als Geiseln. Trotzdem forderten die Niederländer Luftunterstützung an, aber wegen schlechter Sicht konnten die viel zu spät eingetroffenen 2 Flugzeuge den Sturm der serbischen Truppen nicht verhindern. Tausende Familien suchten Zuflucht auf dem Gelände der niederländischen Soldaten, die Zustände waren grauenerregend. Dann tauchte der heute als Kriegsverbrecher gesuchte bosnisch-serbische General Ratko Mladic auf und versicherte den Flüchtlingen, ihnen werde nichts geschehen, sie würden ins muslimisch kontrollierte Gebiet abgeschoben. Trotzdem bestand er auf der Trennung von Männern und Frauen, und die Niederländer, die offenbar hofften, er werde sein Wort halten, führten die Befehle des Massenmörders aus. Oberst Thom Karremans, Befehlshaber der holländischen Truppen begriff irgendwann, was die Flüchtlinge längst wussten, dass es auf einen geplanten Massenmord hinaus lief. “Ich möchte wissen, was Sie jetzt vor haben”, sprach er Mladic an. “Ich tue, was ich will, und wer sind Sie?” antwortete Mladic. Als Karremans ihm Auskunft gegeben hatte, sagte Mladic: “Sie sind also Scheiße und ich bin Gott.” Trotz dieser heftigen Attacke des skrupellosen Massenmörders halfen die niederländischen Soldaten, Frauen und Männer zu trennen. Es gab eine Liste von 230 Männern, die für die Niederländer gearbeitet hatten oder eine andere wichtige Funktion bekleideten. Diese Männer sollten von der Truppe auch weiterhin geschützt werden, aber es geschah nichts. Der damalige Dolmetscher im niederländischen Camp, Hasan Muhanovic, erzählte später, dass Oberst Karremans ihm freistellte, wen von seiner Familie er auf die Liste setze, sich selbst, seinen Bruder oder seinen Vater. Muhanovic wählte seinen Bruder aus. Trotzdem gelang ihm die Flucht, die übrigen Mitglieder seiner Familie wurden ermordet. Von Hasan Muhanovic und anderen Überlebenden wissen wir auch, dass das Verhältnis der niederländischen Blauhelme zur von ihnen zu schützenden Zivilbevölkerung nicht gut war. Niederländer äußerten sich abfällig über die in Armut und ohne gute sanitäre Anlagen lebenden Bewohner Srebrenicas, es gab rassistisches Grafitti auf den Wänden des Komplexes. Offen trat die unterwürfige und servile Haltung Karremans gegenüber Mladic zutage, als Filmaufnahmen gezeigt wurden, auf denen die beiden Männer ein Glas Sekt tranken und sich zuprosteten, während in den Nachrichten die ersten Berichte über Massenerschießungen auftauchten. Im Lager, so erklärte einer der Soldaten später, habe es offene Sympathie für die militärisch gut organisierten und sehr selbstbewussten Serben gegeben.

Natürlich muss man sich fragen, was die Niederländer mit ihren 200 Mann gegen 20.000 gut bewaffnete, zu allem entschlossene Soldaten hätten ausrichten können. Eigentlich hatten sie die Weltgemeinschaft im Rücken, obwohl sie sich schon häufiger im Stich gelassen fühlten. Viele, auch die Hinterbliebenen und wenigen Überlebenden des Massakers von Srebrenica, glauben, dass die NATO und die UNO schneller und besser eingegriffen hätten, wenn die Niederländer gekämpft hätten. Vielleicht wäre es nie zu einer Anklage gegen die Niederlande und ihr Bataillon gekommen, aber die Soldaten von damals sind nachträglich mit einer Tapferkeits- und Ehrenmedaille ausgezeichnet worden. Und der Niederländische Staat übernimmt zwar einen Teil der Verantwortung für die Geschehnisse in Srebrenica, 2002 trat deshalb auch schon eine Regierung zurück, aber es gibt keine Entschuldigung des Landes gegenüber den Hinterbliebenen und Überlebenden. Auch bei den Gedenkfeiern haben sich die Niederlande mit Erklärungen sehr zurückgehalten. Aber es kamen Soldaten, mehr als ein Dutzend, nach Srebrenica zurück und baten um Vergebung für ihre Feigheit und Sorglosigkeit. Thom Karremans wird als ein schwacher Kommandant, als ein eilfertiger Helfer und als ein Duckmäuser gegenüber Mladic in Erinnerung bleiben. Und über die Frage von Schuld, Mitschuld oder Unschuld wird man vermutlich auch in 15 Jahren noch sprechen, sowohl in den Niederlanden, als auch in anderen Staaten, ganz sicher aber vor dem internationalen Gerichtshof in DenHaag.

 

Für Ohrfunk.de habe ich diesen Kommentar am 14. Juli 2010 veröffentlicht.


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