Man kann sich schon vorstellen, was bald in den Spalten, die die Welt nicht braucht, im Feuilleton großer Tagesgazetten, gepinselt wird. Die Republik stehe nun vor einem Linksruck, wird man da lesen müssen. Rote und Grüne eroberten Baden-Württemberg, Grüne drängten sich nach Rheinland-Pfalz und beide im Verbund hielten die Bremer Bastion mit Nachdrücklichkeit. Die Libertinage der Liberalen findet unterdessen überhaupt kein Landesparlament mehr und die Christdemokraten verlieren Prozentpunkte und Nerven, beides im zweistelligen Bereich.
Linksruck! wird es bald durch die Redaktionsräume schallen. Der gute alte Konservatismus findet keine Mehrheiten mehr - wobei die, die mit dem Aufkleber "Konservatismus" am Revers herumliefen, gar nie konservativ waren, sondern wechselweise reaktionär oder neoliberal - je nach Wetterlage und Erfordernis. Konservativ wäre ja eigentlich vielmehr Kretschmann, den man aber unter dem Schlagwort "Linksruck" verortet. Nach links driftet dieses Land bereits dann ab, wenn Parteien in Ämter rutschen, die als erste militärische Auslandseinsätze der Bundeswehr oder die einschneidendste Sozialreform zulasten der Ärmsten der Gesellschaft verabschiedeten. Ist das der linke Abweg in diesem Lande? Wenn ja, wie sieht dann der rechte Pfad aus? Betreibt der rechte Konservatismus Mordbrennerei unter den Armen, sodass die "Segnungen des SGB II" sich noch als linke Gutmenschelei herausnehmen können?
Was die Linksruck-Parolen ausmacht, kann nicht erklärt werden - es gibt hierfür keine sinnvollen Erklärungen. Diejenigen, die sich demnächst um die nach links schlitternde Republik sorgen werden, sind antiquierte Lagerdenker, vergessene kalte Krieger aus Zeiten, da es tatsächlich noch unterschiedliche Nuancen zwischen Christ- und Sozialdemokraten gab - und zwischen Liberalen und Grünen sowieso. Was sie heute unterscheidet ist die raue Schale, denn ihr Kern ist bei allen genauso weich. Matschig im Inneren, nur das Äußere unterscheidet sich. Das heißt, eigentlich ist es die raue Schale, die manche haben und manche nicht. Denen von der Sozialdemokratie und den Grünen fehlt die raue Pigmentierung weitestgehend. Sie wirken etwas lockerer, etwas galanter, sehen freundlicher drein, tragen weniger schlechte Anzüge auf ihren weniger fetten Ranzen - es sind Neoliberale und Reaktionäre, die nicht neoliberal und reaktionär aussehen; Spießer, die die Spießigkeit, vermittels besserer PR, nicht mehr unmittelbar auf der Haut tragen. Möglich, dass ihnen die vielen Jahre der Korruption und des Nepotismus abgehen, die den anderen inzestuös potenziert auf den Leib geworfen wurde.
Linksruck in der Bundesrepublik bedeutet, dass Menschen und Parteien in Ämter gehoben werden, die nicht allzu linkisch aussehen. Freundlichere Gesichtszüge, die denselben Mist herunterbeten und praktizieren, wie ihre Kollegen, die unbeholfen und taperig ihrem big business in schwarz oder gelb nachlaufen. Linksruck ist, wenn derselbe reaktionäre Brei und dieselbe neoliberale Herrenmenschelei und derselbe wirtschaftliche Schmierfilm angekurbelt wird wie einst - nur mit etwas ansehnlicheren Gesichtern, etwas menschlicheren Menschen. Das unkende Feuilleton hätte damit recht: der Linksruck ist brandgefährlich für dieses Land! Denn wenn höflichere Gestalten dieselbe Unhöflichkeit umsetzen, wie vormals die hölzernen und ungelenken Mappusse dieses filzigen Landes, dann wird der Skandal herrschender (Klientel-)Politik mittels grünsozialdemokratischer Charmeoffensive eingelullt.
Linksruck heißt hier und heute, neoliberale und marktorientierte Politik mit Charme und ein wenig Liebreiz vermittelt zu bekommen. Den Geiferern des Feuilletons scheint dies zu stinken. Sie mögen keine falschen Freundlichkeiten, die von der Unfreundlichkeit ihrer bevorzugten Politik ablenken könnte, die vielleicht falsche Hoffnungen anfacht und die Wähler träumen läßt, es möge doch nicht alles so schlecht sein, wie es gemeinhin heißt. Inhaltlich kann den bewährten Feuilletonisten der Linksruck nichts ausmachen - denn der ist derselbe. Er ist dasselbe Nichts, dasselbe Arrangement aus Entsolidarisierung und fast schon spastisch egoistischen Affekten. Nein, es ist das Wie der Vermittlung. Der Linksruck stülpt der Wirtschaft und der Politik (und der Wirtschaftspolitik!) eine tarnende Maske über. Er lenkt ab, er kaschiert, macht die Entsolidarisierung innerhalb der Gesellschaft unsichtbar. Freundlichere Charaktermasken aus den Schmieden der Sozialdemokratie und der Grünen vermitteln die ganze Härte nicht mit der nötigen harten Nachdrücklichkeit, sie wirken immer noch ein wenig milde, ein bisschen einsichtig und mitleidend, schaffen es dauerhaft, dass man ihnen abnimmt, sie würden die Schwere ihrer Entscheidung quälend in sich hineinfressen und daran menschlich und überdies mitmenschlich zerbrechen. "Mit Bauchschmerzen" verkünden sie einschneidende Reformen - ihre Kollegen in schwarz und gelb haben Bauchschmerzen höchstens, wenn sie sich überfressen haben.
Linksruck! empören sie sich nur, die Herren und Damen Feuilletonisten und Feulletonistinnen, weil sie ehrliche Häute und Häutinnen sind. Sie meinen es nur gut, daher ihr alsbaldiger Aufschrei in den Spalten rechts oben oder links unten. Sie stehen auf Ehrlichkeit und schätzen die Tölpelhaftigkeit derer, die sich erst gar keine Mühe machen, ihren Quark mit freundlicher Miene an den Mann und die Frau mit Wahlbenachrichtigungskarte zu bringen. Denn wer unfreundlich und aufgeblasen Unfreundlichkeit und Aufgeblasenheit ans Volk bringt, der bringt der gebotenen Ernst mit, der macht den Menschen kein X für ein U vor, keine falsche Menschlichkeit für richtige Unmenschlichkeit...