Heute geht es also um die etwas spontane Reise nach Cinco Pino. Kurz zur „Entstehung“ dieser Reise: Das Büro CHICA lud am 15.12. zum Fortbildungs- und Diskussionskurs über Gender ein. Daran nahmen sämtliche von CHICA unterstützten Projekte aus Condega teil, also auch La Fraternidad. Am darauffolgenden Tag wurde eine Feria, also eine Ausstellungsmesse verantstaltet, auf der die meisten CHICA-Projekte ihre Arbeit ausstellten und – wenn möglich – zum Verkauf anboten. Ich wurde da mehr oder weniger mit hinein gezogen, als man mir im Gemeindeamt davon erzählte und Elmer Zelaya – der Chef von CHICA und damit auch von La Fraternidad und mir – mich einlud, doch auch mit zu fahren.
Gesagt getan, am Mittwoch geht es um 3 Uhr in der Früh unter die Dusche (Ich kann nur sagen: KAAAALT!) und um 4 Uhr zum Treffpunkt vor der Gemeinde. Nachdem wir aber in Nicaragua sind, ist ein bisschen Wartezeit natürlich vorprogrammiert. Ich lerne inzwischen eine Mitarbeiterin des Projektes AMSONAC kennen, welches (bis auf den Chaffeur) ausschließlich Frauen anstellt und Fruchtsäfte mit tropischen Geschmacksrichtungen herstellt und überraschend professionell abfüllt und verpackt. Und immerhin ist nicht in jedem Saft noch zusätzlich Zucker drinnen
Als dann endlich ein paar Menschen mehr eintreffen, erfahre auch ich endlich, dass der Ausflug nicht ein Tagesausflug sein wird, sondern sich durchaus ein oder zwei Nächte hinziehen könnte. Ich sprinte also noch mal zurück zum Haus, packe alles nötige schnell in eine Tasche und kurz vor fünf Uhr sitze ich neben Leonell hinten auf der Ladefläche des Pick-Ups der Gemeinde. Dann wird noch kurz mit dem zweiten Auto Funkgeräte ausgetauscht und los gehts in die eisige Nacht. Es ist die bisher kälteste Woche, mit dem Beinahespitzenwert von 11°C, was einem bei Fahrtwind fast bis unter die Haut geht. Leonell hat überdies nur eine Jeansjacke an und friert sich fast Kopf und Finger ab …
Im Morgengrauen wird an der Kreuzung, an der wir die Panamericana verlassen kurz gefrühstückt und schon geht es wieder weiter auf die scheinbar endlose Reise nach León. Nachdem nämlich keiner so genau weiß, wo Cinco Pino (zu gut Deutsch: „Die fünf Pinien“) liegt, wird davon ausgegangen, wir würden in die Nähe Leóns fahren. Es handelt sich demnach um dieselbe Strecke, die wir schon einmal nach León bestritten haben, nur dass damals einfach kein Platz war, sich die Landschaft genauer anzusehen. Außerdem sitzen wir auf der Ladefläche beinahe in Richtung Osten, also den Blick in den Sonnenaufgang gerichtet, was die Reise schon etwas wärmer macht. Auf halber Strecke nach León biegen wir auf einmal von der großen Straße auf einen kleinen aber gepflasterten Weg ab und wir sind zum ersten Mal sicher, dass die Reise nicht in León enden wird.
Ab El Sauce wird die Straße dann plötzlich ausnehmend schlecht und vor allem staubig. Weil wir das zweite Auto sind, bekommen wir hauptsächlich Staub zu sehen, was uns äußerlich um 20 Jahre altern lässt, so weiß werden wir. Nach zwanzig Kilometern erreichen wir Somotillo, welches sich schon durch eine irrsinnig breite Straße und riesige Brücken über zwei eigentlich normale Flüsse ankündigt. Laut den Schildern, die überall herum stehen, wurde diese Infrastruktur von Japan gespendet – hatte nicht gewusst, dass Japan nach Nicaragua gespendet hat. Nach ein bisschen Verwirrung finden wir die richtige Kreuzung und schon sind die letzten 20 Kilometer dran. Nach kurzem Aufenthalt bei einer Militärstreife (die das erste Auto durchfilzt, dann einen Rucksack einer Dame öffnet, den dann peinlich berührt wieder schließt und uns allesamt durchwinkt) kommen wir in Cinco Pino an und können keine einzige Pinie entdecken. Dafür aber den Treffpunkt, den wir schon mehr als eine Stunde zu spät erreichen.
Während die schon angekommenen anderen Gruppen (von León bis zum Río San Juan) sich in auflockernden Spielen kennen lernen, lassen Leonell und ich unser Kreuz ausspannen und besprechen mit den anderen Condegianern die kommenden Ereignisse. Dann geht es los und wir gendern was das Zeug hält. Es sind erstaunlich viele Männer am Diskutieren, auch Semester, von denen man es eher nicht mehr erwarten würde, feministisch zu sein.
Da ich mich an die Details nicht mehr genau erinnern kann und die sich auch fast nur um gegenseitig Argumente auffrischen und bestätigen drehten (deswegen aber nicht uninteressant waren), springe ich direkt zum nächsten Tag.
Nachdem wir noch am Vorabend in die nächste „große“ Stadt Somotillo zurückfuhren um dort unser Hostel aufzusuchen, wachen wir erstaunlicherweise am Donnerstag dort auch wieder auf. Irgendwas haut mit der Wasserleitung nicht hin, also muss man sich beim Duschen Wasser mit einer kleinen Schüssel aus einer Regentonne schöpfen und über den Kopf schütten. Die Tonne steht natürlich in der Dusche . Schon vorm Schlafengehen haben wir entdeckt, dass der mitgebrachte Laptop für die Präsentation defacto kein Stromkabel mehr hat, weil das nur noch ziemlich unzuverlässig Saft liefert.
Die Anreise zurück zu einem Projekt vor Cinco Pino verzögert sich wieder planmäßig um fast eine Stunde – allgemeine Verspätungen, ein paar Damen, die noch schnell shoppen gehen und Autos auftanken summieren sich eben. Wir nehmen zwei andere junge Männer mit, die vom Río San Juan kommen, welcher die südliche Grenze Nicaraguas zu Consta Rica darstellt. Das Projekt nennt sich APRODESE (Asociación Para el Desarrollo Económico Sostenible de El Espino y Comunidades Aledañas – Verein zur nachhaltige ökonomische Entwicklung von El Espino und den umliegenden Gemeinden) und ist auch ein von CHICA und damit Österreich finanziertes Projekt, das sich hauptsächlich um Ausbildung in diversen handwerklichen Dingen dreht. Dort angekommen suchen wir uns zwei Tische und sichern unseren Platz unter dem riesigen Partyzelt, das für Condega reserviert ist.
Das sind Japas - also Ohrringe - um 20 Cordoba das Paar
Nach kurzer Suche aber einiger Erklärung bekommen wir vom Computerraum einen PC zur Verfügung gestellt, den wir dann an unseren Beamer anschließen, noch kurz ein Video-Abspiel-Programm installieren und schon läuft der Film in Endlosschleife. Blicke nach allen Richtungen offenbaren aber, dass wir damit die Einzigen sind und auch bleiben werden – die Meisten bieten lediglich ihre Produkte feil und viele haben noch Plakate, Flyer und/oder Fotos auf Lager. Obwohl La Fraternidad sozusagen „nur“ Handarbeit und künstlerische Leinwände anbieten kann, werden wir bereits beim Auspacken immer wieder um die Preise der Ohrringe, Polster und Armbänder gefragt. Der Stand der Frauen von AMSONAC verkauft sämtliche mitgebrachte Säfte innerhalb weniger Stunden und fängt dann an die als Dekoration mitgebrachten Früchte unter die Menschen zu bringen. Die Stände von INPRUH und den Mujeres Trabajadoras liegen nach dem Ansturm wegen des „Uh!-Neu!“-Effektes – ähnlich wie wir – recht durchschnittlich und kontinuierlich im Verkauf.
Es ist grundsätzlich schon ziemlich erstaunlich, wieviele Stände aufgebaut sind und damit auch, wieviele Projekte CHICA finanziert. Inzwischen ist aber nicht mehr völlig sicher, wie lange diese österreichische Unterstützung, so wie sie jetzt funktioniert, noch aufrecht erhalten wird. Die zwei auffälligsten Stände sind eine ökologische Latrine (welche die Kontamination des Grundwassers gewaltig reduzieren bis aufheben könnte) und Vertrieb und Förderung von Solarmodulen (welche in ländlichen Gegenden ohne Stromleitungen – bei gemäßigtem Verbrauch – genügend Strom herstellt). Natürlich fällt auch der Tisch mit den Kakaofrüchten auf, der mit ein paar Tafeln Zotter-Schokolade auf einen der Abnehmer des Bio- und Fair-Trade-Kakaos hindeutet.
Auch der Name der Band war etwas außergewöhnlich, könnte aber nicht mehr genau sagen ...
Abgeschlossen wird der durch und durch unterhaltsame Tag mit einem Konzert einer Jugend-Rock-Band, die sich allergrößte Mühe gibt, die Stimme des Leadsängers irgendwie hin zu biegen oder zumindest durch lauteres Spielen zu kaschieren. Nachdem das Mittagessen erst um zwei Uhr eintrudelt und wir da schon beinahe am Gehen sind, hebe ich es auf und nehme mir vor, halt auf der Ladefläche im Fahrtwind zu essen. Das wird dann aber etwas schwierig, weil wir eine andere Strecke nach Hause nehmen. Die neue Strecke ist reinste Staubpiste im ärgsten Gebirge; steinig und holprig, soweit man sieht, an eingestürzten Brücken zu durchquerende Bäche, die sich mit einem Pick-Up gerade noch so ausgehen, ohne dass der Auspuff völlig im Wasser versinkt. Und Leonell und ich auf der Ladefläche, hauptsächlich damit beschäftigt nicht mitsamt der Ladung einen Hops in die Pampa zu machen und dabei noch sämtlich Extremitäten im Zaum zu halten. Mein Mittagessen wird also ein hastiges Schlingen zwischen Schlaglöchern, dementsprechend sehe ich danach aus .
Gelohnt hat sich die Reise aber trotzdem: Wir brauchen um beinahe zwei Stunden weniger als bei der Hinreise und haben dabei noch eine kurze Essenspause in Limay – ein absolut niedliches kleines Städtchen mitten in den Bergen – eingelegt. Netterweise fährt diesmal auch das andere Auto in einem Abstand von ein bis zwei Kilometer hinter uns, um uns den Staub in den Haaren zu ersparen. Und die Landschaft ist umwerfend unberührt (wenn man von den Wegen in den Dörfern selbst mal absieht), man sieht Bäume, doppelt so groß wie die größten Eichen und nach Sonnenuntergang den mit Straßenlaternen ausgeleuchteten Weg im Tal unter sich.
Und zum Abschluss unsere große Reise auf Mappe. Die Nähe zu Honduras wurde mir erst auf der Karte bewusst ...
Insgesamt hat die Reise wieder meine Ansicht von Nicaragua – die in letzter Zeit etwas an der falschen Mischung an Menschen und deren Sicht der Dinge gelitten hat – wieder auf Touren gebracht und mir gezeigt, was alles möglich ist, wenn man nur möchte. Und sich traut, nachzufragen. Denn grundsätzlich sind sie äußerst hilfs- und auskunftsbereit, die Nicaraguaner …
INPRUH, Mujeres Trabajadoras, AMSONAC, La Fraternidad und Alcaldía: Es war mir ein Volksfest!