Der kühle Blick des Ökonomen oder Arbeit macht nicht frei

Als ich via Kritische Massen auf den sehr interessanten und aufschlussreichen Artikel „Die akademische Sprache des Rassisten – aus der Dissertation des Thilo Sarrazin“ stieß, bestätigte dieser so ziemlich alle Vor- und Nachurteile, die ich mir seit dem Erscheinen von „Deutschland schafft sich ab“ über diesen Herrn gebildet hatte.

Ja, Herr Sarrazin kann hervorragend mit Zahlen umgehen, liebt Statistiken und denkt, wie nur ein abgefeimter Ökonom kann, ja denken muss: ganz und gar in ökonomischen Kategorien nämlich. Danach ordnet er die Leute ein: nützlich – unnütz, wertvoll – überflüssig. Auf diese Weise kann man ganz ernsthaft über die Produktivität von Sklaven nachdenken, ohne einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, dass es sich bei diesen um menschliche Wesen, also um Mitmenschen handelt. Für den Sklavenhalter sind sie Produktionsmittel, die je nach Produktivität mehr oder weniger wert sind. Ob die Sklaven-Kinder, die wie Sarrazin in seiner Dissertation ausführt, mit sechs Jahren anfangen zu arbeiten, nicht vielleicht wie andere Kinder lieber in die Schule gehen und etwas lernen und am Nachmittag dann auch mal spielen dürfen sollten – mit solch unproduktive Gedanken verschwendet ein junger Wirtschaftswissenschaftler doch nicht seine Zeit. Er stellt nur fest, dass die Sklavenhaltung mindestens ebenso profitabel war wie alternative Verwendungen des eingesetzten Kapitals. Denn darauf kommt es an. Wie es den Menschen damit geht, ist völlig gleichgültig.

Wobei dieses Denken in Wirtschaftsfakultäten und Konzernzentralen nicht durchaus unbekannt ist, auch wenn die Sklaven dort natürlich Mitarbeiter genannt werden und den großen Vorteil haben, dass die Konzernleitung sich nicht drum scheren muss, ob sie genug zu essen bekommen oder wo sie Platz zum Schlafen haben – darum müssen sich die freien Individuen, die sich auf dem Arbeitsmarkt selbst verwirklichen müssen oder dürfen, schließlich selbst kümmern.

Und wenn sie es nicht schaffen, sich um sich selbst zu kümmern, gibt es irgendwelche Wirtschaftswissenschaftler, die sich schon darum kümmern, den Bedarf der Überflüssigen kleinzurechnen, nein, es geht nicht nur Thilo Sarrazin, er ist nur ein Symptom der Krankheit. Es gibt auch beispielsweise auch Friedrich Thießen und Christian Fischer, die ausgerechnet haben, dass man mit dem aktuellen Hartz-IV-Satz eigentlich schon viel zu viel von der allzu großzügigen Gesellschaft bekommt. Denn der Mensch kann auch von einem Brotkanten und Wasser leben, Möbel und Kleider werden hoffnungslos überschätzt.

Worauf ich aber eigentlich hinaus will: Beim Lesen der Sarrazin-Zitate fielen mir spontan die Zwangsarbeiter ein, die für Nazideutschland schuften mussten, in der Rüstungsindustrie, im Bergbau, in der Landwirtschaft. An die totale okömomische Verwertung des Menschen musste ich denken, die die Nazis auf die Spitze getrieben hatten: sie verwerteten alles, aber vor allem natürlich die Arbeitskraft – und zwar mit dem Ziel der Vernichtung durch Arbeit! Und bevor die als „lebensunwert“ eingestuften Menschen der Vernichtung preisgegeben wurden, mussten sie alles abgeben, was sie hatten, nicht nur ihre Habe, die ohnehin eingezogen und weiterverwertet wurde, auch Brillen, Haare, Goldzähne, ja das sprichwörtliche letzte Hemd mussten sie ausziehen.

Ein kühler Ökonom hat überhaupt keine Probleme damit, Menschen zu vernutzen, es geschieht tagtäglich. Man muss sich nur einmal den Dokumentarfilm Working Man’s Death anschauen. Der moderne Kapitalismus braucht keine Arbeitslager, in denen die als nützlich eingestuften Menschen mit dem absoluten Überlebensminimum arbeitsfähig gehalten werden und die weniger nützlichen – nun ja. Die ganze Welt ist ein Arbeitslager – teilweise allerdings so gut getarnt, dass die Insassen es gar nicht merken. Passend dazu fand ich einen weiteren Text über den Arbeitsbegriff im Dritten Reich: Franz Schandl schreibt in den Streifzügen über das Reich der Arbeit. Denn Arbeit macht nicht frei – sie zerstört, bringt um, vernichtet.



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