Der Kampf um Milliarden im Gesundheitswesen wird an der falschen Front geführt

Der Kampf um Milliarden im Gesundheitswesen wird an der falschen Front geführt

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GTL | 30.4.2014 | Kommentare (0)

 

Der Kampf um Milliarden im Gesundheitswesen wird an der falschen Front geführt

Die Ursachen, weshalb die Versorgung mit bestimmten Medikamenten unsicherer wird, sind mannigfaltig und nicht in jedem Fall primär dadurch erklärbar, dass der Preisdruck des Hauptverbandes die Industrie in andere Länder treibt, auch wenn das von manchen Gesundheitsökonomen so dargestellt wird.

In manchen Fällen kam es auch zu Versorgungsengpässen bei Medikamenten, die so billig sind, dass sich überhaupt kein Generikamarkt gebildet hat und für die Versorgung in Österreich ohnehin nur auf zwei Anbietern basiert: Bei Schilddrüsenhormonen explodierte zur großen Überraschung der Hersteller der Verbrauch europaweit und es wurde einerseits verabsäumt, die Produktionskapazitäten rechtzeitig hoch zu fahren; andererseits (z.T. auch als Marketingüberlegungen) wurde der Wirkstoff in einer immer größeren Zahl an Dosierungen vermarktet, so dass es zu Lieferengpässen einzelner Dosierungen und somit zu einer nicht unbeträchtlichen Verunsicherung der Patienten kam.

Viel wesentlicher als das Getue unseres Hauptverbandes ist aber die einfache wirtschaftliche Überlegung, dass mit einem Medikament dann viel zu verdienen ist, wenn es viele Patienten gibt, die es benötigen, sein potentieller Markt also groß ist und idealerweise keine Konkurrenzprodukte existieren. Deshalb fließt naturgemäß viel Geld in die Entwicklung neuer Therapie für Massenerkrankungen. Oft übersieht man jedoch, dass es seit Jahrzehnten vergleichbare Therapien gibt, die eben nur in Vergessenheit geraten sind, weil kein großer Pharmakonzern sich um ihre Vermarktung bemüht. Ganz typisch sind da auch Trittbrettfahrer, die ihre Produkte mit dem neuen Trend wieder in den Markt bringen wollen. An sehr altes Beispiel wäre hier der Hype um den ersten "Cholesterinsynthetasehemmer" (HMG-CoA-Reduktasehemmer) Lovastatin und das in den späten 80ern in seinem Schatten in Österreich initial Furore machenden  Gemfirbozil (Gevilon), weil es von  "Der ganzen Woche" als DER NEUE Cholesterinsenker angepriesen wurde, noch ehe Lovastatin (Mevacor)  in Österreich erhältlich war. So nebenher besteht auch Einigkeit darüber, dass die Verbreitung von Lovastatin in den USA nicht zuletzt auf einen Artikel im "Reader’s Digest" zurückzuführen war ...

Ein rezenteres Beispiel, wie neue Therapiekonzepte vermarktet werden, ist das fortgeschrittene Prostatakarzinom. Für keinen anderen Tumor ist in den letzten 10 Jahren eine derartige Fülle an neuen - und sehr teuren- Therapien entwickelt worden. Kein Wunder, denn seit der Einführung des PSA Screnings hat sich die Anzahl der "potentiellen Kunden" vervielfacht.
An einer der Fronten hat zum Beispiel die Firma Bayer 1,9 Milliarden in die Hand genommen und eine kleine norwegische Firma (Algeta) aufgekauft, deren Radium-223 in einer Studie (ALSYMPCA, NEJM 2013;389) das Leben der untersuchten Patienten um etwas mehr als 3 Monate verlängert hat. Dass unmittelbar nach Fertigstellung der Studie die amerikanische Zulassungsbehörde (FDA) diese neue Therapie zugelassen hat und wenige Monate danach auch die europäische Zulassung erteilt wurde, ließ Bayer, das einen Jahresumsatz von fast 40 Milliarden (2012) macht, auf ein gutes Geschäft wittern und seinen Aktionären das neue Präparat als eine der wichtigsten Cash cows des Konzern präsentieren..
Das Produkt ist aber keine der üblichen Chemotherapien, sondern eine radioaktive Substanz, die wie Kalzium in den Knochen aufgenommen wird und zu einer "zielgerichteten" Strahlentherapie von Knochenmetastasen führt.

Eingeschlossen wurden in die Alympca Studie nur selektionierte Fälle, und zwar Patienten, die auf die üblichen Hormontherapien nicht mehr ansprachen, die Knochenmetastasen aber keine anderen bekannten Metastasenlokalisationen hatten und bei denen andere der zu Studienbeginn verfügbaren Therapien bereits ausgeschöpft waren.
Trotzdem verbreitete sich die Kunde von dem neuen Wundermittel in den Selbsthilfeforen wie ein Lauffeuer und Patienten und behandelnde Ärzte verlangten schon vor der Produktregistrierung nach der Substanz. Diese Therapie besteht aus 6 Einzelinfusionen, die in 4-wöchigen Abständen verabreicht werden und kostet über 30.000 €.  
Das Wirkprinzip, also radioaktive Substanzen in den Knochen zu bringen, um die Knochenmetastasen des Prostatakarzinoms zu behandeln ist jedoch nicht neu. Erstmals 1941 wurde dazu das radioaktive Strontium 89 eingesetzt, das seit 1994 von der amerikanischen Aufsichtsbehörde eine Zulassung erhalten hat. 1997 wurde Samarium-153 EDTMP zugelassen und in Europa ist zusätzlich Rhenium-186 HEDP verfügbar, um schmerzhafte Knochenmetastasen des Prostatakarzinoms zu behandeln.
Neu im Zusammenhang mit dem Radium 223 ist aber zweifellos, dass erstmals in einer Doppelblindstudie gezeigt werden konnte, dass dieses Wirkprinzip nicht nur zu einer Schmerzlinderung sondern (in einer bestimmten Patientengruppe) zu einer Lebensverlängerung führt.

Weshalb ich dieses Beispiel aber hier im Kapitel "Psychopathologie der Medizin" erwähne, ist die Parallele zu den oben genannten zwei Lipidsenkern. Auch hier wurde im Vorfeld versucht ein anderes Medikament im Schatten des ersten hochzujazzen:
Selbstverständlich gab es seit 1941 immer wieder Studien, die untersuchten, ob das Wirkprinzip der "Radionuklidtherapie" neben der Schmerzlinderung nicht auch zu einer Lebensverlängerung der Patienten mit (osteoplastischen) Knochenmetastasen führt. Für Rhenium wurde das z.B. in einer Studie im J Clin Oncol 2003 (21(15):2869 angedeutet, jedoch konnte in standardisierten Analysen (EBM, HTA) für alle in Frage stehenden Radiopharmaka dieser Beweis bislang nicht erbracht werden. Trotzdem wurde im Vorfeld der ALSYMPCA Studie mit nicht unbeträchtlichem medialen Aufwand und entsprechender Reaktion in den Patientenforen die Behaupt verbreitet, dass auch Rhenium zu einer Lebensverlängerung führt.
Basis war eine retrospektive Analyse (JNM 2001:52:1-6) von 60 Patienten, die eine unterschiedliche Anzahl an Therapiezyklen erhalten haben. Es zeigte sich, dass die Patienten, die mehrere Therapien erhalten haben, länger lebten, als die die nurwenige Therapien erhalten haben, bzw. erhalten konnten. Während die Autoren noch pflichtschuldig in der Diskussion ihrer Arbeit einräumten, dass es sich hier auch um ein klassisches Henne-Ei-Problem handel könnte, also evtl. die Patienten, die aus irgendwelchen Gründen länger lebten einfach häufiger therapiert werden konnten, wurde die Studie völlig unkritisch als Lebensverlängerung vermarktet: 
Post-treatment overall survival could be improved from 4.50 to 15.66 mo by multiple-injection!
Ungeachtet dieses Selection und Confirmation Bias gab die US-amerikanische Society of Nuclear Medicine, die das Journal heraus gibt sofort eine Pressekonferenz mit gleichlautendem Schluß heraus und die Universitätsklinik, die für die Studie verantwortlich war. sprach schon Wochen vor der Veröffentlichung der Studie auf ihrer Homepage von: Lebenszeitverlängerung der Patienten um bis zu 15,6 Monate, was in den Patientenforen natürlich die Runde machte (Daten beim Verfasser).

Jetzt handelt es sich bei dem neuen Präparat, ebenso wie bei den im vorherigen Beispiel genannten Cholesterinsenkern Lovastatin und Gemfibrozil sowie bei den Radiopharmaka um wirksame Therapeutika, die hier in der richtigen Indikation zum Wohle der Patienten eingesetzt werden können. Worum es mir jedoch geht ist das moralisch höchst bedenkliche Junktim zwischen wissenschaftlichem Dialog und medialer Aufarbeitung, bei dem offenbar im Hinblick auf die Vermarktung von neuen und alten Therapien ganz bewußt auf den Druck der Betroffenen gesetzt wird.

Eine neue Dimension hat das Spiel aber aber damit bekommen, dass sich die staatlichen Player im Gesundheitssystem mit Hilfe der von ihnen finanzierten "Experten" trotzdem weigern, die Kosten für in klinischen Studien "bewiesene" und durch die staatlichen Zulassungsbehörden akzeptierte Therapien zu übernehmen, in dem sie Vergleichsstudien mit anderen teuren Therapien einfordern, die sich aber weder ein Konzern, geschweige die öffentliche Hand je leisten wird können:

Großbritannien lehnt Bayer-Krebsmedikament ab
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/hoffnungstraeger-xofigo-grossbritannien-lehnt-bayer-krebsmedikament-ab/9659978.html 

Am Ende steht dann der Anruf eines verzweifelten Patienten, der in Dutzenden Medien lesen konnte, dass es eine "neue Wunderwaffe" für sein Leiden gäbe, diese auch für seine Indikation von den Behörden freigegeben ist, aber - ohne dass er im "Kleingedruckten" seiner Krankenversicherung dafür eine Begründung lesen - sie ihm nicht zur Verfügung steht.
Somit werden die Konflikte im Gesundheitswesen wieder genau dort ausgetragen, wo sie am Schwierigsten zu führen sind:
Zwischen Betroffenem und seinem behandelnden Arzt!



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