Der Jeddah-Report, Teil 3. Wie habt ihr’s mit der Religion…?

Das mit der Religion ist in Saudi Arabien so eine Sache. Das Image des Landes sieht ja wohl so aus, als lebten dort ausschließlich fanatische Muslime, die ihre Frauen in schwarze Laken einhüllen und unablässig unterdrücken, ihre Töchter im Namen Allahs schon als junge Mädchen verheiraten und die den ganzen Tag das blutige Jihad-Schwert schwingen. Gibt man „Saudi Arabien“ bei Google ein und schaut sich die Ergebnisse der Bildersuche an, erscheinen ausschließlich Fotos der Kaaba in Mekkah oder welche von ebenjenen verschleierten, vermeintlich unterdrückten Frauen.

Ich will nicht behaupten, dass das so gar nichts mit der Wahrheit zu tun hat. Ja, die Religion ist definitiv eine der größten Kräfte und auch Mächte im Staat. Ja, im Namen der Religion werden absurde und absurdeste Gesetze und Dekrete erlassen. Autofahren und Wählen dürfen Frauen nach wie vor nicht. Zumindest nicht offiziell.

Aber das ist eben auch hauptsächlich genau das – ein Image. Was – keine Frage – von den obersten Sittenhütern auch mit aller Kraft aufrecht erhalten wird. Die Praxis ist – wie immer – sehr viel komplexer, was wir auch bei diesem Besuch einmal mehr gesehen, gespürt und erlebt haben.

Das Wochenende haben wir zusammen mit einigen Familienmitgliedern in einem sehr schönen Ferienkomplex am Meer verbracht, ungefähr eine Stunde von Jeddah entfernt. Durrat-el-Arus heißt der Ort, und ist so was wie ein semi-privates Mallorca. Es gibt schöne Strandhäuser direkt am Strand, das Meer ist vor der Tür, man kann schwimmen, Jetskis ausleihen, es gibt Kinderspielplätze und Sonnenschirme aus Stroh. Außerdem eine kleine Promenade mit Restaurants, Cafés, Geschäften und einem kleinen Yachthafen. In Durra geht es locker zu, Mädchen tragen auch Badeanzüge, gehen ohne Abaya oder Kopftuch die Promenade entlang und die Geschlechtertrennung in den Lokalen wird nicht kontrolliert. „Hier fahren die Mädels auch Auto“, lässt mein Cousin mich wissen. Und tatsächlich sehen wir auch drei oder vier Wagen, wo Frauen am Steuer sitzen.

Auch ich sitze mit meinen Cousins ohne Abaya oder Kopftuch, nur in Jeans und langärmliger Bluse vor einem der Restaurants, warte auf mein Essen und schaue fasziniert die Gruppen von Saudi-Hipstern an (Ray Ban-Brillen, riesige Kopfhörer – Kreuzberg goes Saudi!). Dann plötzlich kommt Bewegung in die Gruppen, die Mädchen springen auf, einige verschwinden im Inneren des Lokals, Türen werden verschlossen, die Gruppen wieseln in Windeseile auseinander. „Fi Hey’a, fi Hey’a“, zischen zwei Mädels meinem Cousin zu.

Und tatsächlich biegen wenige Sekunden später 2 bärtige Typen mit wadenlangen Thawbs und rot-weißen Sh’maachs auf dem Kopf um die Ecke. Religionswächter auf Moral-Razzia. Die Männer sehen unsere kleine Gruppe und steuern auf uns zu. Mein Cousin wirft mir nur einen genervten Blick zu; „Keine Angst, die wollen nur Stress machen.“, sagt er, und geht den Typen entgegen. Ein kurzes Gespräch, es wird einige Male in meine Richtung gezeigt, mein Cousin zuckt mehrmals mit der Schulter, das Ganze wirkt weniger aggressiv als vielmehr komisch – die Bärtigen in diesem dekadenten Urlaubsumfeld, wo bis eben noch Hipster-Teenies ihre Smoothies geschlürft haben, mein Cousin in seinen geblümten Surfershorts, der locker an seiner Marlboro qualmt und klar stellt, dass seine deutsche Cousine auch unverschleiert hier sitzen darf, wenn’s nach ihm und seiner Familie geht.

Die Typen ziehen wieder ab, offensichtlich leicht schmollend, weil ich mich weder bedroht fühle noch von meinen Begleitern hektisch ins nächste Auto geschubst werde, und mein Cousin zuckt mit den Schultern. „Die wollen den Leuten einfach nur Angst machen. So funktionieren die. Die stellen Ex-Häftlinge und andere windige Typen ein und versuchen, Schrecken zu verbreiten. Du darfst denen nur keine Angst zeigen.“ „Wie bei Hunden“, sage ich. „Genau wie bei Hunden. Nichts anderes sind die ja auch“, antwortet er.

„Komisch eigentlich, dass die hier auftauchen“, sage ich. Mein Eindruck der letzten Tage war, dass es in Jeddah wieder viel lockerer zugeht, dass in den Restaurants viele Frauengruppen sitzen, mit und auch ohne Kopftücher, dass wieder Ausländer (also Expats) zu sehen sind und überhaupt die Stimmung eher entspannt wirkt. 
„Ach, die haben hier ein Büro seit einem Jahr. Und in Jeddah ist das auch so – Restaurantbesitzer, die denen genug Geld zahlen, werden in Ruhe gelassen.“

Religionspolizei als Mafia, die Schutzgeld nimmt … Warum überrascht mich das eigentlich nicht?

Die gesamte islamische Welt schaut auf dieses kleine, absurde Land, denn dort befinden sich die heiligsten Stätte des Islam. Wenn der Eindruck entsteht, dass ausgerechnet dort die Moral den Bach hinunter geht, dann Gute Nacht. 
Ihren Alltag aber organisieren sich die meisten Menschen dort, das hört und sieht man, eben um dieses Image herum. Sie schaffen sich die Freiräume – manche mehr, manche weniger – die ihnen die Familie (ein viel größeres Joch für die meisten als dieses abstrakte Ding der Religion) und der Staat gestatten. Und halten sich eben für das Image an gewisse ungeschriebene Regeln.

Damit will ich freilich nicht sagen, dass die Religion an sich nicht auch die Gesellschaft zutiefst prägt. Natürlich sind die Leute religiöser als in anderen Teilen der Welt, und einige sind sogar gläubig. Und das Gebet und die Rituale und Gebote spielen sowohl im privaten wie im öffentlichen Alltag eine große Rolle.
Aber das Extreme, das ist eben auch viel Show. Für Die Welt und für das eigene Volk. Das sollte man nie vergessen. Und Nachrichten über im Namen Gottes gesteinigte Frauen oder geschändete Mädchen erregen dort unter den Menschen ebenso viel ehrlichen Abscheu wie hier.

Trotz allem funktioniert das Leben also über weite Strecken ganz und erfordert eben eine gewisse Kreativität. Nichts desto trotz bin ich dann doch sehr, sehr dankbar, in einem Land zu leben, wo lediglich das Wetter bestimmt, wie viele Lagen von Klamotten ich trage.


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