Nun möchte ich mir doch mal die Mühe machen, Thilo Sarrazins Thesen – konkret die, dass Intelligenz vererbbar sei – zu widerlegen. Ich bediene mich dabei einer geradezu banalen Methode: meiner eigenen Erfahrung. Dass ich sie nicht – wie er es gern bei seinen Beobachtungen und Schlüssen tut – als wissenschaftlichen Beweis anführe, mag mir bitteschön hoch angerechnet werden (ich verstehe, offenbar im Gegensatz zu ihm, etwas von wissenschaftlichem Arbeiten respektive Studiendesign!). Intelligenz also. Meine Argumentation beginnt mit einem Geständnis:
Als Jugendliche wurde bei mir ein Intelligenzqotient festgestellt, der höher ist als 98 Prozent der Bevölkerung. So drückt man es korrekt aus, wenn man von einem IQ von über 130 spricht. (Hochbegabte protzen übrigens nie mit genauen Zahlen, denn sie wissen sehr gut, dass die sich nicht nur im Laufe des Lebens, sondern fast schon monatlich ändern. Aber dazu gleich mehr.) Ermittelt wurde dieser Wert nicht etwa über einen Schnelltest in der Bravo, sondern in einem psychologischen Institut irgendwo in München, das auffällige Kinder auf ihre geistigen Fähigkeiten testete. Das Ergebnis wurde von Mensa nicht etwa wohlwollend, sondern ziemlich streng geprüft. Ich galt also fortan als hochbegabt. Den Schluss, dass auch meine Eltern über besondere Geistesgaben verfügen könnten, kann man getrost unterlassen. Dem war und ist nicht so – im Übrigen auch bei keinem einzigen Hochbegabten, den ich in meinem Leben kennengelernt habe.
Was hat also Einfluss auf die Intelligenz? Ein Stückweit ist sie angeboren, ein großer Anteil allerdings ist schlicht Förderung und Training. Kein Sportler kann ohne Training Höchstleistung erbringen, kein Musiker wird sein Instrument virtuos beherrschen, wenn er nicht übt. Und kein Gehirnjogger wird im Kopf aus mehrzahligen Ziffern Wurzeln ziehen können, nur weil ihm ein bisschen Grips in die Wiege gelegt wurde. Wissenschaftler (z.B. in Gehirn & Geist, Suchworte: Intelligenz, IQ, Hochbegabung u.ä.) haben ermittelt, dass der IQ nicht etwa statisch, sondern höchst veränderlich ist. So kann ein Wert von 110 es bis auf 130 bringen, aber auch auf 90 absinken. Gründe? Training! Nicht mehr, nicht weniger. Das Gehirn ist zwar kein Muskel, aber ständigem Wandel unterzogen. Und den zu betreiben ist es, was zählt, weder die Gene allein und schon gar nicht die Rasse oder gar der Glaube!
Wie man das ganz einfach überprüfen kann? Man suche sich im Internet einen der seriöseren Tests (die, die dann eben nicht mehr kostenlos sind) und absolviere ihn. Eine Auflösung gibt es bei dieser Art Test übrigens aus gutem Grund nicht! Ein halbes Jahr später mache man ihn nochmals – das Ergebnis dürfte nicht dasselbe sein, wie beim ersten Mal. Ein paar Minuten Nachdenken, was in den letzten Monaten das Leben (und Gehirn) beeinflusst haben könnte, bringt in der Regel zum Vorschein, ob die graue (und weiße) Masse im Oberstübchen im Winterschlaf gelegen hat oder auf Hochtouren lief. Quod erat demonstrandum – oder schlicht Wissenschaft für Jedermann.
Zur Beruhigung: Nein, ich werde kein Buch schreiben!