Der Horror auf der Geburtsstation
Im TV-Drama Im falschen Leben spielten Anna Maria Mühe und Sonsee Neu gestern Abend zwei Mütter, deren Töchter kurz nach der Geburt in einer Klinik vertauscht wurden. Erst ein Jahr später kam die Verwechslung durch einen Vaterschaftstest ans Licht. «Ein derartiges Versehen stellt eine absolute Ausnahme dar», entschuldigte der Klinikchef sich bei den Familien, die sich einer emotionalen Höllenfahrt ausgesetzt fühlten.
Der Skandal von Saarlouis
Von einer absoluten Ausnahme sprach auch der Geschäftsführer der Elisabeth-Klinik in Saarlouis vor vier Jahren. Der Albtraum, den Mühe und Neu im Film erlebten, ist auf der Entbindungsstation der Klinik tatsächlich zwei Müttern passiert: Im Juni 2007 brachten sie jeweils ein Mädchen auf die Welt: Leni und Lina. Beim Waschen oder Umziehen wurden möglicherweise die Namensbändchen abgestreift und die Neugeborenen vertauscht, erklärte der Geschäftsführer später: «Es kann vorkommen, dass dieses Bändchen beim Umziehen oder Baden des Babys abgestreift wird, weil die Kinder in den ersten Tagen nach der Geburt Gewicht verlieren können.»
Die eine Mutter hatte bereits zwei Tage nach der Geburt das Gefühl, das falsche Baby in Händen zu halten. Doch niemand nahm sie ernst. Erst als der andere Vater wegen der fehlenden Ähnlichkeit zu seiner vermeintlichen Tochter misstrauisch geworden war und über das Jugendamt einen DNA-Test erzwungen hatte, kam ein halbes Jahr nach der Geburt heraus, dass die Säuglinge vertauscht wurden. Leni und Lina kamen wieder zu ihren richtigen Eltern und der Anwalt der Familien ließ verlauten, er werde die Klinik auf Schmerzensgeld verklagen. «Einen vergleichbaren Fall hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Daher ist völlig unklar, wie hoch die Entschädigung sein wird. Was die Eltern durchlitten haben, lässt sich ohnehin mit Geld nicht wiedergutmachen», so der Anwalt damals.
Nach 17 Jahren flog die Verwechslung auf
Umgerechnet 425.000 Euro erhielten zwei Familien aus Polen, deren Mädchen ebenfalls in einer Klinik vertauscht wurden. Die Verwechslung fiel erst nach 17 Jahren auf und hat sich folgendermaßen ereignet: Im Dezember 1983 wurde ein 15 Tage altes Zwillingspärchen wegen einer Lungenentzündung in ein Warschauer Krankenhaus gebracht, dabei wurde eines der Mädchen mit einem anderen Säugling vertauscht. Im Jahr 2000 fanden Kasia und Nina Ofmasnka, inzwischen fast volljährig, durch einen Zufall heraus, dass sie gar keine Schwestern sind: Kasia war auf der Straße mit ihrer wahren Zwillingsschwester Edyta Wierzbicka verwechselt worden.
Ein Gentest brachte die Wahrheit ans Licht. 2002 zogen die Familien der Mädchen vor Gericht, das den beiden Familien ein Schmerzensgeld zusprach. Die Entschädigungszahlungen müssen sich die drei jungen Frauen mit ihren Eltern teilen, die durch die Verwechslung psychisch schwer belastet wurden.
Immer wieder sorgen solche Irrtümer für Schlagzeilen, und nicht selten werden sie erst nach Jahren erkannt. Die Gefahr, die Experten «neonatal misidentification» oder einfach «mother/child mix-up» nennen, droht täglich auf Deutschlands Geburtsstationen. Rund 700.000 Kinder kommen hierzulande pro Jahr zur Welt – und oft sind sie nur schwer auseinanderzuhalten. Eltern und Pflegekräfte beobachten, wie Babys in den Tagen nach der Geburt Gewicht und Körpervolumen verlieren. Manchmal ändert sich gar das Aussehen.
Vor drei Jahren wurden in der Fachzeitschrift Der Gynäkologe die Ergebnisse einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zu Verwechslungen von Neugeborenen in Kliniken veröffentlicht. Die dort aufgezählten «wesentlichen Ursachen» für Verwechslungen klingen erstaunlich trivial: Verlust der Kennzeichnung, Namensgleichheit von Kindern oder einfach ein fehlender Abgleich vorhandener Kennzeichnungen, etwa zwischen Bändchen am Arm und Bändchen am Bett. Die Autoren der Studie attestieren ihren Kollegen auf den Säuglingsstationen «fehlendes Bewusstsein für die Bedeutung des Identifikationsmittels».
Ein Monat Zeit zum Tauschen
Im Fernsehfilm Im falschen Leben quälten sich die beiden Frauen mit der Entscheidung, ob sie ihr Kind der jeweils richtigen Mutter überlassen sollen oder nicht. Die Psychologin des Jugendamtes plädierte für eine Rückgabe der Babys an die richtigen Eltern: «Die Kinder sind so jung, dass ich es für sinnvoll halte, sie zu tauschen», sagte sie. Ihre Behörde gab den Eltern dazu einen Monat Zeit. Doch so einfach, wie sich das Jugendamt vorstellte, war der Babytausch dann doch nicht.
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Babys verwechselt – Der Horror auf der Geburtsstation
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