“Der gute Name zählt nichts mehr” – Geschäftesterben und soziale Demontage

Über Billigland, Geiz und gesellschafltiches Abseits.

Das Kaufverhalten und die Praxis der Auftragsvergabe machen eine ortsnahe Versorgung kaputt. Die Politik der letzten 20 Jahre zwingt viele kleine Unternehmen und angestammte Geschäfte zur Aufgabe

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Geiz ist Geil – Ergebnis des Kaufverhaltens – Foto: © s.media / pixelio.de

„Der gute Name zählt nichts mehr.“

Als ich vor Kurzem spontan einen Geschäftsfreund besuchte, holte mich die bundesrepublikanische Wirklichkeit ein. „Hallo Michael“, begrüßte ich ihn und dabei sah man ihm schon an, dass er sich verändert hatte. Ringe unter den Augen, über 10kg Gewichtsverlust und seine Mine wie versteinert.
Keine lustige Anekdote wie sonst, nichts dergleichen. Der Geschäftsmann, Ende 40 war froh, sich endlich von der Seele reden zu können, was los ist. Er hatte ein Einzelhandelsgeschäft vom Vater übernommen, eine gute Lokalität gefunden und sich seit über 20Jahren um einen guten Namen bemüht und dafür gesorgt, dass in seinem Heimatort durch sein Geschäft allseits geschätzte Infrastruktur erhalten blieb. Mit allerlei Werkzeug, Landwirtschaftsbedarf, Reparaturen, und Anlagenpflege war er einige Jahre recht erfolgreich, bis ihm nach und nach die Kunden wegbrachen. Die Konkurrenz der sogenannten Fachmärkte mit ihren Wegwerfprodukten, das umschwenkende Kaufverhalten der Kunden auf „Geiz-ist-geil“ trugen viel zur negativen Entwicklung bei. Ausbildungsbetrieb wollte er einmal werden und hatte schon mit der IHK deswegen gesprochen. Aber das ist lange her, davon ist seit Jahren keine Rede mehr.

„Geiz-ist-geil kostet Ausbildungsplätze!“

Seine Qualitätsware wurde mit Billig-Produkten verglichen, bei Vergaben von Aufgaben der Gemeinden wurde er immer seltener bedacht, denn bei Ausschreibungen wurde nur noch auf den Preis geschaut. „Manchmal kamen die Mitarbeiter der Firmen, die den Zuschlag erhielten aus den neuen Bundesländern und waren fast alle durch Arbeitsamtsmaßnahmen subventioniert. Kein Wunder, dass die mich bei Arbeitsaufträgen unterbieten konnten.“

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D – Ausverkauf – Foto: © tv-orange.de

„Auftragsvergabe an Billigfirmen mit von der Arbeitsagentur geförderten Mitarbeitern“

Hatte jemand ein Problem mit seinem woanders billig erstandenen Produkt, fragte man natürlich Michael um Rat, auch Samstags und Sonntags und nach Feierabend. Dann beschreibt er seine Situation als Ortsansässiger – “Sagt man den Leuten: >Geht doch dahin, wo Ihr den billigen Kram gekauft habt – ich kann dafür keinen Service machen<, reagieren sie meistens eingeschnappt und es beginnt eine Negativ-Mundpropaganda. Kümmerst Du Dich um jeden Mist und bekommst es nicht ordentlich bezahlt, dann powerst Du Dich aus und kannst Dich nicht mehr um die Dinge kümmern, die Geld hereinbringen. Eine böse Zwickmühle. Und irgendwann unmerklich, verdrängst du, wann es Zeit gewesen wäre, das unwirtschfltiche Treiben aufzugeben. Eigentlich war ich in der Gemeinde zuletzt ein sozialer Dienst, denn ich habe für meine Kunden und meine Gemeinde den Laden offen gehalten und gearbeitet – häufig auf eigenen Kosten . Über zwei Jahre habe ich dann nur noch gehofft, dass es besser wird und Geld draufgelegt.”

„Ich wollte die Entwicklung nicht wahrhaben, das war ein Fehler.“

Jetzt hat ihm eine seiner zwei Banken signalisiert, dass das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Die Hausbank zeigt sich bisher kulant und kooperativ – nur was nutzt das jetzt noch. Die Spielräume sind erschöpft, die Kosten für Miete und andere Nebenkosten, die monatlich auflaufen sind so, dass es ausweglos erscheint. Ein knapp sechsstelliger Schuldenberg hat sich aufgetürmt, alleine Zinskosten und Abtrag zusammen mit der Miete sind mehr, als derzeit erwirtschaftet werden kann. Der Privat- und Firmenkombi wurde schon nicht mehr ordentlich instand gesetzt und wird den nächsten TÜV nicht mehr erleben, sagt Michael. Telefon und Strom sind noch bezahlt, der Laden sieht aus, „wie aus dem Ei gepellt“ und kaum jemand ahnt, was wirklich los ist.

„Alteingesessener Fachmarkt mit Kompetenz vor Ort – kurz vor der Ausrottung“

Während er mir das so alles erzählt, kommt ein kleines, knapp sechsjähriges Mädchen in sein Geschäft und bestellt Spielzeugfiguren aus einem Katalog. Liebevoll nimmt sich Michael Zeit für das Kind und sagt ihm schliesslich, dass die Figuren übermorgen da seien. Freudestrahlend geht das Mädchen wieder. Draußen vor der Türe nimmt sie die Mutter wieder an die Hand und läuft ein paar Meter weiter zu einem kleinen Bekleidungsgeschäft. Wie lange es diese Läden noch geben wird?

Bald wird auch diese Mutter und ihr Kind mit dem Auto 30km weit in ein anonymes Gewerbegebiet vor den Toren der nächsten größeren Stadt fahren und bei „Toys-R-Us“ oder einer anderen Franchise-Kette kaufen. Mit dem öffentlichen Nahverkehr kaum zu erreichen. Aber ein Auto braucht man ja sowieso, denn es gibt ja kaum noch Geschäfte in den kleinen Orten.

„Ein Auto braucht man sowieso. Da fährt man halt.“

Michael schämt sich, sein Geschäft aufgeben zu müssen und hat Angst davor, dass in seinem Ort bekannt wird, dass er Insolvenz anmelden muss. Wie er selbst seine Zukunft mit Ende 40 in unserem Land gestalten kann, dass weiss er nicht. Im Moment weiss er noch nicht einmal, wen er um Rat fragen kann, um da einen Weg herauszufinden. Wie seine berufliche Zukunft aussehen wird, oder dass er ja fast keinen Rentenanspruch hat, daran denkt er noch gar nicht.

„Trübe Aussichten für den Kleinunternehmer vor Ort.“

Die Politik der letzten 20 Jahre hat das Leben der Menschen so unglaublich verteuert, dass sie im Konsumbereich sparen, wo sie können. Da bleibt für Solidarität mit dem Kleinunternehmer am Ort nicht mehr viel Platz, meint Michael fast verständisvoll. Er weiss längst, er kann mit diesem Konzept, selbst wenn er sich voll reinkniet und ein riesiges Angebot vorhalten würde, nicht mal mehr die Kosten einspielen. Damals als das kleine Geschäftszentrum von einem findigen Investor gebaut wurde, hat man ihn mit einem langfristigen Mietvertrag für seinen Laden gebunden. Nun befinden sich nur noch zwei Läden in der kleinen Betonpassage und die positiven Geschäftsprognosen, die Konzepte und Ideen von damals sind Makulatur.

Wenn er seinen Laden dicht macht, ist nich mehr viel übrig von der Idee des Einkaufszentrums mitten in der Gemeinde. Ein lebloser Betonklotz mehr, der nicht zu vermieten ist. Gleichzeitig entstehen draußen vor den Städten die Discounterwelten internationaler Konzerne. Nicht selten in Auen und schützenswerten Naturräumen.

„Vom angesehenen Mann ins finanzielle Aus und ins gesellschaftliche Abseits“

Wenn Michaels Lebensversicherungen und sein Besitz als selbst haftender Einzelunternehmer, sein altes Auto und die Firmeneinrichtung in die Insovenzmasse einbezogen wurden, ist von einem Tag auf den anderen eine neue, harte Realität da. Kein Job, die Wohnung muss gekündigt werden, kein Geld von irgendeiner Stelle. Da bleibt ihm nichts weiter übrig, als zu seinen greisen Eltern zu ziehen, erstmal von deren Rente mitexistieren und von da aus das Leben ganz von vorne beginnen. Ohne Kredit, ohne Auto, mit Bus und Prepaid Handy. Ein schmerzhafter Neustart in einer Welt, in der jene Werte keine große Bedeutung mehr haben, die ihm einmal vermittelt wurden.

von Hans-Udo Sattler
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Beispiel aus dem Norden: Vor 30 Jahren gab es 2.500 Einzelsgeschäfte, heute sind es weniger als 230.
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Quellen – weiterführende Links

Bildquellen: “Pleite” (c) original_R.K.by s.media, pixelio.de
und D-Ausverkauf (c) TV-Orange.de, Wolfgang Theophil


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