Einatmen. Ausatmen. Zwei Jahre sind vergangen. Bis wir uns endlich wieder in der Lage sahen, unsere Rubrik Im Gespräch zu aktualisieren. Aus aktuellem Anlass fiel die Wahl in der viel zu aufgeräumten Videothek nach ermüdend dialektischen Diskussionen auf „Der große Crash – Margin Call“. Ein Film, der einen mikroskopischen Einblick in die Psyche des entfesselten Finanzkapitalismus gewährt.
Zum Plot: Eric Dale, wahrscheinlich Chef-Risikomanager einer großer Bank [wird nie genauer spezifiziert] wird aus mysteriösen Gründen ganz plötzlich entlassen und muss noch am gleichen Tag das Unternehmen verlassen. Das von ihm nach der Kündigung mit kontrollierter Wut auf den blitzsauberen Gebäudeeingang des Bürokomplexes [in dem 99% des Films spielen] geschmetterte Handy sollte dann für die nächsten zwei Stunden die einzige emotionale Regung sein.
Als Eric kurz davor in den Fahrstuhl steigt, übergibt er seinem talentierten Junior-Mitarbeiter Peter Sullivan einen USB-Stick mit dem Hinweis, dass er die Daten überprüfen soll. Im Büro ruft Oberchef Sam Rogers, gespielt von Kevin Spacey, klatschend das geschrumpfte Team der Analyse-Abteilung zusammen, um die Illusion der unternehmersichen Unverwundbarkeit aufrecht zu erhalten. Doch einige können ihren Missmut nicht verstecken.
Phire: Ich auch nicht, aber ich spiele ja nicht mit. Mir ist langweilig, aber das liegt wahrscheinlich am Pfefferminztee.
„Sei froh, dass du noch lebst“, sagt ein junger Schmierfettkarrierist zu seinem Kollegen.
automat: Damit meint er, dass er seinen Job noch hat.
Phire: Stimmt, die verpfuschte kapitalistische Identität kennt ja kein Leben außerhalb des Falschen…
automa: Ey nee, das kannst du so nicht bringen, Mann. Die Anspielung ist viel zu offensichtlich…Jetzt denken unsere Leser, dass wir Platitüdenreiter sind…
Schnitt. Gedämpfter Feierabend-House.
Phire: Cool, ein Yuppieclub. Aha, “Jacks” Handy klingelt. Natürlich geht er sofort ran, der perfekte Company-Soldat.
Gegenschnitt. Peter Sullivan steht im abgedunkelten Büro, die leuchtende Skyline im Hintergrund, und hat die Daten auf dem USB-Stick wie gewünscht nochmal gecheckt.
Schnitt zurück in den Club. Der von Sullivan angerufene Kollege sagt: „Verdammte Scheiße“.
Phire: Darauf habe ich nur gewartet, endlich sagt das mal jemand. Gibt es eigentlich seit den 70er-Jahren einen einzigen amerikanischen Film, indem dies NICHT gesagt wird? Was sagen die eigentlich im Original? Fucking Shit?
Der Gerufene sitzt plötzlich im Auto auf dem Weg zum Büro und kann sich auch dieses Klischee nicht verkneifen: „Dieser verdammt Verkehr!“
Im Büro ist jetzt auch der Oberchef eingetroffen: „Mist. Verdammter Mist!“
Phire: Das finde ich gut, dass der Oberchef jetzt nicht „verdammte Scheiße“ sagt.
Schnitt auf die Dachterrasse in schwindelerregender Höhe. Der ölige Jung-Analyst lehnt lässig an der Brüstung und schaut pseudo-verwegen zu seinen Kollegen, um sich kurz darauf weit über das Geländer zu beugen. Sein Mund öffnet sich:
„Ihr kennt das bestimmt. Es geht nicht um die Angst herunterzufallen, sondern um die Angst, zu springen.”
Phire: Haha, ich liebe solche pathetischen Weisheiten. Es ist aber auch ein gutes Leitmotiv für den gesamten Film.
automat: Was guckt der blonde Typ die ganze Zeit so selbstverliebt?
Phire: Die verhalten sich wirklich wie Roboter. Die ganze Zeit über keinerlei Regung.
automat: Da gehts immer drum, wer die höhere Position hat aus Gründen, die nicht mit Kompetenz, sondern mit Skrupellosigkeit zu tun haben. Wie als würden sie ihren eigenen Selbsthass herausschreien, um mit sich leben zu können.
“Es gibt genau 2 Dinge, mit denen man in diesem Job erfolgreich sein kann, der erste ist, schlauer zu sein als die anderen, der andere ist, zu betrügen.”
Phire: Schon wieder so ´ne plakative neoliberale Office-Weisheit.
Der aufgrund der sich zuspitzenden Krisenlage mit dem Helikopter eingeflogene Ober-Oberchef schaut kurz nach seiner Ankunft aus dem Fenster, bereit für einen philosophischen Geistesblitz: “Das ist eine verfluchte Stadt, aber ich liebe sie.”
automat: Die sind die ganze Zeit in einer Bank. Ein modernes Kammerspiel.
Gegen Schluss des Films. 2 Yuppies fahren über die Brooklyn-Bridge und sinnieren kumpelhaft über ihren Beruf…
automat: Als ob sie so eine Gemeinschaftsgefühl haben, die sind doch lange darauf getrimmt worden, egoistisch zu sein.
Phire: So ein Quatsch. Unternehmen sind ja historisch bedingt eigtnlich dazu da, der Gesellschaft zu dienen. Also bevor es diese ganzen Finanzspekulationsgeschäfte gab.
automat: Ja, aber das ist heute total pervertiert.
Phire: Klar, aber am Ende hat die Politik die Möglichkeiten geschaffen. Ich finde dieses “Der Banker ist per se der personifizierte Egoismus”-Ding ziemlich heuchlerisch. Das nervt mich genauso wie die Emphörtheits-Orgasmen über Steinbrück´s Nebenverdienste.
automat: Geil, er raucht. Jetzt, wo die Finanzwelt untergeht, darf auch ein BWLer endlich rauchen.
Phire: Und endlich zeigt jemand auch mal Emotionen. Der kleine Mann auf der Toilette weint.
Die Nacht ist fortgeschritten und mittlerweile sitzen alle Chefs, Oberchefs und auch die eingeflogene Führungsregie am Krisentisch. Letztere fordert skrupellos den massenhaften Verkauf der wertlosen Aktien, um verzweifelt noch den letzten Profit aus der Bank zu pressen. Zu diesem Zeitpunkt wird deutlich, dass dies die ganze Weltwirtschaft in den Abgrund ziehen wird. Doch das kümmert niemanden. Der Chef erhält die Anweisung des Komplettverkaufs und stimmt, nicht ohne für einen kurzen Moment zu zögern, treu ergeben zu: “Wir haben offenbar gar keine Wahl.”
Phire: Doch haben sie, aber sie machen alle mit anstatt die Anweisungen zu verweigern. Ds Prinzip des Autoritätsgehorsams. Obwohl es mittlerweile doch einige weiße Schafe unter den unmoralischen Bankern zu geben scheint, wie ich letztens in einem Interview der Süddeutschen gelesen habe.
In der Schlussszene steht Kevin Spacey im Bademantel mitten in der Nacht in seinem Garten und vergräbt seinen Hund.
automat: Er hat sein gesamtes Geld in seinen Hund gesteckt und alles verloren…