Der gedankenlose Rassismus sozial engagierter Ökonomen

Es gibt auf der Welt viele arme Menschen, insbesondere in den so genannten Entwicklungsländern. Und es gibt angeblich sozial engagierte Wirtschaftswissenschaftler, die allerlei ökonomische Maßnahmen ausprobieren, damit die Menschen dort künftig weniger arm sind. Und immer wieder wundern sie sich, dass ihre Maßnahmen nicht funktionieren, so gut sie auch gemeint sind. Es hilft weder, armen Kindern Computer zu schenken, noch armen Frauen Mikrokredite zu gewähren. Und das obwohl der Erfinder der Mikrokredite, Muhammand Yunus, für sein edles Projekt, auch noch die Ärmsten der Armen als Zielgruppe für Kredithaie zu entdecken, einen Nobelpreis bekommen hat.

Doch das diese Maßnahmen nicht die gewünschten Effekte zeigen, ist kein Wunder – die armen Frauen beispielsweise bekommen das Geld ja nicht geschenkt, sondern müssen die Kredite ja samt vergleichsweise hoher Zinsen zurückzahlen und schnallen den Gürtel entsprechend enger. Sie können also am Ende weniger Geld ausgeben – was den anderen Wirtschaftsreibenden in ihrer Umgebung dann nicht mehr zur Verfügung steht. Denn die Frauen verkneifen sich die kleinen Vergnügungen, ein Glas Tee, ein Essen in der Garküche, ein bisschen Tabak, um ihr eigenes Geschäft voran zu bringen.

Und nicht jedes Geschäftsmodell geht auf – schließlich ist jede Frau, die mit dem geliehenen Geld unternehmerisch tätig wird, darauf angewiesen, dass es in ihrem Umfeld genügend Menschen gibt, die sich ihren Dienstleistung, gleich welcher Art sie sein mag, auch leisten können. Es findet also allenfalls ein bisschen Umverteilung unterhalb der Armen statt.

Alles in allem ist es doch selbst für einen Wirtschaftswissenschafter eine unglaublich naive Idee, man müsste nur eine Handvoll Geld unter die Leute bringen und dann würden alle Menschen im Handumdrehen erfolgreiche Unternehmer – als wäre Geld so etwas wie Blumendünger.

Dabei klappt das ja auch in unseren Breiten nicht, wie das Experiment mit den Ich-AGs zeigt, obwohl der Staat hier vergleichsweise großzügig war – die Leute haben keine Mikrokredite zu Wucherzinsen als Anschubfinanzierung bekommen, sondern zwei Jahre lang jeden Monat ein paar Hundert Euro, die sie nicht zurückzahlen mussten, um ein eigenes Unternehmen zu gründen. Aber wie das so ist, mit der freien Marktwirtschaft – egal wie erfindungsreich und engagiert die Leute auch arbeiten, wenn die Nachfrage fehlt, nützt die ganze Mühe nichts. Das ist hier nicht anders als in Indien oder Afrika. Am Ende hat diese Maßnahme vor allem dazu geführt, dass es in Deutschland plötzlich sehr viele Selbstständige gibt, die so wenig verdienen, dass sie ihr Gehalt auf den Grundsicherungssatz aufstocken müssen.

Immerhin als Disziplinierungsmittel wirken solche Maßnahmen, denn die Leute arbeiten ja. Nur sie kommen dabei zu nichts: Wer arbeitet, hat keine Zeit Geld zu verdienen.

Das genau ist aber der Punkt: Die Leute sind nicht arm, weil sie faul oder dumm sind, sondern weil Kapitalismus halt so funktioniert: Die einen haben das Geld, die anderen arbeiten dafür. Insofern ist Armut systemrelevant, ja systemerhaltend: Je weniger die Leute haben, um so billiger müssen sie ihre Arbeitskraft verkaufen, was dann wieder gut für die Unternehmer ist, die ihren Profit optimieren können. Je mehr Menschen um bezahlte Arbeit konkurrieren, die nun einmal die einzige anerkannte Existenzgrundlage in unserer Gesellschaft ist, sofern man nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde, desto mehr bleiben arm. Denn aus der Armut der einen entsteht der Reichtum der anderen.

Egal, was Wirtschaftswissenschaftler, die sich hartnäckig weigern, zu kapieren, wie ihre Wirtschaft wirklich funktioniert, an Maßnahmen austüfteln, um die geringen Gelder, die in den heutigen Zeiten für Entwicklungshilfe bereitgestellt werden, möglichst effektiv einzusetzen.

Warum denken sie nicht stattdessen einmal darüber nach, wie erbärmlich eine Welt ist, in der es überhaupt so etwas wie Entwicklungshilfe geben muss?! Oder wie arrogant es ist, Menschen, die anders leben als wir hier in den kapitalistischen Ländern irgendwie entwickeln zu wollen, weil ja diese kranke und zerstörerische Wirtschafts- und Lebensweise die einzig wahre, mögliche, erstrebenswerte ist?!

Wie begrenzt, ja rassistisch das Denken dieser Ökonomen ist, zeigt folgendes Zitat von Esther Duflo, einer französischen Ökonomin, die sich im Kampf gegen die Armut engagiert und in einschlägigen Kreisen so etwas wie ein Star sein soll:

“Das Verblüffende ist, dass Menschen, die arm sind, uns in fast allem gleichen. Wir haben dieselben Wünsche und Schwächen. Wir müssen uns die Zeit nehmen, ihr Leben in seiner Vielfalt und Komplexität kennenzulernen.”

Es gibt die Armen – das sind die anderen, und es gibt uns, denen die Armen “fast in allem gleichen”. Als sei Armut ein Gendefekt, der die Armen von “uns” weniger Armen unterscheidet. Immerhin wird den Armen mittlerweile sogar zugestanden, ein vielfältiges und komplexes Leben zu führen, und nicht einfach elend vor sich hinzuvegetieren, wie es sich in früheren Jahrhunderten für Arme geziemt hat.

Liebe Frau Duflo, die Armen, die es übrigens nicht nur in den Entwicklungsländern gibt, sondern zunehmend auch wieder in Europa, den USA und was wir sonst noch an hochentwickelten Ländern haben, in denen der Kapitalismus zur vollen Blüte gereift ist, sind genauso wie Sie – nur dass sie weniger Geld haben.

Die Armen sind keine wunderliche Rasse, die es trotz menschlicher Begabung einfach nicht auf die Reihe kriegt, reich zu werden. Es sind einfach Menschen, genau wie Sie und Ihre Wissenschaftlerkollegen. Nur dass sie das Pech haben, unter weniger komfortablen Bedingungen leben zu müssen. Und für diese unkonfortablen Bedingungen sorgt in erster Linie dieses menschenverachtende Wirtschaftssystem, das von Ihnen in keinster Weise hinterfragt wird. Beschäftigen Sie sich weniger mit dem vielfältigen und komplexen Leben der Armen und mehr mit den eigentlichen Gründen für deren Armut. Die finden Sie, wenn Sie sich anschauen, warum die Reichen reich sind: Weil sie die Armen für sich arbeiten lassen können.

Reichtum ist Macht. Solange die Reichen das Sagen haben, mag das Leben der Armen zwar vielfältig und komplex sein, aber besser wird es nicht. Schon gar nicht, wenn man den Armen helfen will, indem man ihnen beibringt, wie sie sich noch marktförmiger verhalten können. Denn eins ist klar: Es geht den Ökonomen in erster Linie darum, die Armen der Welt sowohl als Arbeitskräfte, als auch als Konsumenten für die globale kapitalistische Verwertungsmaschine profitabler zu machen. Wachstum, Wachstum, Wachstum, da wird jeder und jede gebraucht, und wenn viele Arme sich am Riemen reißen, dann kommt dabei auch was rum. Also nicht unbedingt für die Armen, auch wenn sie dieselben Wünsche und Schwächen haben wie die Reichen. Aber die Reichen haben eben auch das Geld.



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