Der irrationale Respekt der Bayern gegenüber Spitzbuben.
Als Bayer in der Ferne muss ich mal etwas zur Ehrenrettung von Land und Leute sagen: Die Leute sind dort wesentlich liberaler und lockerer, als es dieses Wahlergebnis vom Sonntag dokumentiert. Diese Affinität zu den Christsozialen ist eines der ganz großen Rätsel dieses Landstrichs.
Ich will nicht sagen, dass die Bayern grundsätzlich aufgeschlossene und weltoffene Leute wären. Ihnen hängt zum Beispiel ganz zurecht der Makel der Fremdenfeindlichkeit an - die wird aber im gepflegten Egalitarismus betrieben. Ob nun Holsteiner oder Syrer, Berliner oder Mexikaner: Der Bayer ist bei allen gleich skeptisch; Xenophobie ist dort gegen jeden gerichtet, der nicht aus Bayern ist. Lieber ist ihm letzlich ein gemütlicher Türke als irgendein Besserwessi. Und es heißt dort nicht umsonst manchmal: Saupreiß türkischa.
Es gibt ein anders Bayern: In Bayern gab es eine kurze Weile eine Räterepublik. Sie fiel dort auf fruchtbaren Boden. München war das liberale Pflaster der Bohème. Marieluise Fleißer stellte sich gegen ihre und meine Heimatstadt. In den Metropolen regieren heute noch eher Sozialdemokraten als Konservative. Es gab und gibt dort ein linkes Spektrum. Da sind Hans Söllner und natürlich Konstantin Wecker und dieser stetige bayerische Hang zur dezenten Anarchie, zur skeptischen Haltung gegenüber Macht. Mir fällt auch noch Gerhard Polt ein und die Biermösl Blosn und Carl Amery. Alles bestimmt keine bekennenden Linken, aber doch liberal, humanistisch und kritisch und sicherlich nicht der "Staatspartei" zugeneigt. Und noch eine Frage: Woher kommen Pelzig und Priol?
Und klar, dann gibt es die andere Seite. Während Erich Mühsam in München seine Rote Hilfe organisierte, predigte bereits ein gewisser Adolf Hitler in Bierkellern. Die Nationalsozialisten nannten München gar die Hauptstadt der Bewegung. Auch das war und ist Bayern.
Es ist nicht so, wie sich das manche vielleicht vorstellen, dass man den Menschen in Bayern diesen Stockkonservatismus anmerkt, den man ihnen nachsagt. Die Menschen dort sind meist so, wie sich Linke freundliche Leute vorstellen: Locker, humorvoll, extrovertiert und hilfsbereit. Ich will nicht schwelgen. Ich habe so viele Arschlöcher auch in Bayern kennengelernt. Aber die gibt es überall. Was ich sagen will ist nur, dass man die Bayern jetzt nicht in moralische Sippenhaft nehmen kann, bloß weil knapp 30 Prozent aller Wähler dieser Bande von PR-Trachtlern ihre Stimme gegeben haben.
Im bayerischen Gemüt gibt es eine Veranlagung für liberalen Geist, für linke Positionen und alternative Wege. Warum das alles nicht abgerufen, warum immer wieder dieser parteipolitische Flügel der bayerischen Wirtschaft gewählt wird, ist fast unerklärlich und kommt der Gemütslage vieler Bayern überhaupt nicht nahe. Man verwechsle bitte nicht die CSU mit den Menschen in Bayern. Man falle nicht auf dieses geschickte Spiel der Christsozialen herein, die gerne behaupten, sie spiegeln das Bayerische wider. Klar doch, Bayern ist auch muffig, spießig und bigott. Alles, was die CSU ist. Aber das ist doch nicht ganz Bayern.
Und noch ein Einschub: Nicht alle Kommunalpolitiker der CSU sind verfilzte Handlanger der Korruption. Manche sind auch Kümmerer und behandeln die Bürger fair. Ich habe so oft von krassen und weniger offensichtlichen ausländerfeindlichen Normen erzählt, die ich in meiner Kindheit und Jugend erlebte. Es gab auch Lichtblicke. Ausgerechnet auch von CSU-Leuten. Mein Vater musste viele Jahre mehr Miete für eine Sozialwohnung bezahlen als seine deutschen Nachbarn. Das war für den Vermieter - eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft - eine Art Rückversicherung. Der Spanier hätte ja auf die Idee kommen können, einfach aus Deutschland abzuhauen. Meine Mutter schrieb dann irgendwann einen langen Brief an den CSU-Bürgermeister, thematisierte diese Diskriminierung und bekam Antwort und Hilfe: Die Zuschläge wurden künftig nicht mehr erhoben und die bisherigen Zahlungen erhielt mein Vater zurück. Es sind längst nicht alle in diesem Verein ignorante Idioten.
Die Stimmen zur Landtagswahl in Bayern ärgern mich. Sie sind versucht, Bayern als schrecklich rückschrittliches Bundesland hinzustellen. Als Hort des weiß-blauen Egoismus. Seehofer ist nicht der Prototyp eines Bayern. Strauß war es auch nicht. Und kaum jemand stammelte je wie Stoiber. Natürlich brüskiert dieses Mia san mia die Menschen in Deutschland. Die Frage ist natürlich, was man damit verbindet. Wie die CSU den Länderfinanzausgleich als anti-bayerisches Teufelswerk? Oder ist es eher als kultureller Patriotismus zu verstehen?
Ich würde als jemand, der fast sein ganzes Leben in Bayern verbrachte, gerne erklären können, warum ausgerechnet diese reaktionäre CSU solche Ergebnisse einfährt. Warum sie immer wieder die Regierung spielen darf. Ich kann nicht. Oder sagen wir: Ich kann es nur versuchen.
Das Wahlverhalten und die Alltagserfahrung sind in Bayern nicht deckungsgleich. Womöglich hält man dieses Prinzip des Eine-Hand-wäscht-die-andere, vulgo Korruption genannt, nicht für besonders schlimm. Man könnte ja auch selbst davon profitieren. Da wäre es ja blöd, wenn man jetzt gegen den Filz ist. Jemand der dreiste Geschäfte macht, der betrügt und hintergeht, über den sagt man im anerkennenden Ton schon mal: A Hund is a scho. Bedeutet: Diese Frechheit hat Courage. So sprach man über Strauß. Jeder hat gewusst, was das für einer war. Aber man hatte seine Finten als Chuzpe anerkannt und ihn einfach machen lassen.
Insofern wäre die Wieder- und Immer-wieder-Wahl der CSU der bayerischen Abneigung für von oben verordnete Regeln und Gesetze zu verdanken. Es ist ja in Bayern kein Skandal, wenn man sich nicht an Gesetze hält, sondern wird als ein Akt der Courage betrachtet.
Da gibt es Reminiszenzen: Man gedenkt heute noch liebevoll dem Donaumoosräuber Gänswürger oder dem Raubmörder Kneißl. Sie gelten als wackere Burschen, die sich gegen die Regierung, den König und den Staat gestellt und "ihr Glück in die eigene Hand genommen hatten". Das ist wahrlich eine kuriose Romantik in der bayerischen Volksseele. Denn es ist ja nicht so wie andernorts, wo man diversen Räubern eine Aura der Anständigkeit (Stichwort: Robin Hood) verliehen hat. Nein, man weiß ganz gut, dass diese Kerle gnadenlose Schänder und eiskalte Mörder waren. Trotzdem schwingt da immer das Stereotyp vom Outlaw, vom Rebell gegen die Obrigkeit mit, von jemanden, der seinen Weg gegen alle Widerstände ging. Das bayerische Gemüt bewundert skurrilerweise genau solche Typen besonders, wenn sie sich gegen die Legalität gestellt hatten. Wenn sich einer gegen den Massengeschmack oder den Zeitgeist stellt, bewundert man ihn nicht, sondern hält ihn für einen unappetitlichen Typen.
Das könnte man einen bürgerlich-radikale Anarchismus gegen die Machthaber nennen. Eine Haltung, die in der bayerischen Mentalität, zwischen Sturheit und Stolz mäandernd, verankert scheint. Ein Reflex, der auf die CSU angewandt natürlich nicht mehr gilt, denn sie bietet Amigo-Dienste nicht gegen die Obrigkeit an - sie ist selbst die Obrigkeit. Den Kneißl- oder Gänswürger-Effekt hält man nur aufrecht, indem man eine Art Bavarian Angst entfacht, nach der die CSU nicht mehr Obrigkeit, sondern eine am Rande der Legalität arbeitende Bande gegen die Übergriffe aus Berlin ist.
Das ist sicherlich keine zufriedenstellende und schon gar keine ausführliche Erklärung. Das ist mir bewusst. Aber es ist ein Versuch. Dieser irrationale Respekt vieler Bayern vor den Spitzbuben, die Anerkennung ihres Treibens als Leistung, nicht als etwas, was zu es zu bestrafen gilt, macht die Christsozialen zur ewigen Option. Je mehr die auf dem Kerbholz haben und je raffinierter die Schliche, desto eher werden sie gewählt. Hund sans scho, de Leit von da CSU. Wenn die mal anständig werden, dann schaut die Sache anders aus. Anstand wird natürlich auch in Bayern geschätzt: Wenn man ein Nichts ist - oder nur wenig darstellt. Aber als jemand, der in der Öffentlichkeit steht, sollte man schon etwas auf dem Kerbholz haben, um als Mannsbild von Schrot und Korn angesehen zu werden. Sonst gilt man als langweilig und ist unwählbar. Und auch hier ist wichtig: Frauengeschichten und Drogen gelten nicht als Skandale. Es müssen schon materielle Schnippchen sein. Geldbörsen wie beim Kneissl oder Schmuck wie beim Gänswürger. Die Bevorteilung von Unternehmen von Freunden und Bekannten, wie es bei der CSU Usus ist, ist die Fortführung dieser Schandtaten - mit demselben Effekt bei der Bevölkerung.
Wer auf sich und seine Leute schaut, und sei es mittels halbseidenen Aktionen, der erhält Lob, den klopft man auf die Schulter. Dass die Allgemeinheit von solchen Aktionen nichts hat, bei denen ein Minister seinem Vetter einen Auftrag der öffentlichen Hand zuschustert, wird dabei einfach übersehen. Es ist fast ein bisschen so wie bei Dagobert, als der mit allerlei Tricks und unverfrorenen Witz sein Lösegeld forderte. Die RAF hatte eine Weile denselben Rückhalt. Erst war es ja nur herrlich ungezogen, was die Leute da taten. Nachher wurde es erst mörderisch. Bei Dagobert regten sich einige Zeitgenossen tierisch auf, dass die Menschen auf seiner Seite standen. Schließlich sei er ein Krimineller. Diese Haltung ist in Bayern Dauerzustand.
Trotz allem: Bayern ist nicht die CSU. 70 Prozent aller wahlberechtigten Bayerinnen und Bayern haben die CSU nicht gewählt. Das muss man auch mal hervorheben. Von Staatspartei kann also keine Rede sein.
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