Rot-Grün in Ohnmacht

Eine rot-grüne Chronik in den klassischen Farben schwarz und gelb. 

Zwei Lesebändchen hat sich der Verlag als Gag ausgedacht. Eines in Rot und eines in Grün. Das rote Bändchen war passend schon nach wenigen Tagen aufgedröselt. Das grüne hielt etwas länger. Das drängte sich mir als Metapher auf.

Rot-Grün in Ohnmacht

Quelle: Verlag C.H.Beck

Edgar Wolfrum legt eine Chronik jener denkwürdigen Schröder/Fischer-Jahre vor, die kaum ausführlicher ausfallen konnte. Er erzählt dabei eine Geschichte vom Scheitern und Getriebensein, von Eitelkeit und Selbstverblendung, von einer Regierung, die sich in weiten Teilen von der konservativen Opposition und ihrer schreibenden Zunft anleiten ließ. Und er erzählt, wie sich das Rote in jener denkwürdigen Koalition stärker abnutzte als das Grüne. Wie bei den beiden Lesebändchen. Vom Geflecht blieben nur einige lose Fäden. Vom "linken Projekt" nur wenige Fasern - das ist sie, die am Buchblock befestige Metapher aus Stoff.

Mit welchem Elan ging diese Gesellschaft den Wechsel nach Jahren schwarz-gelber Agonie an. Endlich sollte der Mief gelüftet werden und das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft gestärkt hervorgehen. Der Neoliberalismus griff bereits um sich und die Sozialdemokratie sollte ihn an die kurze Leine nehmen. Heute wissen wir mehr.

Wolfrum zeichnet die Regierungszeit Schröders unter anderem als eine Ära des Getriebenseins. Und das ist sicherlich nicht ganz falsch. Weder freute sich die rot-grüne Koalition über Bundeswehreinsätze im Ausland, die aber von den Bündnispartnern erwartet wurden. Noch hat sie den 11. September 2001 eingeplant, der dann die Sicherheits-, Außen- und Innenpolitik beeinflusste. Zur Agenda 2010 wurde sie von der Weltuntergangsstimmung der Medien gepeitscht. Manchmal klingt das bei Wolfrum wie eine Entschuldigung. Aber immerhin er läßt stets ein breites Stimmungsbild entstehen, indem er Befürworter und Kritiker zitiert.

Etwas mehr Courage und Chuzpe hätte den Sozialdemokraten und Grünen im Strudel der Weltenläufte gutgetan. Die Verweigerung am Irak-Einsatz war so eine Haltung. Auch wenn man nachher erfuhr, dass Deutschland trotzdem zur passiven Hilfe herangezogen wurde, muss man doch attestieren, dass das damalige Nein Schröders mutig war. Mehr solcher Nein gegen auferlegte Zwänge hätte man sich gewünscht. Vielleicht hätte dann die fortschreitende Neoliberalisierung verhindert werden können.

So aber wurde aus Rot-Grün eine Zeit der Enttäuschung. Wolfrum schreibt aber auch, dass es eine Wendezeit war. Es zog anfangs ein liberaleres Klima in der Bundesrepublik herauf. Geschlechterpolitisch regte sich etwas. Und die geschichtliche Aufarbeitung Deutschlands wurde betrieben wie nie zuvor. Entschädigungen an Zwangsarbeiter ausgezahlt und die historische Verantwortung betont. Allerdings so exzessiv, dass Deutschland fast wie der zwar gedemütigte, aber doch moralische Sieger des Weltkrieges aussah. Schröder stand ja auch neben den Staatschefs der Siegermächte, die eine Militärparade zum Festtag des Sieges in Moskau abnahmen. Fischer ließ sich gar zum Ausspruch "Nie wieder Auschwitz!" hinreißen, um den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo ethisch zu legitimieren.

Das rot-grüne Projekt hätte etwas werden können. Vielleicht hat man nach dem Kohl nicht gleich Filet erwartet, aber doch etwas Genießbareres. Peu a peu brachen dann unter Rot-Grün frostige Zeiten an. Der soziale Winter wurde als nachhaltigste Errungenschaft jener Ära installiert. Die Agenda 2010 als großer Wurf verkauft und Millionen Menschen in die Aussichtslosigkeit eines teils zentralisierten, teils dezentralisierten Verwaltungsapparates geschmissen. Das Menschen- und Gesellschaftsbild des Neoliberalismus zog in die Sozialgesetzgebung ein. Man verwaltete nicht mehr Arbeitslose oder Arbeitsunfähige, man hatte es urplötzlich mit Schmarotzern, Betrügern und Schwindlern zu tun.

Wolfrum bemüht häufig die Sichtweise der neoliberalen Wahrnehmung, des ökonomisch angebotsorientierten Mainstream. So unterstellt er der Schröder-Regierung zum Beispiel, dass sie aus Gründen des demographischen Drucks reagieren musste, die Riester-Rente lediglich ein Produkt dieses Sachzwangs war, dass es quasi keine Alternativen hierzu gab. Es stimmt zwar, dass die Regierung so handelte, beleuchtet aber nicht die demographischen Fakten, die viel zu oft aus neoliberalen Think Tanks stammten. So ist das bei Rot-Grün an der Macht häufig. Überalterung und zu hohe Lohn- plus Nebenkosten, Globalisierung und unbezahlbarer Sozialstaat: Die ewigen Formeln des Mainstreams hinterfragt Wolfrum leider zu selten.

Manchmal drängte sich deshalb beim Lesen der Eindruck auf, als habe der Autor sein Buch falsch betitelt. Statt Rot Grün an der Macht wäre Rot-Grün in Ohnmacht trefflicher gewesen. Die sieben Jahre an der Macht scheinen nach dieser Lesart eine Ära der Ohnmachtsimpulse gewesen zu sein. Man reagierte nur, agierte defensiv, ließ sich Debatten, Reformen und Handlungsweisen aufzwingen.

Diese stilisierte Ohnmacht dient so als gewisse Entlastung. Rot-Grün war folglich eine getriebene Regierung. Und keine durchtriebene. Viel zu viele Felder seien nach Wolfrum durch Sachzwänge so beeinträchtigt gewesen, dass man kaum Handlungsspielraum hatte. Wirtschaftliche Interessen und teils aufgebauschte Wasserstandmeldungen machten Politik. Man hat sich viel zu leicht unterbuttern lassen. Er bringt das zu oft als Entschuldigung vor und nicht als Vorwurf.

Trotzdem ist Rot-Grün an der Macht schon jetzt als Standardwerk jener Jahre einzuordnen. Es erfasst den Zeitgeist und die Denkmodelle dieser seltsamen Zeit der Jahrtausendwende - und es skizziert die oft naive, manchmal allerdings auch dreiste Herangehensweise von Sozialdemokraten und Grünen, die ihr Menschenbild gründlich revidiert und es fast in Konservative umgeschult hatten. Rot-Grün an der Macht ist eine reichhaltige Chronik. Es ist die lesenswerte Geschichte vom Niedergang einer volksparteilichen Linken. Dieser Niedergang ist letztlich das nachhaltigste Erbe dieses "linken Projektes".


Rot-Grün an der Macht von Edgar Wolfrum ist im Verlag C.H. Beck erschienen.


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