François Truffaut versuchte Hitchcock im berühmten Marathoninterview, das später unter dem Titel "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" in Buchform erschien, davon zu überzeugen, dass "Der falsche Mann" zu den schwächeren Arbeiten des Regisseurs gehöre. Truffauts Argumentationsbeharrlichkeit mag überzeugend sein, aber Hitchcock ließ sich zu Unrecht alles Schlechte eines Films einreden, der hauptsächlich aus dem Abseitigen, Abweichenden und geradeheraus Krummen auffällig eigen, aber folglich ungemein lehrreich in Bezug auf die Denkart Hitchcocks daherkommt.
Hitchcock praktiziere das Absurde wie eine Religion, gestand er, und in seinem Werk "Der falsche Mann" gestattet er der Ehefrau (Vera Miles) des von der Polizei irrtümlich verfolgten Protagonisten (Henry Fonda) ein schallendes, übermütiges, übernatürliches Lachen, nachdem sich stückweise herausgestellt hat, dass zwei der Entlastungszeugen für die angegebene Tatzeit, die dringend notwendigen Alibis, verstorben sind. Ein Lachen, das man im schwärzesten Moment unermesslicher Machtlosigkeit nicht vermuten würde; es ist das Absurde an den falschen Stellen, das Hitchcock so verehrt hat und jene Eigentümlichkeit des pummeligen Gentlemans mit zwei Gesichtern, der die Furcht (hier: vordergründig vor der Polizei) und Hoffnungslosigkeit mit magenbitterstem Humor neutralisiert.
Seinen diskutierbaren Kernaussagen im Interview zum Trotz, liegt Hitchcock jedoch in dem Punkt richtig, dass der sich in die Geschichte Manny Balestreros (Fonda) hineinschiebende, psychische Zerfall seiner Frau und damit seines zuvor ausreichend emotional gezeichneten Familienlebens allzu losgelöst von der Dramatik des seine Unschuld beweisenden Opfers ablenke. Vera Miles' schwülstiges Overacting torpediert zudem, und das ist ein ironischer Nebeneffekt, die spröde Sachlichkeit mit "antirealistischen" (Truffaut) Theatergesten.
Das ist das Abseitige, das Abweichende und Krumme, das ist der konzeptionelle Widerspruch dieses erzählrhythmisch schlafwandelnden Films, der zunächst in brutaler, minutiös protokollierter Distanziertheit der Scham Henry Fondas während der dokumentarisch unterfütterten Polizeiarbeit gehorcht, der abwechselnd auf seine Füße, die Handschellen, sein Gegenüber im Polizeiwagen blickt. Fondas kraftvoll elementares Versinken in einen innerlich und äußerlich verkrampften Menschen, an dem der Zweifel nagt und in ständiger Gefangenschaft zu sein scheint, charakterisiert in stechenden subjektiven Texturen die Gedankenwelt eines Mannes, an dem, wie Hitchcock ebenfalls anmerkt, die Normalität des Lebens vorbeizieht, obwohl er in seiner eigenen Wirklichkeit längst eingesperrt ist. Mit der denkwürdigen Auflösung des Falles, eine von virtuosem Sachverstand unterstrichene, obschon christlich konnotierte Überblendung des wahren Tätergesichts auf das des betenden Fondas (bezeichnenderweise beim Betrachten eines Jesus-Bildes), der im Polizeirevier daraufhin seinen Peiniger trifft, endet "Der fremde Mann" Hitchcock-exzentrisch, ja rührselig. Der Druck entweicht stoßweise und der fremde Mann ist, nun per Beweis rechtskräftig, wahrlich nicht schlecht.
6 | 10
Hitchcock praktiziere das Absurde wie eine Religion, gestand er, und in seinem Werk "Der falsche Mann" gestattet er der Ehefrau (Vera Miles) des von der Polizei irrtümlich verfolgten Protagonisten (Henry Fonda) ein schallendes, übermütiges, übernatürliches Lachen, nachdem sich stückweise herausgestellt hat, dass zwei der Entlastungszeugen für die angegebene Tatzeit, die dringend notwendigen Alibis, verstorben sind. Ein Lachen, das man im schwärzesten Moment unermesslicher Machtlosigkeit nicht vermuten würde; es ist das Absurde an den falschen Stellen, das Hitchcock so verehrt hat und jene Eigentümlichkeit des pummeligen Gentlemans mit zwei Gesichtern, der die Furcht (hier: vordergründig vor der Polizei) und Hoffnungslosigkeit mit magenbitterstem Humor neutralisiert.
Seinen diskutierbaren Kernaussagen im Interview zum Trotz, liegt Hitchcock jedoch in dem Punkt richtig, dass der sich in die Geschichte Manny Balestreros (Fonda) hineinschiebende, psychische Zerfall seiner Frau und damit seines zuvor ausreichend emotional gezeichneten Familienlebens allzu losgelöst von der Dramatik des seine Unschuld beweisenden Opfers ablenke. Vera Miles' schwülstiges Overacting torpediert zudem, und das ist ein ironischer Nebeneffekt, die spröde Sachlichkeit mit "antirealistischen" (Truffaut) Theatergesten.
Das ist das Abseitige, das Abweichende und Krumme, das ist der konzeptionelle Widerspruch dieses erzählrhythmisch schlafwandelnden Films, der zunächst in brutaler, minutiös protokollierter Distanziertheit der Scham Henry Fondas während der dokumentarisch unterfütterten Polizeiarbeit gehorcht, der abwechselnd auf seine Füße, die Handschellen, sein Gegenüber im Polizeiwagen blickt. Fondas kraftvoll elementares Versinken in einen innerlich und äußerlich verkrampften Menschen, an dem der Zweifel nagt und in ständiger Gefangenschaft zu sein scheint, charakterisiert in stechenden subjektiven Texturen die Gedankenwelt eines Mannes, an dem, wie Hitchcock ebenfalls anmerkt, die Normalität des Lebens vorbeizieht, obwohl er in seiner eigenen Wirklichkeit längst eingesperrt ist. Mit der denkwürdigen Auflösung des Falles, eine von virtuosem Sachverstand unterstrichene, obschon christlich konnotierte Überblendung des wahren Tätergesichts auf das des betenden Fondas (bezeichnenderweise beim Betrachten eines Jesus-Bildes), der im Polizeirevier daraufhin seinen Peiniger trifft, endet "Der fremde Mann" Hitchcock-exzentrisch, ja rührselig. Der Druck entweicht stoßweise und der fremde Mann ist, nun per Beweis rechtskräftig, wahrlich nicht schlecht.
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