Der Fall Kachelmann und die Veröffentlichungsphobie der Staatsanwaltschaft

Der Fall Kachelmann und die Veröffentlichungsphobie der Staatsanwaltschaft

© Gerd Altmann/Shapes: AllSilhouettes.com / pixelio.de

Sicherlich gibt es nicht mehr sehr viele Menschen in Deutschland, die sich für den Fall Kachelmann interessieren. Es ist einfach erledigt, der Wettermoderator Jörg Kachelmann ist vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner ehemaligen Freundin freigesprochen, aber der Makel der als Nachverurteilung empfundenen Urteilsbegründung des Landgerichts Mannheim, die Zweifel an seiner Unschuld säte, bleibt – auch wenn sie rechtlich völlig unerheblich war und ist. Doch vielleicht wird Herr Kachelmann selbst inzwischen mit dieser unsäglichen mündlichen Begründung des inzwischen rechtskräftigen Freispruchs seinen Frieden geschlossen haben, denn man kann der Presse entnehmen, dass er seitdem nicht nur eine Reihe von erfolgversprechenden neuen Projekten begonnen hat, sondern auch noch Ruhe in seine Unternehmungen bringen konnte. Ob er sich da noch auf den weiten Weg machen will, durch ein Verfahren gegen die Nebenklägerin Genugtuung und Wiederherstellung seiner Rechte zu erreichen? Ich weiss es nicht – und kann es auch nicht beurteilen.

Trotzdem sollte man Folgendes bedenken: Das Gericht in Mannheim hat den Sachverhalt aufgeklärt, und zwar so weit, dass ein Freispruch zwingend zu erfolgen hatte, denn:

Die von der Nebenklägerin getätigten Angaben, am Nachmittag des Tattages in ihrem Briefkasten einen anonymen Brief zusammen mit einer Ablichtung von zwei aus September 2008 datierenden Flugtickets Kachelmanns mit einer Frau vorgefunden zu haben, waren falsch.

Ebenso falsch waren ihre Angaben, keine Ahnung zu haben, wer ihr den Brief geschickt haben könnte, sie habe sodann nach der Frau gegoogelt, aber keinen Kontakt mit ihr aufgenommen und wisse nicht, ob es sich auch um die Frau handele. Darüber hinaus hat sie mit der Art und Weise des von ihr verschwiegenen, über Monate geführten Mailverkehrs mit der Frau, nach der sie – wie stets ebenfalls verschwiegen bzw. in Abrede gestellt hat – frühzeitig per Google gesucht hatte, ein nicht unbeachtliches Fantasie- und Beharrungsvermögen unter Beweis gestellt.

Ausserdem gab sie für den Zeitpunkt der Erlangung des fraglichen (in Wirklichkeit von ihr gefertigten) Briefes fälschlich an, diesen nach dem mit Jörg Kachelmann am Nachmittag im Hinblick auf das abendliche Zusammentreffen geführten Chat vorgefunden zu haben. Mit dieser Lüge wollte sie die Veränderung des schriftlich abgesprochenen Verlaufs des Abends erklären: man hatte schriftlich verabredet, erst die „Hauptaufgabe“ (Sex) zu erledigen und dann zu essen, Kachelmann sagte aus, man habe absprachegemäss erst die Hauptaufgabe erledigt und dann gegessen (was ja die Vergewaltigung unmöglich machen würde), sie aber behauptete, sie habe es sich nach Zugang des Briefes am Nachmittag (Lüge!) anders überlegt, man habe erst gegessen und dann sei es zur Vergewaltigung gekommen.

Die wahrheitswidrigen Angaben hielt die Nebenklägerin von Februar bis April gegenüber Polizei und Therapeut aufrecht und räumte sie erst am 20.4.2010 und dann erst auf eindringlichen Vorhalt der beiden vernehmenden Staatsanwälte ein; das Verhalten erschüttert zweifellos die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin, auch und insbesondere die Ermittlung des Wahrheitsgehalts der Angaben zum Vergewaltigungsvorwurf, dem Kerngeschehen. Dadurch, dass sie auch unter Befragungsdruck ihre Falschangaben durchgehalten hat, hat sie ihre Fähigkeit zur Konstruktion und Aufrechterhaltung einer Falschaussage unter Beweis gestellt.

Nach der Begutachtung der Sachverständigen Prof. Greuel weist die Aussage der Nebenklägerin zur angeblichen Vergewaltigung selbst erhebliche Mängel auf, die bereits die sog. Mindestanforderungen betreffen (Logik, Konsistenz, Detailierung, Konstanz, Strukturgleichheit). Demzufolge konnte die Sachverständige einen etwaigen Erlebnisbezug der Aussage nicht bestätigen.

Auch gibt es keinerlei verwertbare weitere Indizien, die für die Wahrheit der Aussage der Nebenklägerin sprechen – allen voran und exemplarisch sei erneut die Spurenlage am Messer genannt, die den von der Nebenklägerin geschilderten Hergang der Ereignisse gerade nicht stützte.

Und deswegen ist Jörg Kachelmann freigesprochen worden, eigentlich ohne Wenn und Aber, wenn – ja, wenn es nicht diese mündliche Urteilsbegründung gegeben hätte.

Und deswegen bleibt eine Frage: reicht das für eine Anklage gegen die Nebenklägerin? Für die bisherigen zivilrechtlichen Verfahren auf Unterlassung hatte Jörg Kachelmann den rechtlichen Vorteil, dass nicht er die Wahrheitswidrigkeit der ihn belastenden Äusserungen ausserhalb der Hauptverhandlung nachweisen musste, sondern die Gegenseite den Wahrheitsgehalt – was sie naturgemäss nicht konnte und deswegen auch nicht versuchte. Bei einer Strafanzeige gegen die Nebenklägerin sieht das anders aus. und da beginnen die Probleme eher nicht im objektiven Tatbestand des Falschbeschuldigungsvorwurfs, sondern im subjektiven Bereich. Jörg Kachelmann braucht nicht nur den Nachweis einer „Falschaussage“, sondern den einer „intentionalen Falschaussage“, also den Vorsatz, bei dem allerdings die Mitleidstouren greifen können, für die man im Verfahren schon vorgebaut hat:

Die Mangelhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin zum Kerngeschehen wurde durch die Staatsanwaltschaft mit dem Todesangst bedingenden Messereinsatz (Trauma) erklärt. Zum Einen ist dies ein Zirkelschluss, zum Anderen war der Einsatz des Messers gerade nicht zu beweisen. Aber dann könnte die bei der Nebenklägerin diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung, in deren Folge auch die Fähigkeit eingeschränkt sein kann, Erlebtes wiederzugeben, eben nicht durch ein lebensbedrohliches Ereignis (Messereinsatz) ausgelöst worden sein, sondern durch das Geständnis eines mehrjährigen systematischen Betruges gegenüber der sozial skeptischen, gehemmten und verschlossenen Nebenklägerin, die Jörg Kachelmann blind vertraut hat. Bejaht man dies (nicht den Betrug, sondern die posttraumatische Belastungsstörung und die daraus resultierende Einschränkung), dann ist man ganz schnell an dem Punkt, dass sie eben nicht mehr wusste, was sie sagte, dass sie sich das angebliche Tatgeschehen einfach einbildete, und dies natürlich aufrund der posttraumatischen Belastungsstörung ohne Schuldvorwurf: und so könnte sie nicht mehr für ihre Falschaussage strafrechtlich verantwortlich gemacht werden.

Ein teuflischer Gedanke! Aber einer, mit dem sich sicherlich auch Jörg Kachelmann intensiv beschäftig haben wird.

In diesem Zusammenhang, doch weg vom konkreten Fall stellt sich die Frage, inwieweit deutsche Gerichte durch mündliche Urteilsbegründungen Meinungen machen dürfen – Meinungen, die unter Umständen wenig mit den tatsächlichen Fakten zu tun haben und deren Wahrheitsgehalt jedenfalls nur in Kenntnis der tatsächlich relevanten, d.h., schriftlichen Begründungen von der Öffentlichkeit geprüft werden können.

Denn immerhin gibt es eine fatale Parallelität der Verfahrensausgänge zweier Prozesse, die wegen Vergewaltigung gegen Prominente geführt worden sind:

Da ist auf der einen Seite das Verfahren Kachelmann, bei dem am Ende ein nicht ganz unerheblicher Verdacht besteht, dass der Angeklagte nicht etwa ein Vergewaltiger war, sondern das Opfer einer Falschbeschuldigung. Eigentlich würde man da erwarten, dass in so einem Fall bei einem Freispruch zumindest ein Anfangsverdacht gegen die Nebenklägerin seitens der Staatsanwaltschaft geprüft werden würde, aber dies ist offensichtlich bis zum heutigen Tage nicht der Fall. Und die mündliche Urteilsbegründung des Gerichts lässt durchaus auch nicht zwingend auf eine solche Ermittlung schliessen, denn der Beschluss setzt sich in erster Linie mit Nebenkriegsschauplätzen des Prozesses auseinander, verteilt Schelte gegen diejenigen, die im Prozess einen sehr ordentlichen Job gemacht haben – und umgeht geschickt die eigentlichen Fragen: wie viele der Anschuldigungen der Nebenklägerin waren beweisbar – und wie viele waren vielleicht sogar nachweislich gelogen? Und wie berechtigt ist die Kritik, die hier von vielen Seiten an der Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft angebracht wurde, wie unabhängig und unvoreingenommen war die „objektivste Behörde der Welt“ wirklich? Und wie sehr liess sich das Gericht von dieser Staatsanwaltschaft treiben, wie wenig hatte es das nachher gefundene Ergebnis des Freispruchs während des Prozesses im Auge, als man das gesamte Privatleben des Angeklagten in das Licht der Öffentlichkeit – und ihn damit in den Dreck der Boulevardmedien – zog?

Auf der anderen Seite ist da der Fall des Fernsehmoderators Andreas Türck, dessen Abschluss die sehr bekannte Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen mit den Worten: „Der völlig unnötige Prozess“ (Klick) klassifizierte. Auch dort wurde einer Verfolgung des angeblichen Opfers schon einmal in der mündlichen Urteilsbegründung umfänglich vorgebeugt – Frau Friedrichsen beschreibt dies so:

„Freispruch – und doch kein Grund zum Jubeln: Der ehemalige Fernsehmoderator Andreas Türck ist, wie sogar von der Staatsanwaltschaft beantragt, freigesprochen worden, weil die Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichten. Er könnte damit zufrieden sein. Doch ist er es?

Wer weiß, dass er nichts Strafbares getan hat, dem genügt ein solcher Spruch meist nicht. Er hofft auf Rehabilitierung, auf die Wiederherstellung seines guten Rufes, auf Wiedergutmachung des Schadens, der ihm durch Verdacht, Ermittlungen, Anklage und zuletzt die Hauptverhandlung zugefügt wurde. Er hofft auf die Tilgung des Makels, der ihm seit der Berührung mit der Strafjustiz anhaftet.

Eine unerfüllbare Hoffnung, vor allem, wenn eine Person angeklagt wurde, die in der Öffentlichkeit steht. Sie hofft, dass ihr vor dieser Öffentlichkeit, die sie zunächst auf der Anklagebank wahrgenommen hatte, wenigstens Genugtuung widerfährt durch eine entsprechende Urteilsbegründung. Dass der Freispruch auch wie ein Freispruch klingt.

Doch auch diese Hoffnung hat sich für Andreas Türck nicht erfüllt. Nicht nur, dass die mündliche Urteilsbegründung durch die Vorsitzende der 27. Strafkammer des Landgerichts, Bärbel Stock, nicht so eindeutig war, wie sie sich ein zu Unrecht Angeklagter wünscht – es schwang immer wieder ein leiser Ton des Bedauerns mit, dass man nicht hatte verurteilen können. Sondern die Vorsitzende enthielt sich auch – fast – jeder Kritik an der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren mit staunenswertem Eifer vorangetrieben hatte. Fast: „Man kann durchaus diskutieren, ob im Zwischenverfahren nicht schon mehr hätte geklärt werden können“, sagte die Vorsitzende. Das war’s an Kritik.“

Die Parallelen sind unübersehbar: eine blamierte Staatsanwaltschaft, ein hilfloses Gericht, eine von einer Anklage wegen Falschbeschuldigung bedrohte Nebenklägerin – und eine mündliche Urteilsbegründung, die keinerlei rechtliche Relevanz hat, allerdings allen Prozessparteien nutzt – mit Ausnahme des Angeklagtens, den man nicht nur durch das Verfahren, sondern auch noch durch diese mündlichen Ausführungen massiv beschädigt.

Doch es gibt einen gravierenden Unterschied: die schriftliche Begründung des OLG Karlsruhe bzgl. der Haftentlassung des Herrn Kachelmann und die schriftliche Urteilsbegründung des Gerichts bzgl. des Freispruchs gibt es, wenn auch nicht öffentlich und nur interessierten Kreisen zugänglich – die natürlich ein nicht unerhebliches Risiko eingehen, wenn sie diese Texte ganz oder teilweise der Öffentlichkeit ohne Genehmigung der Staatsanwaltschaft zugänglich machen.

Dabei könnte die schriftliche Urteilsbegründung im Fall Kachelmann pikanterweise durchaus aufgrund eines Missverständnisses entstanden sein, jedenfalls drängt sich ein solcher Verdacht bei einem näheren Vergleich der beiden Fälle förmlich auf: Herr Türck erhielt keine schriftliche Begründung seines Urteils, denn sein Freispruch wurde nicht mit einem Rechtsmittel angefochten. Und auch die Mannheimer Staatsanwaltschaft hatte vor dem Urteil zunächst durchblicken lassen, man werde jede erstinstanzliche Entscheidung akzeptieren (und so bei einem Freispruch eine schriftliche Urteilsbegründung verhindern). Der spätere Ablauf einschliesslich der allerdings nicht bestätigten harschen Auseinandersetzungen zwischen der Nebenklägerin und ihrem Rechtsanwalt noch in den Räumlichkeiten des Landgerichts Mannheim könnten also durchaus zu Spekulationen Anlass geben, dass man die Entstehung der schriftlichen Urteilsgründe eher dem Umstand zu verdanken hat, dass jemand Anderes vorpreschte und Rechtsmittel einlegte.

Dies würde auch durchaus dazu passen, dass die Staatsanwaltschaft Mannheim nun sowohl die schriftliche Begründung des Beschlusses aus Karlsruhe wie auch die des Freispruchs unter Verschluss hält. Bisher konnte sie sich jedenfalls nicht dazu durchringen, eine neutralisierte und anonymisierte Fassung zumindest des Beschlusses des Oberlandesgerichts Karlsruhe vorzulegen – ein Beschluss, aus dem sich nach Angaben aus schweizer Zeitungen, die seinen Inhalt wohl kennen, recht peinliche „Zirkelschlüsse“ der Staatsanwaltschaft bei der Beweiswürdigung schon vor dem Beginn des eigentlichen Strafverfahrens ergeben sollen, der aber kaum erhebliche und bisher unbekannte Einzelheiten über das Privatleben des Angeklagten oder der Nebenklägerin enthalten dürfte, denn die exzessive Ermittlung ihrer Lebensumstände wurde ja erst Hauptbeschäftigung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft im eigentlichen Strafverfahren – also zu einem Zeitpunkt, als vermutlich „die Messe längst gelesen“ war.

All dies rechtfertigt es nach meiner Einschätzung, weiter auf eine Veröffentlichung der schriftlichen Begründungen zu drängen, und zwar jenseits eines voyeuristischen Interesse an Einzelheiten aus der Beziehung zwischen dem Angeklagtem und der Nebenklägerin, denn dieses Interesse dürfte während des Prozesses schon durch diverse Medien mehr als befriedigt worden sein – Lussmeitlis und Honorare der Zeitschrift „Bunte“ sei Dank.

Es wird also Zeit, mal wieder ein Update zu meiner kleinen Auseinandersetzung mit Herrn Oberstaatsanwalt Oskar Gatter hinsichtlich der Veröffentlichung in diesen Blog zu stellen, denn inzwischen liegt meine Klage bzgl. der Entscheidung des OLG Karlsruhe bei Gericht.

Den Inhalt können Sie nachfolgend (allerdings ein wenig gekürzt) nachlesen:

„Es wird beantragt,

(…)

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine anonymisierte und neutralisierte Fassung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29.07.2010, Az. 3 Ws 225/10 gegen Kostenerstattung zur Verfügung zu stellen.

Für den Fall, dass das angerufene Gericht sich für unzuständig erklärt, beantrage ich schon jetzt die Verweisung an das sodann zuständige Gericht.

Begründung:

Die Parteien streiten um die Möglichkeit der Veröffentlichung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe über die Haftentlassung im sogenannten „Fall Kachelmann“.

(…)

Dem unter anderem im Fernsehen als Wettermoderator tätigen Unternehmer Jörg Kachelmann wurde der Vorwurf der schweren Vergewaltigung seiner ehemaligen Freundin und späteren Nebenklägerin zur Last gelegt. Herr Kachelmann ist inzwischen von diesem Vorwurf rechtskräftig freigesprochen, befand sich aber aufgrund eines Haftbefehls des Landgerichts Mannheim zunächst in Untersuchungshaft.

Mit dem in den Anträgen benannten Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 29.07.2010 wurde der Haftbefehl aufgehoben und Herr Kachelmann aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Beschluss selber wurde zum damaligen Zeitpunkt nicht veröffentlicht, das OLG Karlsruhe gab hierüber lediglich eine Presseerklärung heraus. Allerdings dürften bestimmte Medien über nicht durch das Gericht oder die Staatsanwaltschaft herausgegebene Kopien des Beschlusses verfügen, denn zB. in einer Schweizer Zeitung wurden Rechtsansichten des OLG Karlsruhe zu angeblichen Zirkelschlüssen der hiesigen Beklagten im Rahmen der Ermittlungen wiedergegeben, die sich nicht aus der Presseerklärung, sondern nur aus dem Beschluss selbst ergeben.

Inzwischen befinden sich auch die Akten des OLG Karlsruhe in der Verwahrung der Beklagten, sodass ich bitte, diese aufzufordern, den vollständigen Beschluss zu den Gerichtsakten zu reichen.

Mit Urteil des Landgerichts Mannheim vom 31.05.2011 zum Az. 5 KLs 404 Js 3608//10 wurde der Angeklagte Jörg Kachelmann freigesprochen, in der durch eine Presseerklärung dokumentierten mündlichen Urteilsbegründung des dortigen Vorsitzenden wurden allerdings erhebliche Zweifel an der Unschuld des Angeklagten geäussert. Ich füge diese äusserst pointierte und eher einer literarischen Polemik denn einer Urteilsbegründung ähnelnde Presseerklärung als Anlage bei.

Nach Massgabe der Presseerklärung vom 07.10.2011 wurde das Urteil rechtskräftig.

Mit Schreiben vom 26.10.2011 und 14.11.2011 wurde beantragt, eine neutralisierte und anonymisierte Fassung auch des Beschlusses des Oberlandesgerichts zu erhalten.

Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft wurde dies unter Bezugnahme auf die Persönlichkeitsrechte der am Prozess Beteiligten abgelehnt. Man behauptete, es sei keine anonymisierte und neutralisierte Fassung unter Wahrung dieser Persönlichkeitsrechte erstellbar.

(…)

Mit dem in Kopie als Anlage beigefügten Schreiben wurde die Beklagte unter Fristsetzung aufgefordert, (…) eine eigene anonymisierte und neutralisierte Fassung zur Verfügung zu stellen.

(…)

Die Klage ist zulässig, das angerufene Gericht ist zuständig.

Bei der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen handelt es sich nach der richtigen Auffassung des Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 26.02.1997 (Az. BVerwG 6 C 3.96) um eine öffentliche Aufgabe, insbesondere um eine verfassungsunmittelbare Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt. Diese eigentlich einem jeden Gericht zufallende Aufgabe wurde für rechtskräftige Strafverfahren von Gesetzes wegen (auch) auf die Staatsanwaltschaft übertragen. Trotzdem bleibt es eine öffentliche Aufgabe, sodass bei Streitigkeiten das Verwaltungsgericht zu entscheiden hat.

So sieht es im übrigen auch das das Verwaltungsgericht Giessen in seiner Entscheidung zum Az. 9 L 393 10 GI vom 12.05.2009:

„Zwar unterliegen staatsanwaltschaftliche Ermittlungshandlungen sowie gerichtliche Entscheidungen niemals verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, doch gilt dies prinzipiell nicht für davon losgelöste Verwaltungstätigkeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften, etwa in Konkurrentenverfahren, aber auch der Mitteilung anonymisierter Gerichtsentscheidungen (siehe auch § 2 Abs. 3 Nr. 1 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes). Es entspricht gängiger gerichtlicher Praxis aller Instanzen, auf Anforderung, gegebenenfalls gegen Kosten, anonymisierte Abschriften ergangener Entscheidungen mitzuteilen. 

Daraus, dass in Strafsachen die Akten nach rechtskräftigem Abschluss eines Gerichtsverfahrens an die Staatsanwaltschaft zurückgegeben werden, folgt nichts anderes; mithin sind Strafurteile der Öffentlichkeit – in deren Namen sie ja ergehen – nicht nur dann zugänglich, wenn sie etwa in Zeitschriften oder elektronisch veröffentlicht wurden. 

Soweit der Antragsgegner auf das durch Art. 4 des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28. Oktober. 9 L 393 10 Gl Beschluss 20100511114621.doc – LAIber 1994 (BGBl. I S. 3186) neu in die Strafprozessordnung eingefügte Achte Buch in seiner novellierten Fassung verweist, folgt daraus nichts anderes. 

(…)

Für ein derartiges Begehren (des Antragstellers um eine anonymisierte Abschrift des Urteils) dürfte der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten eröffnet sein und eine abdrängende Sonderzuweisung nach den §§ 23 ff. des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz nicht bestehen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. April 1988 – 3 C 65.85 -, NJW 1989, 412, zu staatsanwaltschaftlichen Presseerklärungen).“

Sollte das Gericht dies allerdings anders sehen, mag der Rechtsstreit verwiesen werden wie ganz hilfsweise beantragt.

Der Anspruch auf Herausgabe einer anonymisierten und neutralisierten Urteilsfassung ist auch begründet.

Zu veröffentlichen sind alle Entscheidungen, an deren Veröffentlichung die Öffentlichkeit ein Interesse hat oder haben kann. Veröffentlichungswürdige Entscheidungen sind durch Anonymisierung bzw. Neutralisierung für die Herausgabe an die Öffentlichkeit vorzubereiten.

Das BVerwG (Urteil vom 26.02.1997, BVerwG 6 C 3.96) schreibt hierzu:

„Insoweit besteht sogar eine Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen. Diese Pflicht folgt aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und auch aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung: Gerichtliche Entscheidungen konkretisieren die Regelungen der Gesetze; auch bilden sie das Recht fort (vgl. auch § 132 Abs. 4 GVG). Schon von daher kommt der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen eine der Verkündung von Rechtsnormen vergleichbare Bedeutung zu.“ 

Dieser grundsätzliche Anspruch wird von der hiesigen Beklagten auch nicht bestritten.

Es stellt sich die Frage der Abwägung zwischen den Interessen der Veröffentlichung auf der einen und dem schutzwürdigen Interesse der Prozessbeteiligten an einer Geheimhaltung auf der anderen Seite.

Hierzu beziehe ich mich auf einige Entscheidungen, die diese Grenzen darstellen. Die schon zitierte Entscheidung des BVerwG beschäftigt sich mit dieser Frage:

„Ohne ausreichende Publizität der Rechtsprechung ist es dem Bürger nicht möglich, diese Kenntnis zu erlangen, denn die Rechtsprechung in einem demokratischen Rechtsstaat und zumal in einer Informationsgesellschaft muss sich – wie die anderen Staatsgewalten – auch der öffentlichen Kritik stellen. Dabei geht es nicht nur darum, dass in der Öffentlichkeit eine bestimmte Entwicklung der Rechtsprechung als Fehlentwicklung in Frage gestellt werden kann. Dem Staatsbürger müssen die maßgeblichen Entscheidungen auch deshalb zugänglich sein, damit er überhaupt in der Lage ist, auf eine nach seiner Auffassung bedenkliche Rechtsentwicklung mit dem Ziel einer (Gesetzes-)Änderung einwirken zu können.

Das Demokratiegebot wie auch das Prinzip der gegenseitigen Gewaltenhemmung, das dem Grundsatz der Gewaltenteilung zu eigen ist, erfordern es, dass auch über die öffentliche Meinungsbildung ein Anstoß zu einer parlamentarischen Korrektur der Ergebnisse möglich sein muss, mit denen die rechtsprechende Gewalt zur Rechtsentwicklung beiträgt. Nicht zuletzt dient es auch der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege für die Aufgabe der Fortentwicklung des Rechts, wenn über die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen eine fachwissenschaftliche Diskussion ermöglicht wird.

(…)

Zur Begründung der Pflicht der Gerichte, der Öffentlichkeit ihre Entscheidungen zugänglich zu machen und zur Kenntnis zu geben, bedarf es bei dieser Verfassungslage keiner speziellen gesetzlichen Regelung; eine solche hätte lediglich klarstellende Bedeutung.

(…) 

(Die Veröffentlichungspflicht habe) ihre Grundlage auch in dem leitenden Grundsatz des Prozessrechts der Öffentlichkeit gerichtlicher Verhandlungen und Urteilsverkündungen (vgl. u.a. § 55 VwGO i.V.m. §§ 169, 173 GVG), geht aber über diesen – wie ausgeführt – hinaus.“

Das oben schon zitierte Verwaltungsgericht Giessen stellt dazu Folgendes fest:

„Allein der Umstand, dass eine Anonymisierung des Urteils (…) über dessen Rubrum hinaus wegen der umfangreichen Verwendung weiterer, personenbezogener Daten einen nicht unerheblichen Arbeitsaufwand verursachen könnte, steht der Erteilung einer Abschrift nicht entgegen.“

Umfänglicher werden die Abwägungskriterien seitens des Verfassungsgerichtshofes Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 23.07.2010 zum Az. 1 S 501/10 dargestellt. Der VGH schreibt Folgendes:

„Die Veröffentlichung einer Gerichtsentscheidung kann, auch wenn eine Prozesspartei ohne großen Aufwand bestimmbar und die Entscheidung damit nicht im datenschutzrechtlichen Sinne anonymisiert ist, bei einem überwiegenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt sein.“

Damit kann also allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte eine gewisse Prominenz schon vor dem Prozess hatte und seine ehemalige Freundin und spätere Nebenklägerin diese durch die diversen Veröffentlichungen anlässlich des Verfahrens erlangte, eine Veröffentlichungssperre nicht hergeleitet werden.

Das Gericht begründet sehr einleuchtend: Würde nämlich bereits eine einfache „Rückverfolgbarkeit“ zur Unzulässigkeit der Veröffentlichung führen, könnte den Informationsansprüchen der Bürger, die ihre Grundlage ebenfalls im Verfassungsrecht finden (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), auf bestimmten Rechtsgebieten kaum noch Rechnung getragen werden.

Auch mit den Grenzen setzt sich der VGH auseinander:

„Das Schutzinteresse des Betroffenen am Ausschluss der Veröffentlichung kann überwiegen, soweit es um besonders sensible Daten geht.“

(…)

Da steht auf der einen Seite das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen, auf der anderen Seite das Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Und dabei handelt es sich um eine Einzelfallabwägung unter Heranziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung des Verwendungszusammenhangs der Daten. Je näher die Daten zum unantastbaren Persönlichkeitskern stehen und je geringer daher ihr Sozialbezug ist, desto intensiver ist ihr Schutz gegenüber staatlichen Eingriffen.

Weder das Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen noch das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit genießt generellen Vorrang. Denn beiden Belangen misst die Verfassung wesentliche Bedeutung zu, ohne abstrakt-generell ein Rangverhältnis zu begründen. 

Vielmehr ist regelmäßig ein praktischer Ausgleich herbeizuführen, der unzumutbare Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen vermeidet, zugleich aber sicherstellt, dass eine ausreichende Information der Öffentlichkeit über eine getroffene Entscheidung erfolgen kann.

Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit muss nicht bereits deshalb zwingend zurückstehen, weil eine Entscheidung nicht hinreichend anonymisiert ist und eine datenschutzrechtlichen Anforderungen genügende Anonymisierung angesichts des Streitgegenstandes und der Umstände des Falles auch kaum möglich erscheint.“

Der VGH unterscheidet also zwischen den persönlichen Angaben in einem Urteil, welche für die Allgemeinheit von untergeordnetem Interesse sind und deswegen nicht weitergegeben werden dürfen, und den tat- und sachbezogenen Angaben im Urteil, bei denen das Informationsrecht der Öffentlichkeit überwiegt.

Dabei geht der VGH sogar so weit, sämtliche Daten bzgl. des sozialbezogenen Verhaltens des dortigen Antragstellers – konkret die Darstellung seines beruflichen Werdegangs, die Erwähnung der Vielzahl der von ihm geführten Bewerberschutzverfahren sowie die beschreibende Bewertung seiner Prozessführung – als nicht schützenswert anzusehen; Tabu sei lediglich die Privat- oder Intimsphäre – so zB. Angaben zu psychiatrischen Untersuchungen und deren Ergebnissen – doch nur insoweit, als “deren Kenntnis nicht für das Verständnis der Entscheidung zwingend erforderlich ist.“

Damit zieht der VGH zu Recht den konkreten Schutzbereich für den Betroffenen sehr eng – und die hiesige Beklagte befindet sich (erneut) in einem Zirkelschluss, wenn sie eine Veröffentlichung ablehnt mit der Begründung, man müsse so viele personenbezogene Daten entfernen, sodass eine verständliche Fassung nicht mehr gegeben sei. Umgekehrt wäre es richtig: wenn private und intime Daten der Beteiligten zwingend zum Verständnis der Tat und der Sache erforderlich sind, tritt der Schutz des Einzelnen hinter den Interessen der Allgemeinheit auf Veröffentlichung zurück.

Allerdings wird es darauf im folgenden Fall nicht ankommen, denn die anonymisierte und neutralisierte Fassung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Karlsruhe dürfte keinerlei Daten oder Fakten enthalten, die zum unantastbaren Persönlichkeitskern der Prozessbeteiligten gehören oder nicht tat- und sachbezogen sind.

Die den rechtlichen Erwägungen des OLG zugrundeliegenden Ermittlungsergebnisse dürften sämtlich aus den bisherigen Veröffentlichungen bekannt sein, im übrigen beziehen sie sich sämtlich auf den tatsächlichen Tatvorwurf und haben nichts mit den in der Hauptverhandlung bekanntlich umfassend erörterten persönlichen Lebensbereichen der Beteiligten zu tun. Deswegen gibt es keinerlei Grund, warum diese zum einen bekannten, zum anderen nicht geschützten Ermittlungen nicht im Rahmen des Beschlusses veröffentlicht werden sollten.

Die anonymisierte und neutralisierte Fassung dürfte auch unproblematisch aus sich selbst heraus verständlich sein, sodass die insoweit geäusserten Befürchtungen der Beklagten keinen tatsächlichen Hintergrund haben.

Letztendlich steht dem Unterzeichner auch als Organ der Rechtspflege, als in der juristischen Fortbildung als Prüfer des ersten und zweiten Staatsexamens tätiger Jurist, als jemand, der juristische Entscheidungen kommentierend veröffentlicht und als Teil der Öffentlichkeit der geltend gemachte Anspruch zu.

Es besteht dabei auch ein Rechtsschutzinteresse für den Antrag, da die Veröffentlichung selbst ein Recht und eine Pflicht der Gerichte bzw. im hiesigen Fall der Strafjustiz der Staatsanwaltschaft ist. Dem Unterzeichner stände es also nicht aus eigenem Gutdünken zu, von sich aus einen anonymisierte und neutralisierten Beschluss des Gerichtes zu veröffentlichen, sondern er bedarf dazu mindestens der Zustimmung der Beklagten. So entschied es auch das BVerwG:

„Auf der ersten Stufe ist ein öffentlich-rechtlich bestimmtes Handeln der Gerichtsverwaltung zunächst insoweit unumgänglich, als veröffentlichungswürdige Gerichtsentscheidungen konkret ausgewählt werden. Das wiederum kann auf zweierlei Weise geschehen: Zum einen ist eine „amtliche Auswahl“ zu treffen, und zwar dies aus der Sicht des mit der Materie befassten Richters bzw. seines Spruchkörpers. Zum anderen ist die Gerichtsverwaltung gehalten, die Auswahl um diejenigen Entscheidungen zu ergänzen, an deren Veröffentlichung ersichtlich ein öffentliches Interesse besteht.“

Dabei sind den Gerichten – und damit auch der hiesigen Beklagten kraft Zuweisung – enge Grenzen bei der Auswahl gesetzt, denn, so dass BVerwG:

„(Ein öffentliches Interesse ist)… in der Regel bei entsprechenden Anfragen aus der Öffentlichkeit zu bejahen. Dies gilt regelmäßig auch für die private Anforderung zu Zwecken der privaten Veröffentlichung.

(…)

Zur ersten Stufe des notwendig öffentlich-rechtlichen Handelns zählt weiterhin die Herstellung einer herausgabefähigen, d.h. insbesondere anonymisierten und neutralisierten Fassung der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidungen.

Wie allerdings die Gerichtsverwaltung im Anschluss an diese erste Stufe des notwendig öffentlich-rechtlichen Handelns verfährt, ist ihrem pflichtgemäßen Ermessen überantwortet. Sie kann durch entsprechenden Organisationsakt eine Regelung treffen, dass sich eine zweite Stufe anschließt, in der sie sich aus Gründen der Effektivität der Aufgabenerfüllung, der Kostenersparnis oder der Verwaltungsvereinfachung die Privatinitiative Dritter einschließlich etwa der im Gericht tätigen Richter zunutze macht. 

Insbesondere die Herstellung einer veröffentlichungsfähigen Fassung der Entscheidung und der weitere Vorgang der Veröffentlichung als solcher können sich nach den Regeln des Privatrechts vollziehen. Dies geschieht dann aber nicht etwa aufgrund eines originären Verwertungsrechtes Dritter, sondern eben nach Maßgabe des Organisationsaktes.“

(…)

Ich bin gespannt, was die Richter dazu sagen werden…


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