Der Fall Kachelmann: Es wird langsam absurd – und wir alle machen mit

© Dieter / pixelio.deIch gebe ja zu, auch mich  hat inzwischen die Sensationsgier gepackt, und ich bemäntele sie nur sehr spärlich mit meinem angeblichen „juristischen Interesse“: der Fall Kachelmann ist schon längst von einer reinen Justizangelegenheit zu einer solchen des allgemeinen Interesses geworden, und alle Beteiligten sowie grosse Teile der Öffentlichkeit verlieren inzwischen jegliche innere Distanz zu den Geschehnissen (und dies umso mehr, je weniger davon aus dem Gerichtssaal nach aussen gelangt).

Aber zu meiner und der Ehrenrettung vieler anderer, die sich nicht nur mit dem Fall an sich, sondern auch dem ganzen Randgeschehen beschäftigen, sei gesagt, dass die Absurditäten jeden Tag ein bisschen grösser werden – was naturgemäss das voyeuristische Interesse steigert.

Am Anfang waren es ja nur Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, die vielleicht mit dem sofort aufbrandenden Medieninteresse nicht klarkamen; vielleicht war es Naivität, vielleicht war es auch das Spiel mit dem Feuer „Öffentlichkeit“, welches dann insbesondere Lars Torben O., der Zauberlehrling aus der staatsanwaltschaftlichen Le(e)hrwerkstatt, nicht mehr löschen konnte: Da wurden Vernehmungen nicht oder nicht hinreichend geführt und dokumentiert, Beweise nicht gesichert, Gutachten nicht oder zu spät eingeholt, Informationen vielleicht zu Unrecht, jedenfalls zu früh an die Presse weitergegeben, Anklagen vor Gutachteneingang erhoben – und das sind sicherlich nur die gröbsten Ungeschicklichkeiten, die man so benennen kann, ohne sich sehr beim Nachdenken anstrengen zu müssen.

Zwischenzeitlich hatte das OLG Karlsruhe einmal zur Mässigung aufgerufen, vielleicht wäre da noch die Möglichkeit gewesen, dem folgenden Possenspiel Einhalt zu bieten, aber die Chance wurde leichtfertig vertan.

Und nun geht es munter weiter: die Anzeigeerstatterin wird durch das Gericht noch vor dem Urteil als „Opfer“ bezeichnet, Belehrungen erst unter dem Druck von Befangenheitsanträgen nachgeholt, Polizisten tun als Zeugen ihre Meinungen kund, ohne Sachaussagen zu treffen, andere Zeuginnen, die vorab ihre Geschichten an die Presse verkauft haben, sagen aus „Gründen des Persönlichkeitsschutzes“ nicht öffentlich aus, Verfahrensbeteilgte geben regelmässig Wasserstandsmeldungen zu dem Verlauf der nichtöffentlichen Vernehmung ab.

Und nun erscheint der langmähnige Staatsanwalt und macht eine mehr als hanebüchene Aussage: man könne ja den Verlauf der nichtöffentlichen Vernehmung der Zeugin daran erkennen, dass der Prozess weitergeführt werde; offensichtlich hat Lars Torben O. ein wenig zu viel von den nachmittäglichen Justizpossen in den einschlägigen Privatsendern geschaut, in denen immer kurz nach der letzten Werbepause besonders spektakulär die Belastungszeugin zusammenbricht und ihre eigene Täterschaft gesteht. Nein, Lars Torben O., das ist im realen Leben nicht so, vor der Tapete werden die Prozesse in der überwiegenden Anzahl der Fälle durch ein Urteil beendet – und dies kann sogar auf Freispruch lauten, und manchmal sogar auf Antrag der Staatsanwaltschaft…

Das Verteidigerteam macht da auf mich noch den eloquentesten Eindruck – und nicht nur, weil die eine anwaltliche Krähe der anderen anwaltlichen Krähe kein Auge aushackt: die Anwälte machen ihre Arbeit, und dies in dieser gesamten aufgeheizten Atmosphäre sogar noch recht unaufgeregt: sie sorgen für genügend Revisionsgründe, streuen Sand ins Getriebe, wo es erforderlich ist, beschleunigen das Verfahren, wo es ihrem Mandanten nützt – der Eindruck drängt sich jedenfalls auf.

Für alle, die auf die bösen Verteidiger schimpfen: ich fand das Verhalten vor und während der Vernehmung der Hauptbelastungszeugin ziemlich clever, denn zunächst haben sie sehr schön ihre Vorbehalte gegen die Zeugin transportiert und dabei gleichzeitig die Strafkammer dazu gezwungen, sehr sorgfältig die Befragung durchzuführen, dann haben sie nicht durch sinnloses Nachbohren die Sache in die Länge gezogen und jetzt noch einen ziemliches Ass aus dem Ärmel gezogen (wenn in den 5 Leitz-Ordnern tatsächlich das steht und auf den Bildern das zu sehen ist, was sie behaupten). Man muss immer bedenken, letztendlich wollen sie nichts anderes erreichen, als dem Gericht die Möglichkeit zu nehmen, die Schuld von Herrn Kachelmann „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ festzustellen.

Mehr können die Verteidiger in der aufgeregten Atmosphäre nicht erreichen, denn ausserhalb des Gerichtssaals tobt inzwischen ein medialer Zickenkrieg um die Deutungshoheit an Stammtischen und in Kaffekränzchen: auf der einen Seite die Damen Sabine Rückert (DIE ZEIT) und GiselaFriedrichsen (DER SPIEGEL), die neben ihrer Gerichtskritik auch deutlich die Position des Angeklagten einnehmen (oder vielleicht auch nur die Position, der Vorverurteilung nicht das Wort reden zu wollen), auf der anderen Seite Alice Schwarzer, die Mutter aller Feministinnen, die selbsternannte Retterin der deutschen Weiblichkeit – und inzwischen BILD-Reporterin. Ja, so ist es, eine solche Stilblüte fördert dieser Prozess zutage, auf ihre alten Tage bekommt Alice aus dem weiblichen Wunderland noch ihre eigene Kolumne zwischen Tittenbildern und Grossbuchstaben. Und natürlich gibt sie hier den Racheengel, denn ihre weibliche Intuition hat ihr natürlich – über jeden Zweifel erhaben – die Wahrheit schon längst offenbart: Kachelmann wars, Kachelmann ist schuldig, Kachelmann ist ein Vergewaltiger! Punkt! Aus! Ende im Gelände! So liebt es Volkes Stimme – jedenfalls der Teil, der immer sehr schnell ist mit den (Vor)Urteilen, und so liebt es eben auch unsere Alice – manchmal fragt man sich, ob sie vielleicht ebenfalls zu den durchaus bemitleidenswerten Frauen gehört, die dem durchaus zweifelhaften Charme dieses Alpencasanovas erlegen war, eine Reihe von Indizien dafür bestehen ja (Klick).

Aber vielleicht ist einfach auch nur das liebe Geld, was unsere Frauen(ge)rechtlerin antreibt: das letzte Buch noch gut in den Verkaufslisten platziert, die Einnahmen bei BILD als Karla Kolumna noch einnehmend, da kündigt sie schon ein neues Werk an: das Buch zum Prozess, sozusagen unauthorisiertes Prozessmerchandising. EMMA wird es danken, man munkelt ja von dort eher unspektakulären Verkaufszahlen.

Aber ein Buch allein, das ist noch lange nicht alles: jetzt wird auch noch ein Co-Autor angekündigt: Herr Seidler, seines Zeichens Therapeut der Anzeigeerstatterin und gleichzeitig sachverständiger Zeuge im Prozess, sozusagen die Allzweckwaffe des Verfahrens, und nun auch noch direkt vom Sitz an der Couch zwischen die Buchdeckel im schwarzer – sorry, schwarzen Universum.

So sind wir denn bei den Sachverständigen angelangt, ich habe inzwischen ein bisschen den Überblick verloren, aber 9 sollen es wohl sein, vielleicht sind da auch ein paar „sachverständige Zeugen“ dabei, wer weiss das schon, und wen interessieren auch solche prozessualen Feinheiten überhaupt noch? Die haben jetzt 20 Stunden auf eine Leinwand gestarrt und die Zeugin beobachtet, mal sehen, wie lange sie jetzt noch Fragen haben und auf was für neue Erkenntnisse sie dann kommen. Aber schon jetzt haben auch diese Damen und Herren weitgehend ihre Unschuld verloren, denn sie liefern sich einen kleinkarierten Streit auf einer hochstilisierten Fachebene, der einem die Tränen in die Augen treiben kann: jeder hat die bessere Theorie, und jeder hackt auf den anderen ein – das würden wir Juristen uns nie erlauben….

Besonders schön war die Aussage eines der Gutachter hinsichtlich der Frage, ob die Verletzungen des Opfers nun fremd- oder eigenverschuldet seien; erst liess er sich abfällig über seine Kolleginnen und Kollegen aus, und dann vergass er völlig seinen Gutachtenauftrag (oder Lars Torben O. hatte ihm einen falschen Auftrag gegeben, was auch nicht gänzlich auszuschliessen ist): er kam nämlich zu dem Ergebnis, man könne „Fremdverursachung nicht ausschliessen“; lieber Herr Sachverständiger, dies ist nicht die Frage und wird sie in einem rechtstaatlich einwandfreien Verfahren auch nie sein: die Frage in einem Vergewaltigungsprozess ist: kann Eigenverursachung ausgeschlossen und Fremdverursachung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Ach was, Petitessen, wenn es ums grosse Ganze geht!

Und für Frau Schwarzer zum leichteren Verdauen der offensichtlich schwer zu verstehenden Tatsache, dass nicht der Angeklagte beweisen muss, dass er nicht vergewaltigt hat: eine unübersehbare Zahl von Frauen wäre nicht nur froh gewesen, sondern insbesondere dem Tode auf dem Scheiterhaufen entkommen, wenn man schon damals den fundamentalen Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ angewandt hätte: dann hätten sie nämlich nicht den Beweis antreten müssen, keine Hexen zu sein – der ihnen naturgemäss nicht gelingen konnte.

Aber kommen wir zurück zu den lustigen Randgeschichten  und damit leider auch zu mir: als letzte skurrile Gruppe in diesem Theater ist dann noch die öffentliche Meinung zu sehen, die sich heutzutage ja nicht zuletzt über das Internet Gehör verschafft, bildet und  austauscht: da gibt es die Blogs, in denen abwechselnd Herr Kachelmann gekreuzigt oder zum Heiligen ausgerufen wird (immer verbundenen mit der gegenläufigen Steinigung bzw. Heiligsprechung der Nebenklägerin), und in denen – je nach Anschauung – die Beiträge einseitig eingestellt und kommentiert werden; und dann sind da die Foren, in denen die beiden Lager unerbittlich und 24 Stunden am Tag aufeinander losgehen.

Und jeder tut es für sein Stückchen Bekanntheit, für sein Stückchen Selbstverliebtheit.

Ja, ich bekenne mich schuldig, auch ich beteilige mich an dieser (Ver-)Bildung der öffentlichen Meinung, auch ich will gelesen werden, ich will meine Meinung publizieren, ich will mein Stückchen Aufmerksamkeit, und wer interessiert sich schon für die Untiefen der deutschen Krankenkassenvertragslandschaft oder die Berechnung der Altersrente bei Veränderung der Arbeitszeit, über die ich mich sonst verbreite? Kaum jemand! Höchstens ein paar Eingeweihte! Aber hier, bei Kachelmann, da kann man schon mal ein bisschen Aufmerksamkeit erhalten, und wenn es dann nicht arg einseitig, vielleicht sogar ein bisschen informativ und unterhaltend ist, dann kann man sogar mit einer durchaus wohlwollenden Reaktion rechnen (Und aufgedrängt hat man sich ja nicht, es muss ja niemand lesen, nicht wahr!)

Und so bildet dieser Prozess längst für viele (wenn sie denn ehrlich zu sich selbst sind) auch ein Medium, um die 15 minutes of fame (15 Minuten Ruhm) zu erhaschen, die Andy Warhol postuliert hat.

Was wird bleiben, wenn der Pulverdampf sich verzogen hat:

- Die beteiligten Juristen werden sich anderen Prozessen zuwenden, genauso wie die Journalisten und Alice Schwarzer.

- Einige werden an dem Prozess viel Geld verdient haben – insbesondere Alice Schwarzer.

- Alle Blogs und ihre Beiträge zu dem Thema wird niemand mehr lesen wollen.

- Und in den Foren wird man sich wieder über andere Themen in den Haaren liegen.

Doch egal, wie der Prozess ausgeht, ein Gut-Böse, ein Schwatz-Weiss wird es für dieses Verfahren nicht mehr geben. Und praktisch jeder wird seine Meinung, sein Urteil haben. Deswegen können einem die beiden Protagonisten dieses Spektakels schon jetzt leid tun, jawohl, beide, denn für  mich gilt weiterhin für beide die Unschuldsvermutung. Unter der possenhaften Inszenierung dieses Prozesses leidet nicht nur der Angeklagte, dem inzwischen selbst bei einem Freispruch sowieso kein Mensch mehr glaubt, sondern auch die Anzeigeerstatterin, denn im Grunde genommen hat auch sie keine reelle Chance mehr, als Person vollständig glaubwürdig und in ihrer Aussage restlos glaubhaft zu sein.

Und so ist es wie im Circus: wenn die Clowns mit den Torten schmeissen, dann sind am Ende alle voller Schaum! Und zurück bleibt der traurige, dumme August…


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