Der Euro – eine Währung uns zu knechten

Von Marc Schanz
Vor unseren Augen spielt sich in Griechenland eine Tragödie ab, ein europäisches Land versinkt im Chaos. Aus dem idyllischen Land, das viele von uns persönlich von Urlaubsreisen kennen, wird ein Land des Protests und der Unruhen. Die Bilder verstören, denn Griechenland ist keiner dieser failed states eines fernen Kontinents. Griechenland ist nah, es gehört zu uns, zu Europa. Ein verstörendendes Gefühl keimt auf: kämpft etwa Griechenland stellvertretend für uns gegen die Euro-Krise an? Wird eine Niederlage das Ende des Euros bedeuten?
Diese Furcht ist alles andere als unbegründet. Ein Blick auf die objektive Bedrohung für den Euro zeigt: Griechenland ist mit seinen etwas mehr als 11 Millionen Einwohnern ein verhältnismäßig kleines Land und es umfasst nur 3,4 % der gesamten Bevölkerung der Eurozone. Wenn ein solcher Zwerg so riesige Probleme bereitet, was passiert dann eigentlich, falls mal ein großes Land wie Spanien, das ja ebenfalls zu den gefährdeten PIIGS-Staaten zählt, in ernste Schwierigkeiten gerät?
Das wuchernde Wachstum der Rettungsschirme
Im letzten Jahr gab es bereits eine Rettungsaktion, die den Euro endgültig sichern sollte. Wer kann sich noch daran erinnern? Es wurde ein europaweiter Rettungsschirm mit der unglaublichen Summe von 750 Milliarden Euro gespannt. Heute weiß man, es war nur eine Beruhigungspille, die jedoch die gewünschte Wirkung entfaltete: die Eurokrise wurde für einige Zeit aufgeschoben. Mit diesem enormen Kraftakt hatte sich Europa in einer Krise das Wichtigste erkauft: Zeit. Die Banken und Versicherungen wussten dieses teure Geschenk zu nutzen und stießen die griechischen Schrottpapiere ab. Ein großer Batzen von ihnen lagert jetzt in der Bad Bank der Hypo Real Estate und bei der EZB – mit anderen Worten: die Privatwirtschaft hat die Zeit erfolgreich genutzt, um die sicher zu erwartenden Verluste zu sozialisieren. Der Steuerzahler muss wieder einmal fast vollständig für die Verluste der Krise aufkommen.
Leider konnten unsere politischen Eliten diesen wertvollen Aufschub nicht nutzen. Statt an einer tragfähigen Lösung der Krise zu arbeiten, spielten sie lieber Krieg in Libyen. Jetzt steht wieder die Griechenlandkrise auf der Agenda und die Eliten verharren in der Diskussion auf dem gleichen Stand wie vor einem Jahr, nur diesmal fehlt etwas sehr wichtiges: die Zeit für sinnvolle Rettungsmaßnahmen.
Elitenkinder im Finanzhaifischbecken
Je länger die Krise andauert, desto größer wird das Gefühl der Unsicherheit. Unsere Politiker können mit ihren hektischen Handlungen nicht das notwendige Vertrauen schaffen, das dringend nötig wäre. Sie wirken vielmehr wie Getriebene, die von einer Krisensitzung zur nächsten hecheln. Doch wer ist der Jäger in diesem Spiel? Währungen stehen immer unter dem Druck der Finanzmärkte. Eine Währungsunion ist der zusätzlichen Gefahr des Auseinanderbrechens ausgesetzt. Diese logische Tatsache verstehen unsere elitären Herren des Euros nicht. Es ist das tägliche Brot von Spekulanten, Währungen zu manipulieren, um daraus Profit zu schlagen. Ein Zerfall einer Währungsunion wäre für sie ein Fressen ohne Ende, sie könnten sich dann die Filetstücke ganzer Staaten einverleiben. Die verbliebene Supermacht USA hat ebenfalls kein Interesse an einem starken Konkurrenten zu ihrer Leitwährung, dem Dollar. Die Schwäche Europas kommt Amerika daher äußerst gelegen, denn so können die Folgen der weltweiten Finanzkrise, die der amerikanische Immobilienmarkt auslöste, ohne große Mühen auf den Euro abgeladen werden.
Der Euro hat Feinde – das ist im harten Finanzgeschäft nun einmal so. Doch statt sich zu verteidigen, lässt die EU ihre Mitgliedsstaaten gegeneinander kämpfen und schwächt sich somit völlig unnötig. Die Feinde des Euros können sich lachend zurück lehnen und auf die richtige Gelegenheit zu warten, um ihr Werk zu vollenden.
Die jetzige Krise wäre leicht zu meistern, es müssten nur die Zinszahlungen – nicht die Gesamtschulden, wie alle Medien stets schreiben – eines kleinen Landes finanziert werden. Doch das Versagen der EU im Umgang mit der Krise setzt den Spekulanten ein eindeutiges Signal: Der Euro ist reif, holt ihn euch!
Elitenprojekt Euro
Der Euro ist kein ökonomisches Projekt, sondern in erster Linie ein politisches. Das ist der Grund für seine offensichtlichen Konstruktionsfehler. Einer davon sind die Maastricht-Kriterien, sie sollten die Stabilität des Euros gewährleisten. In den meisten europäischen Finanzwirtschaften sind die Märkte nahezu unreguliert. Exzesse und Krisen können, das hat die Kernschmelze des Finanzsystems gezeigt, nicht von Staaten verhindert und deren katastrophalen Folgen von ihnen nicht gestemmt werden. Wenn also die Stabilisierungsmechanismen der Währungsunion nur den machtlosen Beobachter des Geschehens kontrollieren und sanktionieren, sind sie schlicht sinnlos. Werden dann auch noch die tatsächliche Übertretungen der Stabilitätskriterien ignoriert, verkommen sie gänzlich zur Absurdität.
Die eigentlichen Akteure auf dem Finanzmarkt wie Banken, Versicherungen, Hedgefonds und Co., können hingegen ohne Regulierung und ohne Sanktionen in ganz Europa schalten und, wie sie wollen. Die aktuelle Finanzkrise legt in Wahrheit offen, dass der Euro noch nie über effektive Schutzmechanismen verfügte.  Der neoliberale Irrweg Lissabons
Es gibt eine tieferliegende Ursache, die einer erfolgreichen Rettung des Euros entgegen steht. Es ist die verbohrte Ideologie des Neoliberalismus, in dessem Geiste der Lissabon-Vertrag verfasst wurde und der die Handlungen der EU bestimmt.
Die drakonischen Sparmaßnahmen, die Griechenland von der EU und dem IWF verordnet wurden, greifen nicht, weil die zugrundeliegende Ideologie falsch ist. Die Rettungsmaßnahmen ignorieren, dass der Kapitalismus exakt drei Dinge benötigt: Wachstum, Wachstum, Wachstum – und keine Sparorgien. Das Resultat dieses Irrsinns ist eine Depression gewaltigen Ausmaßes, das für Griechenland überlebenswichtige Wachstumspotential wird dabei vernichtet. Die Krisenzeichen verschärfen sich in einem erschreckenden Tempo und Ausmaß. Nur unsere Eliten wollen es nicht erkennen und verstehen, denn sie wollen keine Kurskorrektur. Es wäre das Eingeständnis ihres Versagens.
Diese fanatische Fokussierung auf die Wirtschaft mit ihrem Konkurrenzprinzip blendet vollkommen aus, dass ohne eine funktionierende Gesellschaft, die nun mal auf dem Solidaritätsprinzip aufgebaut ist, ein Wirtschaften nicht möglich ist. Nur wenn das Gemeinwesen intakt ist, es keine Unruhen gibt und das Staatswesen nicht korrumpiert ist, kann effektiv gewirtschaftet werden. Dieses Fundament darf nicht angegriffen werden – aber genau dort richtet die aktuelle Krise die heftigsten Schäden an. Die Euro-Krise destabilisiert mit ihren engstirnigen Rettungsmaßnahmen eine ganze Gesellschaft.
Griechenland – Vorbild für Europa!
Griechenland ist klein, Griechenland ist für den Euro unbedeutend, aber Griechenland ist ein Testfall, wie unsere Eliten mit den Krisenfolgen umgehen wollen. Statt den Staat gegen die Angriffe der Spekulanten widerstandsfähiger zu machen, wollen sie ihn bis zur Unkenntlichkeit abschleifen, indem er weitestgehend privatisiert wird. Viele verstehen es noch nicht, weil es vergessen wurde: der Staat schützt die Schwachen – und das sind in einem heißlaufenden Kapitalismus ca. 99 % der Bürger. Ohne Staat ist der Fall ins Bodenlose, zum nackten Existenzkampf nicht weit. Dieses Schicksal dürfte die anderen Krisenstaaten ebenfalls ereilen, die Warteliste ist gut gefüllt. Europa steht am Abgrund und ist bereit, hinunter zu springen.
Europa am Scheideweg
Jeder spürt es, Europa steht mit der Griechenlandkrise am Scheideweg. Der Euro kann gerettet werden, jedoch ist dazu eine Kehrtwende notwendig: die Besinnung auf die Stärke Europas und das ist die solidarische Kraft der europäischen Länder mit ihrer kulturellen Vielfalt. Der Geburtsfehler des Euro muss korrigiert werden, nicht das Konkurrenzprinzip, sondern das Solidaritätsprinzip muss angewandt werden. Und das heißt: den schwachen und krisengeplagten Staaten mit üppigen Investitionen ähnlich einem Marshallplan zu helfen. Wenn sich Europa gemeinsam gegen die Spekulanten stellt, hat es eine Chance. Um dauerhaft die ökonomischen Fehlkonstruktionen des Euros zu beseitigen, müsste ein mutiger Einstieg in eine Transferunion erfolgen, denn nur so lassen sich die kulturell verschiedenen und unterschiedlich leistungsstarken Länder unter einer Währung zusammen halten. Zur Finanzierung müsste eine europaweite Tobin-Steuer eingeführt werden, damit die Finanzmärkte selbst diese Transfers finanzieren. Später, wenn die Zeit dafür reif ist, könnte aus dieser Transferunion ein gesamteuropäisches Finanz- und Wirtschaftsministerium entstehen.
Der Gewinn dieser Strategie wäre nicht nur der Erhalt des Euros, sondern auch die Erkenntnis, dass Solidarität Allen hilft – auch den Starken.
Eine andere Alternative wäre eine geordnete Abwicklung der Währungsunion und eine Rückkehr zu Nationalwährungen. Diese Option steht jedoch nicht unbegrenzte Zeit zur Verfügung. Setzt der unkontrollierte Zerfall der Währungsunion ein, in dem z.B. Länder austreten, wird dieser nicht mehr zu stoppen sein.
Die Eliten kämpfen für sich
Es gibt Alternativen und Wege, die Krise zu beenden, doch sie liegen außerhalb des Erkenntnishorizonts unserer Eliten. Bevor rational über mögliche Lösungen diskutiert werden kann, müssten unsere Eliten in Politik, Ökonomie und Medien über Nacht einen Evolutionssprung vom Schlecht- zum Gutmenschen machen. Erst dann würden sie ein Verständnis für das gemeinsame Erbe europäischer Kultur erlangen und die Lehren aus unserer traditionsreichen Geschichte ziehen, um daraus eine Vision für ein gemeinsames Europa mit einer gemeinsamen Währung zu entwerfen. Seien wir realistisch und erwarten die alternativlose Zukunft. Unsere Eliten werden am Euro trotz seines offensichtlichen Scheiterns festhalten und uns dafür bedenkenlos opfern. Es gibt für unsere Eliten auch keinen Grund dazu, einen anderen Weg zu wählen, denn die Krise arbeitet in Wahrheit für sie. Während das Volk verliert und um seinen Wohlstand kämpfen muss, gewinnen die Eliten im gleichen Maß an Wohlstand und Macht hinzu.
Finanzfeudalismus
Geld ist Macht, diese alte Weisheit ist auch heute noch gültig. In einer reichen Demokratie definiert das Finanzsystem lediglich die Regeln, um am allgemeinen Wohlstand teilnehmen zu können. Bisher hat der Euro das Versprechen der Wohlstandsvermehrung einhalten können. Doch seit der Krise sind diese goldenen Zeiten vorbei, der Wohlstand fällt in sich zusammen. In der Krise reduziert sich das Finanzsystem zu einem reinen Machtsystem. Das ist eine äußerst gefährliche Entwicklung, denn diese Machtstrukturen können problemlos ganze Demokratien aushebeln.
Diesen Prozess sehen wir gerade in Griechenland. Das Mutterland der Demokratie verliert seine Souveränität und wird zu einem billigen Fußabtreter der EU degradiert. Die Krise radikalisiert, die Radikalisierung verstärkt die Krise. Es sind bekannte Prozesse, die Europa mehr als einmal in den düsteren Kapiteln seiner Geschichte heimsuchten. Die alten reaktionären Reflexe funktionieren noch. Zu den wahren Schuldigen der Krise werden die bösen Griechen und die anderen faulen Südeuropäer erkoren. Dieses perfide Spiel wird aufgehen, der Rassismus und Hass wird wieder einmal zum Ventil für das Versagen der Eliten. Statt gemeinsam für ein besseres Leben für Alle, Griechen, Spanier und prekarisierte Deutsche, zu kämpfen, versucht jeder für sich allein den aussichtslosen Kampf gegen den Abstieg zu gewinnen.

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