Es war keine leichte Entscheidung, die Angela Merkel da nach langen Beratungen mit dem Ethikrat treffen musste. Jawohl, erklärte sie wenig später vor der internationalen Presse, es sei "heute kein schöner Tag für meinen Kollegen Wolfgang Schäuble". Aber Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, die neuen Pfeiler ihrer Politik, hätten aus ihrer Sicht "zwingend nach einer solchen Korrektur verlangt". In bewegenden Worten sprach Angela Merkel, wie immer in eine mattfarbene Pokemon-Jacke gehüllt, dann von ihrem entsagungsreichen Leben in der DDR. Wie sie, die Tochter eines Pfarrers, der auf bestem Fuß mit der Staatssicherheit stand, sich nicht nur von ihrer Familie verraten, sondern auch von Schule, FDJ-Gruppe und Staat belogen gefühlt habe.
"Wir ahnten immer, dass die Welt ganz anders ist, als sie uns die Propaganda der Partei zu zeigen versuchte", sagte Merkel, ein unüberhörbares Beben in der Stimme. Diese frühen Jahre im Trommelfeuer der Parteiagitation, die keine Wahrheit unverletzt und kein Stück Wirklichkeit unverbogen ließ, hätten sie letztlich veranlasst, gegen den Widerstand von Wolfgang Schäuble und seinem treuen SPD-Staatssekretär Jörg Asmussen durchzugreifen. "Ich beanspruche dabei nichts anderes als die natürliche Richtlinienkompetenz, die ich als Regierungschefin habe."
Für Schäuble, den altgedienten Fahrensmann auf der Brücke der politischen Intrige, ist es ein Desaster. Dabei hatte der letztes Jahr noch von einem allumfassenden Medienchor für amtsmüde erklärte Kabinettssenior nur das Beste gewollt! Schon vor Monaten hatte er deshalb gemeinsam mit seiner Propagandaabteilung beschlossen, einen Aufklärungsfilm produzieren zu lassen, der den Deutschen endlich erläutert, welche wunderschönen Vorteile ihnen der Euro brachte, bringt und bringen wird.
Ein kurzes Filmchen sollte es werden, einsetzbar vor allem im Internet, wo sich Verbrecher und ewige Meckerköpfe treffen, um mit gewalttätigen Worten Unheil für Europa anzurichten. Binnen weniger Monate entstand so ein liebevoll animiertes Video namens "Der Euro: Einfach erklärt", voller Wahrheiten, wie sie kein Stammtisch auszusprechen wagt: der Euro hat für Preisstabilität und volle Staatskassen gesorgt, er hat die Menschen glücklich und aus ihnen echte Europäer gemacht, er bereichert das Leben und erhöht die Sparguthaben.
Nur Angela Merkel war außer sich. Merkel war empört, verletzt, ungehalten, nachdem sie das Euro-Video im Kreise ihrer engsten Mitarbeiterinnen gesehen hatte. Der Film erinnere sie an ein "Machwerk aus der Werkstatt von Heinrich Goebbels", Erinnerungen würden auch wach an den berühmten "Schwarzen Kanal" mit Karl-Eduard von Schnitzler. Und seit die gebürtige Hamburgerin, die als erste Ostdeutsche im Kanzleramt gilt, letztes Wochenende ihre neue Politik der totalen Transparenz ausgerufen hat, gelten alte Regeln im Kabinett nicht mehr: Merkel bestellte Schäuble ein, verlange nach umgehenden Änderungen am Film "im Sinne der Wahrhaftigkeit und der Anständigkeit".
Ihr gehe es darum, "den Menschen draußen im Lande zu sagen, was ist", teilte sie später am Telefon PPQ-Mitarbeitern mit, denen sie persönlich den Auftrag überbrachte, den Schäuble-Film unter dem Titel "Der Euro - richtig erklärt" zu überarbeiten. Dies sei alternativlos, da das Video in derzeitigem Zustand "höchstens zum Lachen anregt". Dass sie ihren Kollegen Schäuble beschädigt habe, nehme sie hin, sagte Merkel. „Politik heißt nicht, ständig nach dem Wetterhahn auf dem Dach zu schauen, sondern seine Überzeugungen umzusetzen.“