Frankreich 1967
Mit Alain Delon, François Périer, Nathalie Delon, Cathy Rosier u.a.
Drehbuch und Regie: Jean-Pierre Melville
Ein in Regie und Darstellung perfekt gestalteter Gangsterfilm, der sich bewußt nicht an der Wirklichkeit orientiert. Kino von hohem ästhetischem Reiz.
-Lexikon des internationalen Films-„In filmisch vollkommener, leicht romantisierender Weise wird die Geschichte eines einsamen Killers gezeigt (…). Der Film setzt beim Betrachter die Fähigkeit und den Willen voraus, das Sinnbildhafte des Geschehens zu erkennen und zu begreifen, Filmwelt und Realität zu unterscheiden. Für diesen Zuschauerkreis zu empfehlen.“
-Evangelischer Filmbeobachter-
Ein von Kritikern und Filmfans gleichermassen gefeierter Film – das weckt meinen Widerspruchsgeist. Wie oft summen die Einzelstimmen im Lobpreisungs-Chor für solche im Kollektiv heilig gesprochenen Kunstwerke lediglich die Melodie der anderen mit? Melvilles berühmter Gangsterfilm Le samourai schaute ich deshalb mit genauso kritischem Auge wie andere Meisterwerke der Kinokunst.
Ich gebe zu, mit einem grossen Vorrat an Skepsis an diesen Film herangegangen zu sein. Ein Gangster als Filmheld? Das war mir schon immer suspekt. Es erscheint mit falsch, als Zuschauer mit einer zutiefst amoralischen Figur mitfühlen zu „müssen“. Doch der Samourai belehrte mich eines Besseren!
Das eingangs zitierte Lexikon des internationalen Films hat Recht mit seiner Festestellung, Melvilles Film sei von hohem ästhetischem Reiz. Das ist aber nur eine seiner Qualitäten, die offensichtlichste. Die andere liegt in Melvilles Kunst begründet, ohne Worte Bände zu sprechen, mit dem Bild, dem Schnitt, der Gegenüberstellung Dinge sichtbar und spürbar zu machen, die nie explizit ausgedrückt werden. Das Zitat, das den Film eröffnet („Es gibt keine größere Einsamkeit als die eines Samurai, außer vielleicht die eines Tigers im Dschungel.“), wird in seiner Doppeldeutigkeit ausgelotet: Jef Costello, der titelgebende „Samurai“ (Delon), der Tiger, ist kein stolzer einsamer Jäger, sondern das, was der Tiger damals war und heute noch ist: ein Gejagter.
Nach einem Auftragsmord wird Costello, der Gejagte mit einem Jäger konfrontiert: Kommissar (Périer) ist eine Figur, die alles spiegelt, was Costello ist. Erscheint Costello zumeist allein im Bild, ist der Kommissar permanent von Unmengen Leuten (seinen umtriebigen Untergebenen) umgeben. Beide gehören, das macht ihre schäbige Umgebung deutlich, durch die sie sich bewegen, nicht dem Établissement an – im Gegensatz zum Opfer und dem Auftraggeber des Mordes (was wieder ausschliesslich in der Ausstattung sichtbar wird).
Das Faszinierende an diesem französischen film noir ist die Tatsache, dass Melville über das Bild und die Erzählstruktur das Gezeigte permanent kommentiert. Damit platziert er subtil bittere Gesellschaftskritik, ohne ein einziges Mal den Zeigefinger zu erheben – eine Kritik notabene, die dank der Unterschwelligkeit und der hohen künstlerischen Reife, mit der sie vorgebracht wird, haften bleibt.
Melville übte gerade mit diesem Werk grossen Einfluss auf Regisseure späterer Generationen wie Martin Scorsese, Paul Schrader, Quentin Tarantino und John Woo aus, die sich in einigen ihrer Werke darauf bezogen.
Die Regie: 10 / 10
Das Drehbuch: 10 / 10
Die Schauspieler: 9 / 10
Gesamtnote: 10 / 10
Verfügbarkeit: Der eiskalte Engel ist im deutschsprachigen Raum aktuell nicht verfügbar, weder auf DVD, Blu-ray noch im Stream – eine schmerzliche Lücke! Sie gehört geschlossen!
In den USA ist der Film in restaurierter Fassung und mit vielen interessanten Extras bei der renommierten Criterion Collection erschienen – eben erst in einer verbesserten Neuauflage (Regionalcode 1).
Bewegte Bilder
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