Mitte letzter Woche hieß es, dass es seit Dezember letzten Jahres rund 263.000 Arbeitslose mehr in Deutschland gibt. Aber bitte keine Panik, bat unter anderem der Wirtschaftsexperte des SWR Rheinland-Pfalz im Radio. Das sei saisonbereinigt gesehen ganz normal. Und nicht nur das. Wir stehen sogar besser da als gedacht - und besser als letztes Jahr. Der Anstieg ist eigentlich ein Rückgang.
Wenn Kälte und Eis Saison haben, so sagen die Arbeitsmarktstatistiker, dann gibt es in bestimmten Sparten einfach weniger Beschäftigungsmöglichkeiten. Das klingt auch ganz nachvollziehbar. Aber warum wirkt sich dieser verhältnismäßig milde Winter, den der größte Teil der Republik seit Monaten erlebt, nicht positiv auf die ohnehin frisierten Arbeitslosenzahlen aus? Wäre dieser warme Winter nicht Grund genug dafür, dass diesmal der Übergang von Dezember zu Januar ohne Einbrüche vonstatten geht? Man muss doch nur mal mit offenen Augen durch die Städte fahren. An Baustellen wird trotz faktischen Winter gearbeitet. Und die Gastronomie war bis kürzlich terrassentauglich. Wir reden hier immerhin von zwei Branchen, die sonst im Winter kürzer treten müssen.
Klar, die letzten Winter waren kalt. Da konnte man diese Beschwichtigungen noch glauben. Der kalte Winter hemmt die Entwicklungen am Arbeitsmarkt, ist da so ein Standardsatz. Das klingt ja auch überzeugend. Dieses Jahr sieht das etwas anders aus. Während ich hier im kurzen Hemd sitze und daran denke, wie ich noch vor zwei Tagen einen Kaffee an frischer Luft schlürfte, kommt mir die Erzählung eines Familienangehörigen in den Sinn. Bis Ende dieses Jahres habe er wohl Arbeit. Als Leiharbeiter. Der Entleihbetrieb brauche ihn aber vielleicht länger, kann ihn aber dann nicht erneut verlängern. Also wird ihn die Leihfirma dann eine Weile entlassen und dann wieder einstellen. Von jemand anders habe ich gehört, dass er sich von Jahres- zu Jahresvertrag hangelt. Und beide Personen sind nicht in Sparten beschäftigt, denen der harte Winter zusetzt. Sie arbeiten in Werkshallen, in der Industrie.
Ist das nicht vielleicht der viel wesentlichere Grund für diese Einbrüche an den Jahresübergängen? Zeitverträge, die nach Kalenderjahr getaktet sind? Und was ist mit den Maßnahmen, die die Jobcenter in die Wege leiten, um ihre Statistiken rosa zu färben? Zu Jahresende enden Ein-Euro-Jobs und Bewerbungstrainings - und auch die ganze Armutsindustrie (Einrichtungen wie das Kolpingwerk oder die Strahlemann-Initiative) geht in den Urlaub. Jahresübergreifend sind solche Maßnahmen eher selten.
So gesehen ist das Tief am Jahresanfang nicht das Resultat kalter Winter. Schon gar nicht, wenn sie so wenig kalt sind wie aktuell. Es ist die Richtigstellung der über das ganze Jahr geleisteten Verklärung der Situation. Da müssen die Behörden jetzt wieder ganze Arbeit leisten, um den aktuellen Anstieg der Arbeitslosenzahlen über die nächsten Monate per Kurse und Maßnahmen oder durch Erteilung von Minijobs auf Fünf-Wochenarbeitsstunden ins Jubelhafte zu regulieren. Das ist politisch wichtig, denn dass die Agenda 2010 ein absoluter Erfolg ist, muss immer neu bewiesen werden. Sonst kauft es uns Hollande nicht ab und die Griechen wehren sich gegen weitere Reformen. Hartz IV für alle Welt geht nur, wenn Arbeitslosenzahlen in Deutschland nur steigen, weil das Wetter nicht mitspielt. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.
Alles Verschwörungstheorie? Klar. Die Kritiker dieser Arbeitsmarktpolitik haben ja keine Ahnung. Aber vor kurzem hieß es noch, dass die deutsche Wirtschaft floriere und der ifo-Geschäftsklimaindex, dieses Lesen aus den Innereien der Managergilde, gab sich optimistisch. Bis die Zahlen vom Weihnachtsgeschäft bekannt wurden und man las, dass es da massive Einbrüche gab. Wahrscheinlich hatten die Deutschen dieses Jahr keine Lust auf Weihnachten, weil sie so ganz ohne Schnee nicht in Weihnachtsstimmung kamen. Saisonbereinigt, also mit eingerechnetem harten Winter, sähe alles ganz anders aus. Der Einbruch ist also auch hier keiner - mittels Einberechnung der periodischen Schneekomponente, die aus Indizes wie Schneedeckenmächtigkeit und Neuschneehöhe berechnet und die das statistische Mittel der Schneedichte berücksichtigt, ergibt sich womöglich, dass die Menschen mehr konsumiert haben als in den Jahren zuvor.
Man kann das alles nicht mehr ernst nehmen. Die Stimmen, die uns die Zahlen verlesen, klingen alle wie zynische Märchenerzähler oder gar esoterische Beschwörer. Der zwanghaft optimistische Ton des Wirtschaftsexperten, der aus dem Radio zu mir sprach, ärgerte mich bis ins Aggressive. Wem will er was beweisen? Als er seine Durchhalteparolen erledigt hatte, fasste der Moderator noch mal zusammen. Das war zu viel für mich. Ich wechselte den Sender und landete dort, wo sie Lookin' Out My Back Door spielten. Ich drehte lauter und sang mit. Nach eine Weile fragte ich mich: Was hat mich denn gerade beschäftigt, Mensch? Doo doo doo, es war irgendwas, was mich verärgerte. Später fiel es mir erst wieder ein. Sonst gäbe es ja diesen Text nicht.