Der Anonyme: 30 Tage lang keinen digitalen Fußabdruck hinterlassen [LIFESTYLE X]

Geldabhebungen, Location Tracking, E-Mails, Bonuskarten ... ist es überhaupt noch möglich zu existieren, ohne ständig Daten zu hinterlassen? Einen Monat lang möchte ich es probieren und begebe mich auf Undercover Mission in bester Jason Bourne Manier.

Es wird das Erste von 12 spannenden Lifestyle Experimenten in 2018. Einen Monat lang möchte ich versuchen, keinerlei digitale Spuren zu hinterlassen, die irgendwo gespeichert werden. Dazu gehören E-Mails, Apps, GPS-Daten, Geldbewegungen, Reisebuchungen und vieles mehr.

Um diese Anonymität zu gewährleisten, werde ich mir eine zweite Identität erschaffen, im anonymen Darknet surfen und auf die Nutzung von allen gebräuchlichen Apps, die Daten speichern, Kreditkarten und Identitätsnachweisen verzichten. So langsam wird mir bewusst, auf was ich mich hier eigentlich eingelassen habe.

Ich muss auch ganz klar sagen, dass ich weder für dieses noch die anderen Experimente ein Experte bin. Deshalb freue ich mich umso mehr über hilfreiche Kommentare. In meiner Vorbereitung habe ich mit Datensicherheitsexperten gesprochen (von denen es im privaten Bereich echt wenig gibt) und ein paar interessante Bücher zum Thema gelesen:

  • Julia Angwin: "Dragnet Nation" - ein tolles Buch, das Augen öffnet und konkrete Hinweise darauf gibt, wie wir alle vorsichtiger mit unseren Daten umgehen können.
  • Jamie Bartlett: "The Dark Net" - Journalist Jamie Bartlett zeigt eine Welt zwischen Hoffnung auf freie Meinungsäußerung und den dunklen Seite, die Anonymität in Menschen weckt.
  • Harald Welzer: "Die smarte Diktaktur" - der Direktor der Stiftung Zukunftsfähigkeit "Futurzwei" beschreibt, wie sich unser Verhalten immer mehr an Technologien und veränderte Lebensumstände anpasst, bis wir in unserer Ich-Bubble nicht mehr merken, wie sehr unsere Freiheit subtil eingeschränkt wird.
  • Kevin D. Mitnick: "The Art of Invisibility" - noch bin ich nicht ganz durch aber diese Anleitung von einem der berühmtesten Hacker aller Zeiten wird wohl meine Bibel im kommenden Monat.
  • Glenn Greenwald: "Die globale Überwachung" - spätestens nach Lesen dieses Buches über die Verflechtungen der Geheimdienste stellt sich Paranoia ein.
  • Max Schrems: "Kämpfe um deine Daten" - Der Autor hat vor einigen Jahren in einem Verfahren gegen Facebook für Aufsehen gesorgt und regt durch die zu großen Teilen objektive Betrachtung über den Umgang unserer Daten durch Konzerne und Staat zum Nachdenken an.

Gewappnet mit diesem Halbwissen, guten Ratschlägen und viel Lust auf das Ausprobieren, wage ich mich an das Experiment. Bis zum Monatsende möchte ich mich für mich vor allem die folgenden Fragen beantworten können.

Wie schwer ist es, am sozialen Leben teilzunehmen, ohne ständig aufgezeichnet zu werden? Wer weiß etwas über mich und wie viel? Kann ich mich in der Offline-Welt auch ohne Identitätsnachweise fortbewegen? Und was geht eigentlich in diesem anonymen Darknet vor sich?

Die Bestandsaufnahme

Wer sammelt eigentlich Daten von mir und was passiert damit? Es sind vor allem private Unternehmen und Marktforschungsinstitute, Arbeitgeber, Geheimdienste, Polizei, BKA (INPOL) sowie andere Ämter und regierungsnahe Institutionen.

Im Gegensatz zu Ländern wie den USA genießen wir in Deutschland als Bürger einen relativ hohen Schutz vor missbräuchlicher Datenverarbeitung und -speicherung. Hervorzuheben sind bei diesen Rechten, die im Datenschutzgesetz verankert sind, der Schutz des Persönlichkeitsrechts bei der Datenverarbeitung und das Recht auf Selbstauskunft nach § 19 und § 34 BDSG.

Nur um dir mal einen kleinen Eindruck darüber zu geben, wer eigentlich alles Daten von uns speichert und verarbeitet:

  • Auskunfteien wie Schufa, Creditreform und Deltavista
  • Adresshändler wie Acxiom, Deutsche Post und Regis24
  • Mieterauskünfte wie die Vermieterschutzkartei und DeMDa (Deutsche Mieter Datenbank KG)
  • Behörden wie das BKA, Kraftfahramt und Landesämter
  • Banken, Versicherungen und Versorger
  • Private Unternehmen wie PayPal, Amazon, Facebook, Google uvm.

Ich habe bei verschiedenen Unternehmen und Institutionen von meiner informationellen Selbstbestimmung Gebrauch gemacht. Hilfreich dabei war der Service von Selbstauskunft.net, wo ich mit wenig Aufwand meine gespeicherten Daten bei unterschiedlichen Stellen abfragen konnte.

Überrascht bei den Auskünften hat mich vor allem, wie falsch und veraltet die Daten zu großen Teilen waren. Außerdem interessant zu sehen war, welche Unternehmen meine gespeicherten Daten z.B. bei der Schufa oder der Deutsche Post Direkt AG angefragt haben. Das waren Unternehmen, von denen ich noch nie gehört habe und mich frage, was sie mit meinen Daten wollen.

Ämter und Adresshändler hatten nicht besonders viele Daten von mir. Ganz anders sah das natürlich bei Google & Co aus. Nachdem ich dort meine gespeicherten Daten auf einen Blick gesehen habe, ist es mir eiskalt den Rücken heruntergelaufen. Basierend auf meiner Suchhistorie, meinen besuchten Orten, E-Mails und mehr habe ich keine Zweifel daran, dass Google mich besser kennt als ich selbst. Die entscheidende Frage bleibt, wie Unternehmen heute und auch zukünftig diese unglaubliche Macht über uns einsetzen.

Ich kann dir nur wärmstens empfehlen, dich für deine hinterlassenen Daten zu sensibilisieren, indem du Selbsteinkünfte einholst, ein Google Archiv mit deinen Daten erstellst, deine Google Maps Timeline einsiehst oder eine Kopie deiner Facebook-Daten herunterlädst. Ganz schön erschreckend, sein eigenes Leben so auf dem Silbertablett zu sehen.

Die Probleme mit der Anonymität

Zum einen sind da die ganz offensichtlichen Daten, die bei jedem Check-in am Flughafen, bei jeder Bargeldabhebung und bei Anrufen über das Handy hinterlassen werden. Nicht ganz so offensichtlich sind die Daten, die von verschiedenen Geräten und Apps im Hintergrund aufgezeichnet werden. Dazu gehören vor allem GPS Daten und jegliche Datenübertragung.

Transport: Spätestens beim überqueren von Grenzen hört die (legale) Anonymität auf. Aber auch schon das Buchen von Flügen und anderen Transportmitteln oder das Mieten von Autos ist ohne Ausweis fast unmöglich. Ganz interessant: alle Flugdaten werden nach dem PNR ( Passenger Name Records; Fluggastdatengesetz) zentral beim BKA gespeichert und sind von allen Fluglinien abrufbar. Ich bin gespannt, wie weit ich mit Bargeld und ohne Ausweis komme.

Wohnen: AirBnB, Booking.com und Mietverträge sind ohne Ausweis keine Optionen. Die einzigen Alternativen sind die Nutzung einer Fake ID bei der Buchung oder das Nächtigen bei Freunden und in kleinen Gasthäusern, die keinen Ausweis verlangen.

Finanzen: Hier wird es richtig kompliziert. Geld abheben, Überweisungen, online einkaufen und per Kreditkarte bezahlen fällt komplett aus, wenn man anonym bleiben möchte. Es bleibt das Bargeld aber auch das muss irgendwo herkommen. Kryptowährungen? Eine gute Option, aber auch hier liegt die Schwierigkeit beim Wechsel von Fiatgeld in die digitale Währung.

Telefon: Mit sogenannten Burner Phones und Prepaid-Karten ist schon relativ viel Anonymität möglich. Trotzdem können selbst bei älteren Modellen ohne Internetverbindung Standortdaten über Funkmasten festgestellt werden. Wirklich sicher ist nur das häufige Wechseln der SIM-Karte und das Herausnehmen des Akkus bei Nichtbenutzung.

Kommunikation: All die beliebten Programme, die unsere Kommunikation so leicht machen, sind absolute Datenkraken. Gmail, Facebook, WhatsApp, Skype und vor allem die Nutzung des Handys fallen flach. Was bleibt sind alternative Apps, die keine Daten speichern (und die auch keiner meiner Freunde benutzt), oder die gute alte Brieftaube.

Internet allgemein: Mit dem Tor Browser, VPN-Verbindungen und der Suchmaschine DuckDuckGo kann man schon relativ anonym surfen. Darüber hinaus gibt es weitere Programme, die ständig die IP-Adressen wechseln. Vorbei mit der Anonymität ist es natürlich sobald ich mich in einem meiner gewohnten Apps einlogge. Hier bleiben nur alternative Programme oder neue Identitäten.

Die Alternativen zu Datenkraken

Anonym zu sein bedeutet nicht, komplett auf E-Mail, Chat oder das Browsen im Internet verzichten zu müssen. Es gibt durchaus Software, die auf das Speichern von Daten verzichtet. Eine tolle Seite mit Alternativen zu den gängigen Apps ist Prism Break.

Es gibt auch Smartphones und Laptops, die fast ohne Datenspeicherung auskommen (z.B. von Silent Circle). Wie in klassischen Hollywood Streifen werde ich zwei Burner Phones mit verschiedenen Prepaid-Sim-Karten nutzen, die ich jeweils bar bezahlt und ohne Registrierung gekauft habe.

Was mir ansonsten während der Vorbereitung schon bewusst geworden ist, sind die hohen Barrieren für Anonymität. Programme ohne Datenspeicherung sind alles andere als selbsterklärend und kompliziert im Setup. Außerdem benutzt kaum jemand in meinem Freundeskreis anonyme Apps, so dass ich am Ende nur mit mir selbst chatten kann.

Ich bin gespannt wie praktikabel das Ganz am Ende des Monats wird. Zum jetzigen Zeitpunkt sieht mein Basic Setup so aus:

Die zweite Identität

Menschen, die anonym bleiben wollen, verfolgen unterschiedliche Strategien: entweder sie verstecken sich im Wald oder nutzen eine Vielzahl verschiedener Identitäten, um Datensammler zu verwirren. Für mich ist Letzteres interessant.

Das sieht in der Praxis so aus, dass Gabi auf Google nach Informationen sucht, Michael bei Amazon bestellt, Gerhard einen Tisch im Restaurant reserviert und Gerlinde die nächste Reise bucht. Alle Aktivitäten werden zwar von der gleichen Person ausgelöst, die Avatare stehen aber in keinerlei Verbindung miteinander. Durch die Vielzahl verschiedener Identitäten und mit viel Vorsicht kann so viel Verwirrung gestiftet werden, dass kein umfassendes Profil mit Daten entsteht.

Interessant ist auch, dass es per se nicht verboten ist, gefälschte Ausweise zu besitzen, solange diese nicht zur Täuschung genutzt werden (verstehen muss man das nicht, aber es ist so). Brauchst du eine zweite Identität? Die bekommst du hier mit einem Mausklick.

Meine zweite Identität habe ich so gewählt, dass sie aus einem der Top 25 Vor- und Nachnahmen, der in verschiedenen europäischen und angelsächsischen Sprachraum genutzt wird, besteht. Der weltweit häufigste Geburtstag ist der 16.09. und eine ausführliche Biographie erweckt meinen Avatar zum Leben. Vielleicht begegnest du meinem Alter Ego ja in den nächsten Tagen mal.

An dieser Stelle noch ein kurzer Hinweis: ich habe weder mit diesem noch mit anderen Experimenten vor, Gesetze zu brechen, werde mich aber wohl im kommendem Monat an den Grenzen der Legalität bewegen. Damit will ich ganz und gar nicht dazu aufrufen, es mir nach zu machen.

Es wird ernst

Ab dem 1. Januar wird es ernst. Meine größten Hürde neben dem Fakt, dass ich ein Online Business betreibe, wird das Reisen sein. Im Januar habe ich bereits einige Termine innerhalb von Thailand, zu denen ich es irgendwie ohne Reisepass schaffen muss. Die erste große Herausforderung hat mein Hinterteil heute schon zu spüren bekommen: 750 km auf dem Motorroller von Chiang Mai nach Bangkok.

Ich bin sehr gespannt, wie schwer eine solche Datendiät tatsächlich ist und wie sehr ich mich in meinem sozialen Leben einschränken muss. Nach den ersten Erfahrungen verstehe ich, warum bei vielen von uns die Bequemlichkeit über der Privatsphäre steht: Anonymität ist einfach verdammt aufwändig.

Wenn du auf dem Laufenden bleiben willst, dann schau auf der Wireless Life Facebook Seite vorbei oder abonniere den Newsletter weiter unten. Auch wenn ich bald untertauche, wird dich mein Alter Ego in den nächsten Tagen auf dem Laufenden halten.


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