Den Vorhang zu und alle Fragen offen

Den Vorhang zu und alle Fragen offenIch dürfte gar nicht pausieren. Denn es gibt so viele Themen, so viele virtuelle Texte, die nie geschrieben werden von mir. Über die Ehre des Ehrenmannes Blatter, die keine Karikaturen zulasse, während ein Prophet dargestellt als Mörder nichts Ehrenrühriges hat. Darüber, dass ich erst neulich erfuhr, dass Bohlen schon im September in den österreichischen Wahlkampf zog, dort den Todesstrafenbefürworter Stronach unterstützte. Warum liest man darüber so wenig in Deutschland? Nach welchen Kriterien entsteht denn eigentlich die Weltkarte der Pressefreiheit? Und warum landet da Deutschland vorne, obwohl so viele Menschen, die ich kenne, das Gefühl haben, gar nicht richtig informiert zu sein? Und nochmals Blatter. Der will die Weltmeisterschaft in Katar in den Winter verlegen, damit die armen Profis nicht so in der Hitze verenden, wie jene Sklavenarbeiter, die die Stadien bauen müssen. Dass ein Sonnenkönig etwas in der Art fordert, ist ganz normal. Dass die Journaille nicht kritischer in Relation setzt, ist es mittlerweile auch.

Weiterer Pausenvermieser: Ist der Oligarch gut und der Präsident schlecht? Warum kann man derlei Konstellationen innerhalb der Politik und der Wirtschaft medial nicht weniger manichäistisch thematisieren? Immer diese beschissene Gegenüberstellung von Licht und Finsternis wo es gar kein Fenster zum Belichten gibt. Und wenn ich dann sehe und lese, wie Marieluise Beck, grünes Urgestein, den Oligarchen bei Facebook herzt, auf einem Bild in die Arme schließt und schreibt, der Typ sei ein "gereifter, kluger, von Verantwortung geprägter Mensch und Freund", dann müsste ich eigentlich einen ellenlangen Text schreiben. Eigentlich. Nur so viel: Ein Land, dass sich Freunde von Steuerbetrügern und Wirtschaftskriminellen in der Opposition leisten kann, ist demokratisch gesehen am Ende.
Na ja, ich stehe selbst enttäuscht und seh betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen. Das Motto, wie so oft, wenn man in Opposition zum Zeitgeist denkt. Viel geschrieben, viel Stoff gehabt dieses Jahr. Die Welt wurde dadurch aber auch kein besserer Ort. Ich beende jedenfalls für dieses Jahr diese Sinnlosigkeit.
Ja, ich weiß doch: Ich sollte nicht pausieren. Es gibt zu viel Dinge, die kommentiert werden wollen. Gönnt es mir trotzdem. Zumal ich es doch versprochen habe. Meiner Frau, meinem Kind - und mir. Meinen Nerven. Meinem Darm. Ich habe mir geschworen, nicht mal zu reagieren, wenn in Berlin geputscht wird. Ich will das alles gar nicht wissen.
Hey Leute, laßt uns einen Deal machen. Wenn sich die Welt bis ... sagen wir bis zum 4. Januar nicht verbessert hat, dann - und nur dann - packe ich wieder an. So gesehen mache ich keine Pause, sondern gebe dieser Wirklichkeit nur eine Schonzeit, eine Frist, in der sie sich bessern kann. Das liest sich doch gleich anders. Oder nicht?
Macht das Beste aus den kommenden Tagen. Nee, keine schöne Weihnachten als frommen Gruß an euch. Denn dazu fehlt mir der Glaube. An dieses konsumfördernde Baby in der Krippe zu Bethlehem glaube ich nicht. Aber daran, dass eine Phase der kontemplativen Ruhe uns allen Kraft schenkt, glaube ich schon eher. Deshalb: Esst einfach gut, sauft was, macht euch übereinander her. Schaltet ab, wenn man diese Realität schon nicht per Knopfdruck abschalten kann. Macht das Beste aus dem Schlechten. Und bis zum 4. Januar ...
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