Demokratie zu verkaufen?
Für 100 Euro hat Rómulo sein Bürgerrecht verscherbelt. Das war der Preis für seine Stimme bei den spanischen Parlamentswahlen, mit der er glaubte, ohnehin nichts verändern zu können. Zwei Wochen lang hatte der 38-jährige Kellner aus Madrid auf Aushängen in den Straßen von Madrid und Valencia sein Angebot kundgetan: «Ich verkaufe meine Stimme. Preis ist Verhandlungssache. Die Ideologie spielt keine Rolle», stand auf dem DIN A4-Blatt, an dem unten Schnipsel mit seiner Telefonnummer auf Abreißer warteten.
Auf das, was Rómulo getan hat, stehen in seinem Land 180 bis 1800 Euro und eine Haftstrafe. In Deutschland ist dem Stimmenkauf im Strafgesetzbuch ein eigener Paragraph gewidmet, der 108 b zur «Wählerbestechung»: Käufer wie Verkäufer werden mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft.
Im mafiageprägten Italien sind Angebote à la «2000 Stimmen für 3000 Euro» keine Seltenheit, zu den Europawahlen 2009 machten Politiker etliche Fälle publik. Doch auch hierzulande versuchen Nicht-Wähler ab und an, das ihnen zustehende Kreuzchen zu Geld zu machen. Vor der Bundestagsfall 2005 liefen bei Ebay diverse Angebote ein, die jedoch vom Auktionskaufhaus prompt gelöscht wurden. Und bei den vorherigen Wahlen 2002 bot die sogenannte «Partei der extremen Mitte» auf cashvote.com Stimmenpakete für Parteien an – letztlich steckte allerdings nur eine satirische Kunstauktion dahinter.
Schwächelt die repräsentative Demokratie?
In Spanien allerdings scheint der Stimmenhandel derzeit eine andere Qualität zu haben. Eben erst haben sich Zehntausende als «Wütende» zusammengetan, um darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich nicht im Geringsten von den beiden im Wechsel regierenden Parteien vertreten fühlen. Die Bewegung hatte sich vor den Wahlen darauf geeinigt, sich entweder der Stimme zu enthalten oder eine der kleinen Parteien zu wählen, die ohnehin keine Rolle spielen. Und in der ganzen Welt macht sich die Occupy-Bewegung Luft, weil die Regierungen der Bankenmacht nichts entgegenzusetzen haben.
«Wir wollen eine Demokratie von unten, die transparenter ist und bei der die Mehrheit der Leute mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten hat und Gesetze direkter beeinflussen kann», formuliert Raúl Barriuso die Forderungen der Unzufriedenen. Der spanische Schauspieler organisiert in Leipzig die Protestbewegung. Ist es Zeit für direktere Demokratie und greifbarere Mitbestimmung?
Der Darmstädter Politikwissenschaftler Eike-Christian Hornig ist skeptisch, dass sich durch Referenden und Volksentscheide das System erneuern lässt. «Sie sind kein Gegenmittel gegen die Parteienherrschaft, denn sie funktionieren auch nach der Logik der Parteien», sagt er. Schließlich entscheiden diese, ob, wann und worüber ein Referendum durchgeführt wird – und das Volk richte sich bei seiner Entscheidung nach der Partei seines Vertrauens: «Die Ergebnisse bestätigen dann, was die repräsentativen Kräfte ohnehin tun», erklärt Hornig.
Ein Beispiel, wie das Parteiensystem die Volksabstimmung instrumentalisiert, ist auch die Stuttgarter Volksabstimmung am Sonntag. Grün und Rot wollen zwar gemeinsam regieren, können sich aber in der Bahnhofsfrage nicht einigen. «Also geben sie die heiße Kartoffel weiter und lagern die Entscheidung an die Wähler aus», sagt Hornig.
Demokratie kann sich anpassen
Etwas anders sieht es bei den Elementen der direkten Demokratie aus, die von unten kommen: ein Volksbegehren, für das zunächst eine bestimmte Anzahl von Unterschriften zusammengetragen werden muss. Wie zum Beispiel beim Nichtraucherentscheid in Bayern. Dort stand allerdings auch wieder eine Partei dahinter: Der ökologischen ÖDP gelang es, sich auf diese Weise ins Bewusstsein der Wähler zu drängen.
Eine gewisse Chance für kleine Parteien, über ein zugkräftiges Thema die Herrschaft der Etablierten aufzubrechen, gibt es damit schon, räumt Eike-Christian Hornig ein. Für die spanischen «Indignados» und die weltweiten «Besetzer» mit ihren umfassenden Forderungen lässt sich dieses Prinzip jedoch schlecht anwenden. Nur durch eine Vielzahl von Einzelbegehren könnten sie Veränderungen durchsetzen – oder über außerparteiliche Organisationen, wie zum Beispiel Attac, deren Mitgliederzahlen seit Jahren stetig wachsen.
Allein die Tatsache, dass für all das Platz ist in unserer repräsentativen Demokratie, wertet Hornig als Zeichen, dass es gar nicht so schlecht bestellt ist um dieses politische System – trotz der paar Stimmenverkäufer und insgesamt 640.000 ungültigen Stimmen bei der letzten Bundestagswahl. «Es wurde schon so viel daran herumgeschraubt, eine Parlamentskammer abgeschafft oder ein präsidentielles System eingeführt. Es ist genug Flexibilität da», findet er. Auch in Spanien – obwohl 45 Prozent Jugendarbeitslosigkeit dort eine harte Herausforderung bleiben. Für Mariano Rajoy und die Demokratie.
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Wahlen und Protest – Demokratie zu verkaufen?
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