Deafheaven: Unausweichlich, unbeugsam

Deafheaven: Unausweichlich, unbeugsamDeafheaven
„Ordinary Corrupt Human Love“

(ANTI-)
Das ist ja gerade das Schöne an dieser Band. Auch wenn die neue, vierte Platte von Deafheaven vielleicht nicht ganz so fulminant, so wuchtig daherkommt wie der Vorgänger „New Bermuda“ aus dem Jahr 2015 – es finden sich immer noch jede Menge interessante Verweise und ungewöhnliche Momente, die Band in ihrer Einzigartigkeit zu bestätigen. Angefangen beim Titel des Albums, der dem Roman „Das Ende einer Affäre“ von Graham Greene entlehnt ist und auch als ungekürzter Tagebucheintrag der Protagonistin nichts an Schönheit verliert: „I’m not at peace any more. I just want him like I used to in the old days… I’m tired and I don’t want any more pain… I want ordinary corrupt human love. Dear God, you know, I want to want Your pain, but I don’t want it now.“ Viel menschlicher und viel trauriger kann man die Sehnsucht nach Liebe wohl kaum in Worte fassen. Einfachheit ist ein großes Thema bei Deafheaven, auch das Coverfoto von Nick Steinhardt, das eine unbekannte alte Dame in einer Straßenschlucht von Los Angeles zeigt, transportiert ein Stück weit das Unabänderliche, Unausweichliche unsrer Existenz und den Willen, damit klarzukommen.
Sicher war es keinesfalls, daß die Freunde George Clarke und Kerry McKoy gemeinsam mit ihren Kollegen dieses neue Werk würden stemmen können – wie man liest, waren sie wohl nach der Veröffentlichung des Vorgängers und ausgiebigen Konzertreisen derart ausgebrannt und am Ende, daß auch eine Auflösung der Band drohte, Drogen taten ein Übriges. Dennoch haben sie den Weg zum Dauerproduzenten Jack Shirley gefunden, haben sie sich zusammengerauft und sieben neue Stücke aufgenommen, die konsequenter die Linie des Black-Gaze-Quintetts nicht hätten fortführen können. „Ordinary Corrupt Human Love“ ist so etwas wie eine weitere Eskalation ihres bisherigen Schaffens geworden, die Gegensätze zwischen geradezu lieblichen Dreampop-Melodien und martialischem Metal-Krach treten hier so deutlich wie selten zutage, zwischen Clarke’s erbarmungswürdigem Geschrei und bretthartem Noiselärm finden sich Jazzanleihen, träumerische Pianopassagen und bei „Night People“ sogar der vergleichsweise konventionelle Gesang einer Chelsea Wolfe.

Derlei Einschübe kommen mit zunehmender Häufigkeit, beim zwölfminütigen Monument „Canary Yellow“ ist es ein Männerchor im Hintergrund, „Near“ kommt gleich ganz ohne den fiesen Krach aus und über die komplette Spiellänge drängen sich permanent (und nicht zu jedermanns Freude) handelsübliche Hardrockriffs ins Bild. Ein weiteres „New Bermuda“ mit all der Düsternis und Zerstörungswut sei, so die Band, nicht noch einmal zu machen gewesen, in Anbetracht der geschilderten Begleiterscheinungen ist das nur allzu verständlich. Und mit Überlängen wie „Honeycomb“, dem besagten Kanarienvogel, „Glint“ und „Worthless Animal“ ist auch genügend ohrenbetäubender Lärm geboten. Ohnehin liebt man Deafheaven als die Summe der einzelnen Teile, also sowohl für das Harte wie auch das betont Weiche, für ihr unbarmherziges Getöse ebenso wie für ihr Gespür, mitten in den wildesten Orkan eine zarte Melodie zu setzen, die den Schrecken nehmen oder als Kontrast gleich darauf wieder verstärken kann. Deafheaven bleiben deshalb, was sie immer waren: einzigartig. https://deafheaven.com/
15.09.  Dresden, Beatpol
26.09.  Köln, Essigfabrik
27.09.  Berlin, Bi Nuu
28.09.  Karlsruhe, Jubez
09.10.  München, Hansa 39
10.10.  Winterthur, Salzhaus
14.10.  Wien, Arena

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