De dicto

"Wer in unsicheren Zeiten Jobs schafft, gibt vielen Menschen die Chance zum sozialen Aufstieg.
Jetzt sind die Arbeitslosen am Zug. Die Jammer-Ausrede „Ich finde einfach keinen Job“ zieht nicht mehr!
Denn: Die Firmen suchen Zigtausende Mitarbeiter auch für „einfache“ Stellen: Bauarbeiter, Putzhilfen, Verkäuferinnen, Wachleute. Alles Jobs, für die man keinen Doktortitel oder Studium braucht."
 - Jan W. Schäfer, Bildzeitung vom 14. Juni 2013 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Wer jetzt nicht sozial aufsteigt, der ist selber schuld, will Schäfer hier ausdrücken. Arbeitslose, die sich in Ausreden üben, die jammern: Es ist mal wieder Bashing-Zeit. Interessant ist dabei eigentlich nichts. Das war ja alles schon mal da; wahrscheinlich gibt es keine Widerlichkeit mehr, die man nicht schon den Arbeitslosen anhängte. Interessant ist dabei einzig, was man in der Redaktion der Bildzeitung so alles als sozialen Aufstieg begreift.

Bauarbeiter: Wer heute auf dem Bau anheuert, darf sich auf mickrige Stundenlöhne bei vollem körperlichen Einsatz einstellen. Die Baubranche greift lieber auf scheinselbstständige Mitarbeiter aus Osteuropa zurück, die für wenig Geld arbeiten und die Unkosten für Arbeitsausfälle (aufgrund von Unfall oder Krankheit) auf ihre eigene Kappe nehmen. Freiberufliche Maurer erhalten halt keine Lohnfortzahlung. Man muss schon günstig arbeiten, um dort überhaupt eine Anstellung zu bekommen. Zeitverträge sind deshalb nicht unüblich. Der soziale Aufstieg als Bauarbeiter liegt irgendwo zwischen Zeitarbeit und Aufstocken.
Putzhilfen: Ist das der klassische Einstiegsberuf zum Aufstieg? Putzen wurde ja nie gut bezahlt, war nie besonders angesehen. Seit dem politisch gewollten Ausbau des Niedriglohnsektors wird diese Tätigkeit noch mieser entlohnt - das Ansehen sank dazu proportional. Wer heute putzt, der putzt als Angestellter einer Zeitarbeitsfirma die Räumlichkeiten eines Unternehmens, das vorher eine fest angestellte Kraft eingestellt hatte. Längere Krankheit wird in der Zeitarbeitsbranche nicht selten mit temporärer Kündigung überbrückt. Sicherheiten gibt es keine. Die Putzhilfe, das sagt ja schon der Name, ist nur eine Hilfskraft und wird deswegen zumeist lediglich als Geringverdiener eingestellt. Trotz geringfügiger Beschäftigung sind Arbeitszeiten von 25 Stunden in der Woche durchaus denkbar. Bei geringem Stundenlohn dauert es eben länger, bis die 450 Euro-Grenze erreicht ist. Die meisten offenen Stellen für Putzhilfen schließen von Beginn an aus, dass man je überhaupt bis an diese Grenze stößt. Aufstiegschancen gibt es für Putzhilfen nur, wenn ihr zu putzendes Objekt ein Obergeschoss hat.
Verkäuferinnen: Sie arbeiten immer mehr und zu den schlechtesten Uhrzeiten. Die Auflösung diverser Ladenschlussgesetze hat das Familienleben erschwert und nebenher nicht mal sichere Arbeitsstellen bewirkt. So köderte man damals die Leute noch, als man diese Gesetze kippen wollte. Sie ahnten durchaus, dass sie die Opfer der deregulierten und liberalisierten Öffnungszeiten würden. Da sagte man ihnen einfach, dass mit dieser Maßnahme die Umsätze steigen und schlussendlich die Arbeitsplätze gesichert würden. Nicht nur die Discounter schmeißen heute ihren Laden mit einem Heer an Minijobbern, die überdies viel länger arbeiten, als sie vertraglich mit dem Arbeitgeber vereinbart haben. Ein schöner sozialer Aufstieg ist das, zu familienfeindlichen Zeiten und zu kleinem Lohn sein privates Glück gefährden zu müssen.
Wachmänner: Hat Schäfer je eine Stellenanzeige hierzu gelesen? Nachtarbeit und Stundenlohn auf niedrigsten Niveau sind dort Usus. Häufig über den Umweg von Zeitarbeit, die den Lebensunterhalt nicht abdeckt. Wie sozial aufgestiegen muss man sich eigentlich vorkommen, wenn man den Besitz reicher Leute nachts bewacht, um dann trotzdem übernächtigt auf dem Amt seinen Anspruch auf Aufstockung belegen zu müssen? Auch bei Wachmännern läuft der soziale Aufstieg stets über die monatliche Anpassung des Regelsatzes an den Verdienst.
Ist das alles sozialer Aufstieg? Das Herumkrebsen in den Niederungen des Niedriglohnsegments? In einem Segment, in dem man wenig verdient und nebenher die Verachtung der Gesellschaft spürt? In dem die vollkommene Prekarisierung verwirklicht wurde, in denen die Reduzierung des Menschen zur absoluten Arbeitskraft schon vollbracht ist? Wieviele Geringverdiener erhalten schon Urlaub oder Lohnfortzahlung bei Krankheit?
Die von Schäfer genannten "Bauarbeiter, Putzhilfen, Verkäuferinnen, Wachleute" sind keine Aspiranten auf sozialen Aufstieg, sondern Branchen, in denen man wenig verdient, wenn man arbeitet und nichts verdient, wenn man ausfällt. Wer nicht arbeitet, der soll auch nichts essen - dieses alttestamentarische Sprüchlein ist dort im Rinnstein der schönen neuen Arbeitswelt Realität. Was Schäfer da predigt ist nicht Aufstieg, sondern die Aufopferung des letzten Funkens von Würde, die man vielleicht im Leib hat. Das sind Berufe, die Leute mit goldenen Löffel im Mund nie ergreifen würden, die sie aber brauchen und möglichst günstig erledigt bekommen wollen. Alle diese genannten offenen Stellen waren nie besonders angesehen, aber heute sind sie es so wenig wie nie. Heute sind sie Stellen, in denen man am eigenen Leib erfährt, für wie minderwertig die moderne Standesgesellschaft einen erachtet. Sie sind nicht mehr Stellen im klassischen Verständnis von Arbeitsmarkt, sondern Möglichkeiten, sich als Gesinde zu verdingen.
Sozialen Aufstieg machen vielleicht Leute, die vom sozialen Aufstieg via Gosse schreiben. Leute wie Schäfer. Nie und nimmer Erwerbslose, die in den Niedriglohn hineinstolpern. Für diese Menschen ist ein Aufstieg auch gar nicht geplant.

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