De auditu

 

Einer der schlimmsten Euphemismen, die wir im heutigen Deutschland kennen, ist etwas Gemütliches, eigentlich nichts Schlechtes. Das paranoide Abstandsgebot zu dieser Institution und dem Begriff, das um 1968 herum ausgesprochen wurde, ist jedoch weit übertrieben - denn sie kann durchaus missbraucht werden und zuweilen auch Ort versteckter Täterschaft sein, ist aber gleichfalls, und das hoffentlich viel öfter, eine Anlaufstelle für Geborgenheit und Akzeptanz. Der Begriff aber, er wird schamlos ausgebeutet und dient der Verklärung und Verschleierung, schafft Identität, wo es keine braucht, wo es sie aber aufgrund "höherer Interessen" geben soll. Es geht um die Familie. Die dürfte einer der schlimmsten Verschleierungsbegriffe sein.

Betriebe nennen ihre Belegschaft Familie, um auszublenden, dass man dieserlei "Familienmitglieder" auch entlassen kann - und Söhne und Töchter sind einfach treudoofer als Angestellte. Knallt nächtlich Geschirr und vernimmt man Geschrei und klatschende Hautpartien, spricht die gerufene Polizei hernach von Familienstreitigkeiten, um das zu Gehör getragene Gewaltpotenzial im Privaten zu belassen. Bringt man sich familiär um, so geschah eine Familientragödie. Muslime kennen keine Familientragödien, bei ihnen spricht man von Ehrenmorden, wenngleich es nicht selten auch ein übertriebener Ehrbegriff ist, der Familientragödien hervorruft. Neulich erst brachte ein Vater im Zuge von Sorgerechtsstreitigkeiten seinen Sohn um, er selber versuchte sich danach das Leben zu nehmen, was ihm misslang. Die Medien berichteten von einer Familientragödie, auch wenn es wohl ein ehrabschneidendes Gefühl war, dass man dem Vater vermittelte. Durchaus kann es seine verlorene Ehre, erst als Partner, dann als Vater gewesen sein, die ihn zum Kindsmörder werden ließ. Vom Ehrenmord schrieb jedoch niemand. Die Familientragödie ist der tragische Versuch, zerrüttete Verhältnisse bei nichtmuslimischen Familien zu entpolitisieren. Die Ehre als Motiv in muslimischen Familien wird deshalb betont, um sie als private Tragödie ans Tageslicht zu ziehen, sie zum Politikum zu machen.
Die Familie kann ein Hort der Zufriedenheit sein. In vielen Fällen ist sie es nicht. Sie hat aber nach wie vor einen guten Ruf, denn selbst die zerstörteste Familie bleibt im Angesicht einer kalten Umwelt, immer noch ein Rückzugsort, an dem man sich nicht ganz so unwohl fühlen muss wie draußen. Dieser gute Ruf, der Assoziationen wachrüttelt, die mit Gemütlichkeit oder Geborgenheit zu tun haben, wird mal bewusst, mal unbewusst missbraucht, wenn man die Familie als Begriff nutzt. Und wie im Falle des Ehrenmordes, ist die Unterschlagung der familiären Dimension eines Verbrechens, ebenso politisch und tendenziell. Die Aberkennung des Familiären in diesem Falle, raubt einer solchen Tat die menschliche Dimension und gibt ihr den Anstrich reiner, gefühlsloser Ideologie - die muslimische Familie wird somit generell als Ort der Härte und Unnachgiebigkeit gezeichnet, als Diktatur gegenüber Kindern und Frauen. Die Familientragödie aber, die vielleicht von einem Familiendiktatur begangen wird, darf sich Familiäres anheften.
Familie kann man sich nicht aussuchen, heißt es - den begrifflichen Gebrauch damit allerdings schon.

 


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