Es gibt in der Beratung so Standardsätze, die zu einer guten (Kurz)beratung bei einem Arzneimittel einfach dazugehören – und ich bekomme in neunundneunzig von hundert Fällen die – manchmal auch leicht genervte – Antwort “<em>Das weiß ich!</em>”.
Zum Beispiel der Hinweis, daß abschwellende Nasentropfen und Nasensprays bei längerem Gebrauch abhängig machen können. Der Satz ist eigentlich einfach Pflicht – und dennoch denkt man sich oft: Soll ich das auch diesmal wieder dazu sagen? Das müsste doch eigentlich mittlerweile jeder wissen. Aber gerade bei solchen Dingen sollte man eben nicht von sich ausgehen – und so kommt dieser Hinweis im Beratungsgespräch dann eben doch, auf die Gefahr hin, die erwartete “Standardantwort” zu bekommen.
Denn dann gibt es eben auch den einen von hundert Fällen, die wieder zeigen, wie wichtig diese Hinweise sind. Zum Beispiel den Kunden, dem erst durch diesen Hinweis bewusst wird, das er eigentlich schon abhängig ist von diesem Spray. Und das es eben keine hartnäckige Erkältung ist, die seine Nase seit Wochen immer zuschwellen lässt. Diese Einsicht führte bei ihm dann zu einer konsequenten Entwöhnungstherapie: Zusatzempfehlung eines Meersalzspray, welches dann im Wechsel mit dem abschwellenden Spray verwendet wurde, Tendenz zunehmend zum Meersalzspray, bis der Kunde letztlich ohne Nasenspray auskam.
Zugegeben, so etwas funktioniert nur dann, wenn
a) der Kunde die Einsicht hat, dass er da wirklich etwas tun muss
b) er konsequent dabei bleibt und
c) die Abhängigkeit nicht schon jahrelang besteht.
Wie kommt es eigentlich zur Nasenspray-Abhängigkeit?
Vereinfacht dargestellt: In der Nasenschleimhaut sitzen (gut, nicht nur dort, aber auf die kommt es jetzt hier an) Rezeptoren – eine Art “Schalter” für bestimmte Reaktionen, die reagieren, sobald der richtige Botenstoff oder Wirkstoff auf sie drückt. Das Nasenspray enthält einen Wirkstoff, der auf die Schalter in der Nasenschleimhaut wirkt, die eine Verengung der Blutgefäße bewirken, wenn sie aktiviert werden. Verengen sich die Blutgefäße, dann schwillt auch mit ihnen die Nasenschleimhaut ab.
Tja, und wir kennen das Phänomen ja auch aus dem Alltag: Wenn wir beispielsweise ein Geräusch (Klimaanlage, Uhrticken, …) ständig hören, blendet unser Gehirn dieses nach einer Weile aus. In gewisser Weise ähnlich reagieren die Zellen, auf denen die “Blutgefäßschalter” sitzen: Kommt immer wieder durch die Gabe von Nasenspray die Aufforderung, die Blutgefäße zu verengen, dann reagieren diese Zellen, indem sie diese Schalter einfach “demontieren” – insgesamt sind nachher weniger dieser Schalter vorhanden als normalerweise.
Die Folge: Gefäßerweiternde Impulse auf die Blutgefäße werden nun besser “gehört” als die gefäßverengenden, und die Nasenschleimhaut schwillt an. Wie reagiert der Mensch? Er nimmt mehr Nasenspray. Und die Nasenschleimhaut? Demontiert weitere Schalter. Natürlich gibt es dafür auch einen Fachbegriff: “Privinismus” (oder Arzneimittel-Rhinitis (Rhinitis medicamentosa)) – nach dem abschwellenden Mittel “Privin” benannt, das es seit Jahrzehnten in der Apotheke freiverkäuflich gibt (gerade sicherheitshalber nachgeschaut: auch heute noch).
Konservierungsmittel und Flimmerhaare (Zilien)
Zilien (Flimmerhaare) unter dem Mikroskop
Erschwerend kommt noch hinzu: In vielen Nasensprays und Nasentropfen sind Konservierungsmittel (Benzalkoniumchlorid) enthalten. Für Benzalkoniumchlorid ist schon seit längerer Zeit bekannt, dass es die Flimmerhärchen der Nasenschleimhaut, die normalerweise beständig in Richtung “Ausgang” schlagen und so für die Reinigung der Nase von Fremdkörpern und Krankheitserregern mitverantwortlich sind, schädigt (Untersuchung an der HNO-Universitätsklinik Ulm, Quelle: Konservierungsmittel schädigt die Zilien, Pharmazeutische Zeitung, 2001;146(1):28) – unter Umständen sogar zerstören kann. (Wie sagte einmal ein Referent: “Wenn Sie dauerhaft abschwellende Nasensprays mit Konservierungsmitteln anwenden, ist das wie ein Rasenmäher für die Flimmerhärchen). Infolge der nun fehlenden oder mangelhaften Flimmertätigkeit der Zilien verstopft die Nase schneller – und richtig, man greift wieder zum Nasenspray.
Entwöhnung
Die Entwöhnung – entweder durch totales Absetzen des Nasensprays oder Verringerung der Anwendungshäufigkeit gekoppelt mit einer ersatzweisen Spülung mittels Meersalznasensprays bewirkt, daß die Rezeptoren wieder “montiert” werden und betriebsbereit sind. Das Meersalzspray wirkt außerdem trockenen Nasenschleimhäuten entgegen, die durch häufige Anwendung von abschwellenden Sprays entstehen können.
Diese Entwöhnung ist jedoch schwierig – denn in dieser Zeit leidet man verstärkt unter verstopfter Nase. Allerdings ist diese Phase meist schon nach einer Woche durchgestanden.
Tja, das war jetzt ein etwas längerer Exkurs – aber vielleicht denken Sie daran, wenn Sie in einer Apotheke zu Ihrem Medikament einen Hinweis hören, der Ihnen schon lange bekannt ist: Diese Beratung ist wichtig - vielleicht nicht für Sie, aber für einen anderen Kunden – und ganz sicher keine Bevormundung. Und sie gehört in einer guten Apotheke einfach dazu – schliesslich kann man Ihnen nicht ansehen, dass Sie das schon wissen .
(Nebenbei bemerkt: die Apotheken sind in Deutschland zur Beratung sogar gesetzlich verpflichtet).
Welche Standardhinweise hören Sie denn öfters in der Apotheke? Und wissen Sie, was dahintersteckt?