Ob sich der Albtraum der Viererwelt klammheimlich davon gestohlen hat oder nur Pause macht, weiß ich nicht. Vergangene Nacht stand ich unerwartet wieder am Fluss. Sogar der Gesichtslose war da und er tat so, als wäre ich nie weg gewesen. Traumwesen haben eben eine andere Sicht der Dinge und der Zeit.
„Ich bin froh, wieder hier zu sein“, sagte ich zu meinem gesichtslosen Begleiter.
„Du warst nie weg“, entgegnete er.
„So war ich denn hier und drüben zugleich? Wie ist es möglich an verschiedenen Orten zur gleichen Zeit zu träumen?“
„Es ist eine Eigenschaft des Traumraums. Ort und Zeit sind unbestimmt.“
„Da können wir von Glück reden, dass es in der Wirklichkeit nicht so ist. Dort bin ich immer nur an einem Ort zur gleichen Zeit.“
„Zumindest nimmst du so die Wirklichkeit war.“
In diesem Augenblick hörte ich ein tiefes Grollen. Es schien auf uns zuzulaufen und sich dann wieder zu entfernen. Ein Gewitter? Ein Erdbeben, oder gar ein Traumbeben?
„Es ist ein Echo eines nahenden Ereignisses“, klärte mich der Gesichtslose auf. „Das Echo wird wiederkommen und jedesmal wird es stärker sein, bis das Ereignis eintritt.“
„Ein Echo kann nicht vorauseilen. Es kommt immer nachher – nach dem Ruf.“
Der Gesichtslose hustete. „Hier nicht. Wie ich schon sagte, Raum und Zeit sind unbestimmt. Da kann ein Echo sehr wohl Botschafter eines kommenden Ereignisses sein.“
„Dann ist es kein Echo mehr“, beharrte ich. „Wie willst du denn überhaupt wissen, dass dieses Geräusch vorauseilt und nicht hinterher?“
„Es gibt Dinge, die weiß man nicht, die spürt man.“
„Wo liegt denn der Unterschied zwischen Glauben und Spüren?“ Ich war in Kampfeslaune. „Viele Gläubige sagen ja auch, sie spürten Gott oder sie würden ihren Engel spüren.“
„Wenn ihr Wirklichen mehr auf euer Gespür achten würdet, würden nicht so viele Fehler passieren. Ihr seid jedoch viel mehr geneigt, dem zu vertrauen, was ihr euren Verstand oder sogar Vernunft nennt. Dabei sind die beiden oft nur Synonyme für Eigennutz.“
„Ach was, leider hören wir viel zu wenig auf die Stimme der Vernunft“, gab ich zurück, „die Welt ist zu vernunftlos und oft verzweifle ich am Verstand der Menschen. Doch zurück zum eigentlichen Thema: von welchem Ereignis kündet denn das vorauseilende Echo?“
Der Gesichtslose hustete, diesmal wesentlich stärker und mir fiel wieder ein, dass sein Husten nichts anderes als ein Lachen war.
„Von einem Sprung, vermute ich, einem Zeitriss.“
„Hier im Traum, wo nach deinen Worten keine Zeit herrschen soll?“
„Nicht hier, das Echo kommt von drüben.“
„Von drüben? Aus der Wirklichkeit? Das ist unmöglich, dort gibt es nur richtige Echos und die hört man, nachdem man gerufen hat und nicht vorher.“
„Es hat schon längst jemand gerufen, nur hat es noch kaum einer gehört.“
Träume sind wie unvollendete Kreuzworträtsel. Euer Traumperlentaucher.
Bild: Die Kraft der Natur