Nachdem ich Ein wenig Leben von Hanya Yanagihara gelesen hatte, war ich überzeugt davon, dass es einen Grund gab, warum die deutsche Verlagswelt die Veröffentlichung ihres Debüts Das Volk der Bäume erst einmal übersprang und lieber direkt ihren zweiten, großartigen Roman an die Leserschaft brachte. Jetzt, nach Beendigung der Lektüre, kann ich es jedoch nicht mehr nachvollziehen und bin wirklich sehr glücklich darüber, dass die Autorin durch ihr zweites Buch so berühmt wurde, dass wir doch noch in den Genuss ihres Erstlingswerks kamen.
Der junge Wissenschaftler Norton Perina macht sich auf den Weg, eine neue Welt und ihre Geheimnisse zu entdecken, so, wie es in der Geschichte schon viele Male geschah. Doch auf der Insel Ivu'Ivu verbirgt sich nicht nur der Stamm einer fremden Kultur, sondern auch das Rätsel um die Unsterblichkeit. Ein medizinscher Durchbruch scheint greifbar. Perina wächst zu einer Koryphäe der wissenschaftlichen Gesellschaft heran, muss gleichzeitig aber auch mit ansehen, wie die Unschuld der Insel und ihrer Bewohner*innen immer weiter verblasst.
Das Volk der Bäume liest sich wie eine Biografie, die sich im Grunde in zwei Teile unterteilen lässt: Perinas junge Jahre als Wissenschaftler und Mitentdecker und Perinas spätere Jahre als Vater von einer sehr hohen Zahl an Adoptivkindern. Während man im ersten Teil in einen heißen, immergrünen Urwald entführt wird, wo man sich mit dem oftmals sehr unsympathischen Protagonisten auf die Suche nach der Unsterblichkeit macht, verbringt man im zweiten Teil eine unruhige Zeit in einer chaotischen Familie, bei dessen Vater man nie so wirklich weiß, ob er gutherzig oder selbstgefällig handelt. Es ist jedoch erst der Anhang des Buches, der einen so richtig schlucken und über das Gelesene reden wollen lässt. Die Autorin beweist mit dem Ende ein weiteres Mal ihre Brillanz, die mich sicher noch mehr umgehauen hätte, hätte ich nicht schon vorher so viel zu dem Buch gewusst. Ich kann euch damit nur ans Herz legen, nicht zu viel im Voraus über den Roman in Erfahrung zu bringen und euch einfach überraschen zu lassen. Eins sollte jedoch schon im Vorfeld gesagt sein: Yanagihara bricht Tabus, spricht Unbequemes an, treibt es sogar gern mal auf die Spitze. Wer solche Lektüre nicht mag, wird mit beiden Büchern der Autorin nicht viel anfangen können.