M: We need to have pauses and time to feel – I like actually the moment of silence the most. I feel that kind of connection in these moments. In silence we can really feel that something is being shared.
D: Was bewegt dich am Leben der Anne Frank?
M: Nun, wir hatten die Pflicht, als Schulkinder dieses Buch zu lesen. So kennen wir ihre Geschichte, sogar sehr gut. Doch, wenn wir älter werden und fähig sind, aus einer Reife heraus es als Tagebuch eines 14-jährigen Mädchens in der Pubertät zu betrachten und es im Kontext dessen zu betrachten, was in der Zeit außenherum passierte, so ist die Wirkkraft nochmals stärker.
Als ich also älter war und es wieder und wieder las – tatsächlich vor unserer Entscheidung, diese Aufführung zu machen – fühlte ich, dass ich es zum Thema einer Darbietung machen wollte. Es sprach mich persönlich an. Petr und ich, beide Regisseure dieses Stücks, hatten entschlossen, ein Solostück zu machen, das sehr persönlich für mich ist – Theater muss für mich immer persönlich sein. Es muss etwas geben, dass ich mit dem Publikum teilen kann.
D: Es ist sehr intim.
M: Sehr intim, genau. Es ist eine Geschichte, die uns immer und immer wieder erzählt werden muss. Sie ist wunderschön und handelt im Allgemeinen von Menschlichkeit. Besonders die subtilen Alltagserfahrungen dieses 14-jährigen pubertierenden Mädchens mochte ich sehr.
D: Das ist doch das Eigentliche, was uns interessiert. Gingen die Holländer nach der deutschen Invasion am nächsten Tag ganz normal wieder in die Arbeit? Wie hat es jeder persönlich empfunden?
Als ich ein Interview mit einem jüdischem Magazin in Washington machte, fragten sie mich nach dem Vergleich eines US-Stücks zu Anne Frank, dass die Geschichte aus einem sehr objektiven Standpunkt aus zu erzählen versucht, mit meiner Arbeit. Ich versuche jedoch, das völlige Gegenteil zu machen. Ich versuche nicht, die Geschichte zu objektivieren. Ich erzähle die Geschichte aus einem sehr subjektiven Blickwinkel. Aus Annes Blickwinkel. Sie ist sehr subjektiv. In einigen Dingen tut sie nicht recht, wie sie zum Beispiel ihre Mutter beurteilt und wie sie die Situation sieht. Doch ich wollte wirklich von ihr sprechen, statt ein perfektionistisches, geschichtlich korrektes Stück zu machen. Ich orientiere mich also am Tagebuch selbst und verwende auch, was zwischen den Zeilen steht.
D: Wir sprachen über die Einzigartigkeit der Verschmelzung von Tanz und Sprache. Als wärest du ein tanzender Text oder ein textueller Körper. Könnte der Tanz auch ohne Sprache auskommen?
M: Sicher. Es wäre womöglich abstrakter, schwieriger für ein Publikum, der Geschichte zu folgen. Doch sie könnten sich auch so identifizieren. In diesem Fall würde ich die Körperlichkeit völlig anders in Richtung Tanz ändern. Doch dies hier ist mehr am Rande vom Körpertheater, Theater und Tanz. Diese Dinge verschmelzen vielmehr. Ich habe mich entschieden, dem Text zu folgen. Der Großteil kommt aus dem Tagebuch, einen Teil haben wir selbst geschrieben. Manche Momente sind improvisiert. Es sind also wirklich alle drei Ebenen des Texteinsatzes vorhanden.
D: Ich möchte dir noch eine Frage stellen. Es geht mir um den Sound. Insbesondere um das Instrument, das Cello, das in der Mitte der Bühne steht wie der eigentliche Hauptdarsteller. Denn du bist oft am Rande der Bühne, als wärest du nicht so wichtig wie das Cello selbst.
M: Kennst du das Tagebuch, wenigstens ein bisschen?
D: Nein, tatsächlich kenne ich es gar nicht, und das ist sehr interessant für mich, aus diesem Blickwinkel über dein Stück zu schreiben.
M: Anne schreibt Briefe. Für sie persönlich ist es kein Tagebuch an sich. Es sind alles Briefe an ihre imaginäre Freundin Kitty. Sie war so einsam, also erfand sie jemanden. Alles, was sie schrieb, ist an Kitty gerichtet. Unsere Cellistin repräsentiert sie. Kitty existiert nicht in der Wirklichkeit.
D: Das Cello taucht ab in der Dunkelheit, es schwebt im Raum über der Bühne, nur ein gelbes Seitenlicht zeichnet Konturen.
M: Der Dialog passiert über die Musik. Kitty antwortet, aber nur über die Musik.
D: Ihr schreit zusammen, ihr sing zusammen.
M: Sie spiegelt meine Emotionen. Der Grund, warum Anne ein Tagebuch schrieb, war, um ihre Emotionen an jemanden zu richten. All die Körperbewegung in dem Tanzstück drückt dies aus. Ich fühle mich wie ein Zwitschervogel, nachdem jemand meine Flügel brach, der in völliger Dunkelheit gegen die Gitterstäbe stößt. Anne fühlte sich wie ein Vogel in einem Käfig. Sie träumen von jemandem, der ihre Liebe erwiedert.
D: Dieser Moment war sehr gewalttätig. Als Anne gegen die Wand schlug.
M: Diese Szene heißt “Bomben”. Als sie die Explosionen der Bomardements von draußen hörten, hatte sie solche Angst, dass sie sprang und ihren Körper gegen die Teppenstufen schlug. Um die Bomben nicht zu hören. Das war also ihre selbstverletzende Reaktion.
D: Ja, das habe ich auch gefühlt. Ich danke dir. Das war eine wunderschöne Aufführung. Die Momente waren sehr nah. Du warst dem Publikum sehr verbunden. *
Ein Interview mit Miřenka Čechová und Dominik Tresowski