Die chinesische Esskultur hat in vielen ihrer verschiedenen Formen, und auch in verschiedener Intensität und Authentizität auf der ganzen Welt ihren Platz gefunden, und sie ist auch den Menschen aus aller Welt mehr oder weniger bekannt. Eine im westlichen Ausland (mit Ausnahme vielleicht Englands) weit weniger beachtete Errungenschaft des Drachen, und gleichzeitig auch ein wichtiger Bestandteil des süßen chinesischen Lebens, ist die Teekultur.
In früherer Zeit, vor allem noch unter kaiserlicher Regierung, stellten die traditionellen Teehäuser einen Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse und einen Fixpunkt im Leben vieler Menschen dar. Dies hat auch der Schriftsteller Lao She 老舍 in seinem Bühnenstück „Teehaus“ 茶馆,eindrucksvoll beschrieben, in welchem er anhand des Teehauses und der dort ein- und ausgehenden Figuren die Entwicklung Chinas über die Jahrzehnte, beginnend von der ausgehenden Qing-Dynastie 清朝 bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts beschrieb. Lao Shes Stück gehört zu den wichtigsten Werken der modernen chinesischen Literatur. Das Lao She-Teehaus ist heute in Peking eines der wenigen verbliebenen traditionellen Teehäuser.
Im Moment sieht es auch nicht danach aus, als ob die Teehäuser eine Renaissance erleben könnten. Die Entdeckung des Kaffeetrinkens durch viele Chinesen hat dem Tee einen ernsthaften Konkurrenten beschert, zumindest was den Rang als Alltagsgetränk angeht. In den chinesischen Großstädten schießen die Starbucks-Filialen wie Pilze aus dem Boden. Kaffee ist angesagt, und gilt als spaßig. Tee ist dennoch aus dem chinesischen Alltag nicht wegzudenken.
Zuhause trinkt man ihn über den Tag verteilt, wie die Menschen im Westen Mineralwasser. Dabei werden die Teeblätter mehrmals zum Aufbrühen verwendet. Der Tee kann weiterhin als billiges Getränk beim Essen zu sich genommen, oder auch zeremoniell zelbriert werden. Guter, teurer Tee wird oft bei wichtigen Anlässen in einem solchen „zeremoniellen“ Rahmen getrunken. Oft wird aus metallnen Kannen mit meterlangen Hälsen in vielfältigen, festgelegten Einschenkbewegungen eingegossen. Bei der Teezeremonie wird der Tee normalerweise aus kleinen Tassen getrunken, die immer in drei Schlücken zu leeren sind. Gesprochen wird bei der Zeremonie nicht. Es geht rein um den Genuss des Tees. Die Teeblätter werden, wie zum Hausgebrauch auch, mehrmals zum Aufbrühen genutzt, wobei man meist davon ausgeht, dass die dritte und vierte Brühung die wohlschmeckendsten sind. Je nach Qualität des Tees variiert die Anzahl der möglichen Brühungen. Oft wird die erste Brühung nur mit wenig Wasser durchgeführt, und nicht getrunken. Sie gilt als reines Waschen des Tees. Es werden mehrere Teesorten probiert und verglichen. Mit der rechten Hand wird die Teetasse gehalten, mit der linken wird die Tasse geführt und getrunken. Wer Nachschub möchte schiebt seine Tasse zur Mitte des Tisches hin, und der Leiter der Zeremonie gießt nach. Sind die Teeblätter ausgelaugt, werden sie getauscht. Die gebrauchten Teeblätter werden bei der Zeremonie auf den Tisch gelegt, zur Betrachtung. Es ist erstaunlich, welches Volumen sie durch das Aufbrühen Erreichen, vor allem, wenn man es mit dem Volumen vergleicht, das sie in trockener Form haben.
Im Westen kann man vielleicht ansatzweise die Weinkultur mit der chinesischen Teekultur vergleichen. Wie auch zwischen Rot- und Weisswein und verschiedenen Rebsorten unterschieden wird, gibt es auch verschiedene Sorten 类 lei oder Arten 系 xi von Tee. Es gibt in der Regel drei verschiedene Herstellungsarten. Nicht fermentiert bu fajiao cha 不发酵茶, halb fermentiert ban fajiao cha 半发酵茶, oder ganz fermentiert quan fajiao cha 全发酵茶. Dann kommt die Unterteilung in 类 lei, beziehungsweise 系 xi , also in sechs verschiedene Grundarten. Im Allgemeinen wird unterschieden zwischen schwarzem Tee 红茶 hongcha (dessen Bezeichnung als schwarz jedoch nur im Westen gebräuchlich ist, und eigentlich rot bedeutet), grünem Tee 绿茶 lücha, Wulong-Tee 乌龙茶 wulongcha, weißem Tee 白茶 baicha, gelbem Tee 黄茶 huangcha und noch einmal schwarzem Tee, der diesmal auch auf Chinesisch so heißt, nämlich 黑茶 heicha. Eine vollständige Einordnung eines bestimmten Tees könnte also lauten: Nicht fermentiert > weiß > Weidiao (不发酵茶 > 白茶 > 萎凋茶).
Bestimmte Tees, aus den besten Lagen, zum Beispiel im Hochgebirge, können tausende von Euro pro Pfund Wert sein. Selbst wenn man über das Geld verfügt, kommt man meist nur über Beziehungen an solche Tees heran, da sie bei Kennern zu begehrt, und als extravagante Geschenkidee zu gefragt sind. Der Kaffee mag im Reich des Drachen, im Alltag, an Bedeutung gewonnen haben, aber trotz allem bleibt der Tee das Getränk für besondere Anlässe. Vor ein paar Jahrhunderten eroberte der Tee, durch den westlichen Imperialismus angetrieben, von China aus Indien und die westliche Welt. Vor einigen Jahren eroberte der Kaffee die Straßen Chinas. Der Tee ist deshalb noch lange nicht weg.