Das Sterben begleiten

Bernheim_AllesIstGutgegangen_coverAls Humanisten spre­chen wir uns wie selbst­ver­ständ­lich auch dafür aus, einem jedem Menschen auch die Entscheidung zu über­las­sen, ob er sein Leben been­den will. Wir spre­chen sowohl von einem selbst­be­stimm­ten Leben als auch von einem eben­sol­chen Tod. Doch wie fühlt sich Jemand, der die Konsequenzen aus die­ser Entscheidung tra­gen muss?

Dieser Frage will Emmanuèle Bernheim in ihrem Buch »Alles ist gut­ge­gan­gen« nach­ge­hen. Und das gelingt ihr bra­vou­rös. Frei von Pathos und völ­lig unsen­ti­men­tal; aber nicht gefühl­los oder gar ober­fläch­lich wird die Geschichte zweier Schwestern erzählt, die dem Wunsch ihres Vaters ent­spre­chen und die­sem dabei hel­fen, in der Schweiz sich beim Sterben hel­fen zu las­sen.

André hat ein beweg­tes und - wie es anklingt - sehr erfüll­tes Leben hin­ter sich. Er ist acht­und­acht­zig Jahre alt, als er einen Hirnschlag erlei­det, der ihn zu einem Pflegefall macht. André ist der Vater der Autorin. Und sie ist es, der er sagt: »Ich möchte, dass du mir hilfst, Schluss zu machen.« Schon allein, dass der Roman auto­bio­gra­phisch ist, bringt ein Gefühl, eine Stimmung in das Buch, dem man sich nicht ent­zie­hen kann.

Wie geht man als Angehöriger mit einer sol­chen Bitte um? Anfänglich ver­su­chen Emmanuèle und ihre Schwester Pascale (der das Buch gewid­met ist), den Wunsch ihres Vaters ein­fach nicht wahr zu neh­men. Doch das gelingt nur wenige Tage. Denn der Vater war Zeit sei­nes Lebens ein for­dern­der Mensch - und ist es auch im Alter. Und so neh­men die bei­den Schwestern die Aufgabe auf sich, das Sterben des Vaters zu ermög­li­chen.

Der Verlag schreibt über das Buch: »Mit gro­ßer Offenheit spricht sie [die Autorin] über eine sehr per­sön­li­che Entscheidung und eines der gro­ßen Tabus unse­rer Gesellschaft – sie berührt damit einen jeden von uns.« Ja, das tut das Buch. Eben gerade weil sie berich­tet, als stünde sie neben sich; als würde sie sich selbst beob­ach­ten bei dem, was sie tut. Es wird völ­lig klar, dass Emmanuèle Bernheim von dem Wunsch ihres Vaters völ­lig über­for­dert ist. Eine »unend­li­che Zumutung für die Familie« nennt es der »Waschzettel« zum Buch.

Vermutlich kann man so nur über die Zeit zwi­schen dem Wunsch eines nahen Menschen, zu ster­ben und dem Tag, an dem es geschieht, schrei­ben, wenn man es selbst so inten­siv erlebt hat (erle­ben musste?), wie es die Autorin tat. Denn zwi­schen all den Momenten des Zweifels, der Schlaflosigkeit und der Beruhigungstabletten gibt es immer wie­der auch lau­tes Lachen und wun­der­bare Momente der Nähe. Allein, wie Emmanuèle Bernheim ihren Vater beschreibt, zeugt von einer tie­fen Liebe zu ihm. »Ich betrachte sein Gesicht« heißt es auf Seite 52. »Ich habe es noch nie so oft gese­hen wie in der letz­ten Zeit. Das Gesicht mei­nes Vaters. Jedes Mal, wenn sie ein Baby sah, sagte meine Mutter: ›Es sieht aus wie André‹, und fügte hinzu: ›Eigentlich sieht jedes Baby aus wie André.‹«

Doch dane­ben berich­tet das Buch ganz sach­lich auch über die Vorbereitungen, die zu tref­fen sind, damit André sich in der Schweiz beim Sterben hel­fen las­sen kann.

Nun leben die Protagonisten des Buches in Frankreich; ich weiß also nicht, ob das, was aus jenem Land berich­tet wird, auch in unse­rem gilt.

Schon kurz vor der Abreise, als die Schwestern ihren Vater nach Bern beglei­ten wol­len, stellt sich her­aus, dass sie sich damit straf­bar machen. Sie gera­ten an eine mit­füh­lende Polizistin, die am Ende der Befragung sagt: »Ich habe letz­tes Jahr mei­nen Bruder durch eine grau­en­hafte Krebserkrankung ver­lo­ren. Wenn ich sein Leiden hätte ver­kür­zen kön­nen, glau­ben Sie mir, dann hätte ich es getan. Ich hätte das Gleiche getan wie Sie.«

Allein wird der Vater von zwei unein­ge­weih­ten Krankenwagenfahrern in die Schweiz gebracht; die bei­den Schwestern errei­chen weder ihn noch die »Dame in der Schweiz«. Über diese Stunden zu lesen über­steigt fast des Lesers Kraft. Um wie viel mehr die der Familienangehörigen? Bis dass der erlö­sende Anruf kommt: »Madame Bernheim?
Ja.
Alles ist gut­ge­gan­gen.
Ich springe auf. In mei­nem Kopf dreht sich alles.
Also, Ihr Vater war guter Dinge, er hat den ers­ten Trank aus­ge­trun­ken und dann den zwei­ten, er fand ihn bit­ter, er sagte, Champagner wäre ihm lie­ber. Wir haben Musik lau­fen las­sen, ein Quartett von Beethoven, und er ist ein­ge­schla­fen.«

Das Buch ist ein packen­der Text über das Glück des Lebens und die Freiheit zu ster­ben. Und ein jeder, der Wert auf einen selbst­be­stimm­ten Tod legt, sollte sich dar­über klar wer­den, wel­che Verantwortung er an seine Nächsten über­gibt. Das Buch »Alles ist gut­ge­gan­gen« hilft dabei, sich dar­über klar zu wer­den.

Nic

Emmanuèle Bernheim, Alles ist gut­ge­gan­gen, Hanser Berlin 2014, ISBN 3446244993, 208 Seiten, 18,90 Euro

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Nic Frank Nic Frank


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