Ein genauerer Blick auf Handelsstruktur und Genese der deutschen Exportindustrie, deren jüngste Exportoffensive maßgeblich zu dem derzeitigen Wirtschaftsaufschwung in Deutschland beigetragen hat. (Ich danke dem Blog Wirtschaftsquerschuss für die Erlaubnis zur Verwendung der Grafiken)
Seit Sommeranfang herrscht zumindest in Deutschlands Wirtschaftsredaktionen und Wirtschaftsinstituten eine regelrechte Aufschwungseuphorie. Angetrieben durch rasant wachsende Exporte kam der deutsche Konjunkturmotor bereits im zweiten Quartal dieses Jahres auf Hochtouren, als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen Flensburg und München um 2,2 % gegenüber dem Vorquartal zulegen konnte. Dies war der höchste Anstieg der deutschen Wirtschaftsleistung seit über zwei Jahrzehnten. Die Analysteneinschätzungen fielen gegenüber der Presse dementsprechend euphorisch aus: „Wahnsinn“, jubelte Mitte August der begeisterte Unicredit-Experte Alexander Koch gegenüber der Financial Times Deutschland. Als „Sommermärchen“ bezeichnete der Commerzbank Chefvolksrat Jörg Krämer die rasante Konjunkturerholung. Von einem „Aufschwung XL“ sprach auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wuchs das BIP in der BRD im zweiten Quartal um 3,7 %.
Der Aufschwung
Diese Entwicklung veranlasste die EU-Kommission am 13. September dazu, die Konjunkturprognose der Bundesrepublik für 2010 deutlich anzuheben. Demnach werde sich die deutsche Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um stolze 3,4 % erhöhen; während im Mai von Brüssel ein Anstieg von 1,2 % prognostiziert wurde. Zugleich hob die EU-Kommission auch die Prognose für die gesamte Eurozone auf 1,7 % an. Im zweiten Quartal dieses Jahres konnten alle Volkswirtschaften der Eurozone ein Wirtschaftswachstum von nur 1,0 % erzielen. Das Handelsblatt sprach bei Vorstellung dieser Prognose sogleich der Bundesrepublik die Rolle einer „Konjunkturlokomotive“ Europas zu, die an „der Spitze der großen Volkswirtschaften in Europa“ stehe.
Tatsächlich befindet sich der deutsche Aufschwung im krassen Kontrast zu der Wirtschaftsentwicklung in den meisten wichtigen Volkswirtschaften der Eurozone. Während Deutschland im zweiten Vierteljahr sein konjunkturelles „Sommermärchen“ feierte, verblieb das Wirtschaftswachstum gegenüber dem Vorquartal in Spanien (0,2%), Italien (0,4%), den Niederlanden (0,9%) und Frankreich (0,6%) im Promillebereich. Von den wichtigeren europäischen Handelspartnern der Bundesrepublik konnten nur Polen (1,1%) und Großbritannien (1,2%) – die beide nicht der Eurozone angehören – im zweiten Quartal 2010 ein größeres Wirtschaftswachstum verzeichnen. Auch die jüngste EU-Prognose geht davon aus, dass die Wirtschaft in Frankreich, Großbritannien, Italien und den Niederlanden in 2010 um weniger als zwei Prozentpunkte wachsen werde. Spanien und Griechenland werden demnach weiterhin in der Rezession verharren, zumal auch die Brüssler Bürokraten für das zweite Halbjahr mit einer deutlichen wirtschaftlichen Abkühlung rechnen.
Konjunkturlokomotive oder Bremsklotz?
Die deutsche „Konjunkturlokomotive“ scheint die übrigen Volkswirtschaften der Eurozone also nicht aus der Wirtschaftskrise zu ziehen, sondern diese eher abzuhängen. Bezeichnend ist vor allem, dass insbesondere dieser Länder weiterhin in Stagnation oder Rezession verharren (wie etwa Italien, Spanien, Frankreich), denen gegenüber die deutsche Exportwirtschaft besonders hohe Handelsüberschüsse erwirtschaftet. Es scheint, als ob sich der exportgetriebene deutsche Aufschwung - erneut! - auf Kosten der wichtigsten Importländer vollzieht.
Genau diese Vorwürfe werden in angelsächsischen Medien gegenüber der deutschen Exportindustrie geäußert: „Deutschlands Stärke schwächt Andere“, betitelte beispielsweise die Financial Times (London) einen Bericht vom 31. August, in dem vor allem auf die Zinsunterschiede – den sogenannten Spread – bei Staatsanleihen zwischen der BRD und den südeuropäischen Eurozonenländern verwiesen wurde. Die höheren Kosten bei der Begehung von Staatsanleihen würden demnach die südeuropäischen Ökonomien „in vielfältiger Weise schädigen“, vom Anstieg der Kreditkosten für Unternehmen bis zur erzwungenen Zurückhaltung bei öffentlichen Ausgaben, die vor allem in Krisenzeiten eine wichtige konjunkturelle Stütze bilden.
Noch deutlicher wurde die Nachrichtenagentur Bloomberg, die anlässlich der Publizierung der „Märchenhaften“ deutschen Wirtschaftszahlen vom zweiten Quartal die einseitige Exportorientierung der größten europäischen Volkswirtschaft als ein „Problem“ bezeichnete. Hierbei zitierte sie den Ökonomen Joseph Stiglitz: „Jeder, der glaubt, China sei ein Problem, der muss auch glauben, Deutschland sei ein Problem.“ Deutschland müsse mehr für die Binnennachfrage und Investitionstätigkeit tun, wiederholte Stiglitz die immer wieder an deutsche Politiker unter anderem von der französischen Finanzministerin Christine Lagarde oder dem US-Finanzministerium herangetragenen Mahnungen. Es gehe vor allem um die Durchsetzung höherer Löhne und die Verabschiedung weiterer Konjunkturmaßnahmen, die zu einer Belebung des Binnenmarktes beitragen würden. „Deutschlands Kritiker sagen, dass Merkels Weigerung, die heimische Ökonomie zu stärken, die Exportaussichten anderer Länder mindert, indem die Nachfrage in einem Land mit 82 Millionen Einwohnern gedämpft“ werde, resümierte Bloomberg die Vorhaltungen.
Exportoffensive auf Kosten der Lohnabhängigen
Tatsächlich verläuft der derzeitige „Aufschwung“ in denselben Bahnen, in denen vor Krisenausbruch in 2007 auch die zweifelhaften Triumphe des damaligen „Exportweltmeisters“ Deutschland erreicht wurden. Selbstverständlich werden diese Ausfuhrerfolge nicht nur durch die Defizite einer den Importländern deutscher Waren erkauft. Ermöglicht worden die Exportoffensiven deutschen Kapitals durch eine Absenkung des realen Lohnniveaus in der BRD, die zu einer im internationalen Vergleich äußerst günstigen Entwicklung der deutschen Lohnstückkosten – dem Anteil der Löhne an den Kosten einer Ware – führte. Diese Tendenz zum beständigen „Gürtel-enger-Schnallen“ bleibt bestehen. Die lohnabhängige Bevölkerung der Bundesrepublik kann auch von dem derzeitigen Aufschwung nicht profitieren: „Trotz der Konjunkturerholung haben sich viele Arbeitnehmer in den ersten Monaten dieses Jahres mit Einmalzahlungen statt dauerhafter Lohnerhöhungen zufrieden geben müssen,“ meldete am 10. September beispielsweise Welt-Online. Prozentuale Erhöhungen der Löhne, die zu einer nachhaltigen Anhebung des Lohnniveaus beitragen würden, seinen vor allem „im öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden“ erreicht worden, während die Tarifparteien in der Industrie im ersten Halbjahr 2010 „vor allem Einmalzahlungen“ vereinbart hätten, bestätigte die Frankfurter Rundschau.
Folglich verwundert es auch nicht, dass die tatsächlichen Umsätze im Einzelhandel trotz aller Aufschwungspropaganda weit unter den Erwartungen bleiben. Die Umsätze seien im Juli gegenüber dem Vormonat inflationsbereinigt um 0,3 % zurückgegangen, meldete jüngst das Statistische Bundesamt. Im Jahresvergleich stieg der Absatz im Einzelhandel um gerade mal 0,8 %. Zur Erinnerung: Im zweiten Quartal 2010 wuchs Deutschlands BIP im Jahresvergleich um 3,4 %. In dankenswerter Offenheit bekräftigte Thomas Mayer, Chefökonomen der Deutschen Bank in London, dieses Festhalten an der Strategie des Lohndumpings gegenüber Bloomberg: „Wir waren erfolgreich beim Aufbau einer der wettbewerbsfähigsten Ökonomien der Welt, warum sollten wir dieses durch ein Aufpumpen der Löhne jetzt ruinieren?“, fragte der Angestellte der Deutschen Bank, die inzwischen wohl auch die Richtlinien deutscher Tarifpolitik maßgeblich mitbestimmt.
Sondereffekte
Für das traumhafte zweite Quartal der deutschen Exportindustrie sind auch etliche Sondereffekte verantwortlich, die aber nur von kurzer Wirkungsdauer sein werden. Zum einen wirken noch die enormen staatlichen Konjunkturprogramme nach, die im Zuge der Krisenbewältigung vor allem von den USA, China, der EU und Japan aufgelegt wurden. Insgesamt beliefen sich diese Aufwendungen zur Stützung der Wirtschaft auf rund drei Billionen (3000 Milliarden) US-Dollar. Die belebenden Impulse dieser Konjunkturprogramme werden aber bald erlahmen, während die neuen, von den USA und Japan angekündigten Stützungsmaßnahmen bei Weitem nicht mehr solch gigantischen Ausmaße annehmen. Japans neues Kulturprogramm erreicht einen Umfang von knapp 100 Milliarden US-Dollar. In den USA werden weitere 350 Milliarden US-Dollar mobilisiert, wobei diese Mittel über einen sehr langen Zeitraum von bis zu 20 Jahren aufgewendet werden sollen. Wirtschaftswissenschaftler wie Joseph Stiglitz fordern deswegen immer wieder die Regierungen der EU-Zone und insbesondere Deutschland auf, die Konjunktur mit weiteren Hilfsmaßnahmen zu stützen, um den drohenden Absturz hinauszuzögern.
Zudem hat ironischerweise gerade die Krise der Eurozone, der beinahe die europäische Einheitswährung zum Opfer fiel, die deutsche Exportlokomotive auf Märkten jenseits des europäischen Währungsraums befeuert. Die Krise des Euros ging mit einer starken Abwertung der EU Währung einher, sodass deutsche Exporte in den Dollarraum und in alle anderen Währungsräume billiger wurden, die gegenüber dem schwindsüchtigen Euro aufwerteten. Auf diesem kurzzeitigen Einbruch des Euro ist gerade die Tatsache zurückzuführen, dass die deutschen Exporteure jenseits des Euroraums besonders stark zulegen konnten. Doch auch dieser Effekt lässt langsam nach. Gerade aufgrund der deutschen Exportoffensiven machte der Euro gegenüber dem Dollar – wie vielen anderen Währungen – in den letzten Monaten wieder etwas Boden gut. Letztendlich muss noch erwähnt werden, dass viele Unternehmen in der EU während der Euro-Krise sich mit Investitionen zurückhielten und auch ihre Lagerbestände kaum nachfühlten. Dies wird jetzt nachgeholt, was zu einer weiteren, kurzfristigen Belebung der Nachfrage führt.
Regionale Exportstruktur
Von einem Strategiewechsel deutscher Wirtschaftspolitik, von einer Abkehr von der aggressiven Exportorientierung deutscher Industrie – die mit Lohnkahlschlag und Prekarisierung in der BRD erkauft wird - kann also keine Rede sein. Eher ist eine Verstärkung dieser Exportausrichtung zu konstatieren. So konnten im zweiten Quartal die deutschen Exporte um 8,2 % zulegen, während der BIP ja „nur“ um 2,2 % anstieg. Im vergangenen Halbjahr wuchs der Export sogar um 17,1 Prozent auf 458,3 Milliarden Euro. Inzwischen beläuft sich folglich das Exportvolumen Deutschland auf nahezu 44 % des deutschen BIP, was tatsächlich nur noch als „Wahnsinn“ bezeichnet werden kann. Dies ist ein Wert, der von keinem anderen Land der Europäischen Union auch nur annähernd erreicht wird - mit Ausnahme des Energie-Exporteurs Norwegen. Am 9. September berichtete die Financial Times Deutschland, das die gesamten Ausfuhren Deutschlands in diesem Jahr wiederum an den Spitzenwert von 2008 heranreichen könnten, der beinahe die schwindelerregende Marke von 1000 Milliarden Euro – also eine Billion – überschritt.
Exporte und Importe der BRD, Januar 2000 bis Juli 2010
Ein erster Blick auf jüngst publiziertes statistisches Material scheint die in den deutschen Wirtschaftsmedien verbreiteten Beteuerungen zu bestätigen, wonach die jüngste deutsche Exportoffensive sich vor allem auf die „aufstrebenden Schwellenländer“ in Südostasien und Lateinamerika konzentriere. Während die Ausfuhren Deutschlands in die Europäische Union im ersten Halbjahr 2010 im Jahresvergleich um moderate 12 % zulegten in die Länder der Eurozone sogar nur um 10 % angestiegen, explodierten sie regelrecht gegenüber Asien, wo ein Absatzplus von satten 36 % erreicht werden konnte. Der Warenexport nach China konnte sogar um erstaunliche 55 % binnen eines Jahres gesteigert werden. Ähnlich überdurchschnittlich entwickelten sich Deutschlands Exporte nach Nord- und Südamerika (+ 23%) und Australien und Ozeanien (+38%). Dennoch muss berücksichtigt werden, dass Deutschland immer noch gegenüber China ein Handelsdefizit von circa neun Milliarden Euro aufweist, dass im letzten Halbjahr nur etwas verringert werden konnte.
Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass der Umfang der Deutschen Exporte nach China – wie in die Schwellenländer insgesamt – in Relation zur gesamten Eurozone immer noch relativ gering ist. Mit einem Exportvolumen von 25 Milliarden Euro lag die Volksrepublik im ersten Halbjahr gerade mal auf Platz sieben der wichtigsten Exportmärkte der Bundesrepublik. Mit Ausnahme Chinas und der USA, die für die deutsche Industrie den drittwichtigsten Absatzmarkt konstituieren, bildeten ausnahmslos europäische Volkswirtschaften die zehn wichtigsten Exportländer der deutschen Industrie. Insgesamt gingen 61,5 % aller deutschen Ausfuhren zwischen Januar und Juni 2010 in Länder der Europäischen Union. In ganz Asien (inklusive China) konnten hingegen nur 15,1 % der deutschen Exporte im gleichen Zeitraum abgesetzt werden. Auf Amerika entfallen sogar nur 10,3 %. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit den Zahlen kurz vor Krisenausbruch. Im gesamten Jahr 2007 nahmen die Länder der Europäischen Union 64,4 Prozent der deutschen Ausfuhren auf, während auf Asien 11,2 Prozent entfielen.
Erneute Etablierung europäischer Defizitkreisläufe
Trotz geringerer Wachstumsraten bildet die Europäische Union mit einem Absatz von fast 280 Milliarden Euro weiter den Hauptmarkt der deutschen Exportindustrie. Die Exporte in die Vereinigten Staaten (30,8 Milliarden Euro) und China (25,2 Milliarden Euro) bleiben knapp über, bzw. unter einem Zehntel des europäischen Exportvolumens der deutschen Volkswirtschaft. Von einer substantiellen, regionalen Neuausrichtung der deutschen Exportoffensive kann somit keine Rede sein, es finden höchstens graduelle Veränderungen statt, die kaum etwas an der hohen Abhängigkeit deutscher Exportindustrie von dem europäischen Markt ändern. Während Deutschland trotz des Booms der Exporte nach China immer noch ein Handelsdefizit mit der Volksrepublik aufweist, kann es erneut gegenüber der Eurozone enorme Handelsüberschüsse erwirtschaften. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres erwirtschafteten deutsche Konzerne einen Ausfuhrüberschuss von circa 43 Milliarden Euro gegenüber den Ländern der Eurozone. Bis Jahresende könnte sich dieser Exportüberschuss auf bis zu 90 Milliarden Euro summieren.
Diese deutsche Exportoffensive kann bekanntlich von den ökonomisch unterlegenen Ländern der Eurozone nicht abgewehrt werden, da ihnen durch die gemeinsame europäische Einheitswährung die Möglichkeit einer Währungsabwertung genommen wurde. Die Exportüberschüsse deutschen Kapitals führen zur Schuldenbildung der Importländer, wenn diese wiederum kein Exportüberschuss gegenüber anderen Volkswirtschaften ausbilden können. Dieser enormen – durch deutsche Exportüberschüsse ausgelösten - Ungleichgewichte trugen maßgeblich zur Ausbildung der schuldenfinanzierten Defizitkonjunkturen in den südeuropäischen Volkswirtschaften bei, die sich dieser deutschen Exportoffensive ausgesetzt sahen. Auch hier ist ein Vergleich mit der Lage vor Krisenausbruch in 2007 interessant: damals konnte die deutsche Exportwirtschaft einen Handelsüberschuss von satten 114 Milliarden Euro gegenüber den Ländern der Eurozone erzielen. Die Volkswirtschaften der Eurozone kamen somit in 2007 für einen Großteil des deutschen Außenhandelsüberschusses in Höhe von 195 Milliarden Euro auf. Da die Eurozone als Ganzes kein Handelsüberschusses gegenüber anderen Wirtschaftsregionen aufweist und aufwies, konnten diese deutschen Exportgewinne nur durch Verschuldung finanziert werden. Es kann aber somit konstatiert werden, dass auch hier keine substantielle Abschwächung dieses strukturellen Handelsüberschusses Deutschlands gegenüber dem Euroraum stattgefunden hat. Deutschlands Wirtschaftsoffensiven finden immer noch auf Kosten der Mitgliedsländer der Eurozone statt – dies ist weiterhin ein langfristig unhaltbarer Zustand.
Historische Genese der Exportausrichtung Deutschlands
Inzwischen wird dieser einseitige Ausrichtung der deutschen Volkswirtschaft auf den Exportsektor als eine Konstante deutscher Wirtschaftspolitik, als eine Art deutscher Wirtschaftstradition dargestellt. Dabei kann von einer derartig ins extrem getriebenen, einseitigen Zurichtung der „Deutschland AG“ auf den Export noch in den neunziger Jahren nicht gesprochen werden. Zwar war die deutsche Volkswirtschaft schon immer durch einen hohen Anteil des Außenhandels gekennzeichnet, doch fand hierbei keine Ausbildung extremer Überschüsse statt. In 1995 lag der deutsche Außenhandelsüberschuss beispielsweise bei gerade mal 43,6 Milliarden Euro, und selbst im Jahr 2000 waren es nur 59,1 Milliarden.
Doch schon vier Jahre später betrug der deutsche Außenhandelsüberschuss 156,1 Milliarden Euro, in 2007 erreichte er sogar den bisherigen historischen Rekord von 195,3 Milliarden Euro. Wie ist dieser Explosion der Außenhandelsüberschüsse auf nahezu ein Fünftel einer Billion Euro zu erklären? Des Rätsels Lösung: Am 1. Januar 1999 wurde der Euro als „Buchgeld“ eingeführt, ab Anfang 2002 als Bargeld. Ab 1999 waren also die europäischen Wechselkurse festgelegt, sie dürften sich nur innerhalb eines sehr engen Korridors bewegen. Somit griff sei 1999 der oben dargelegte ökonomische Vorteil für die – aufgrund von Lohndumping und enormen Produktivitätssteigerungen überlegene - deutsche Exportindustrie. Ökonomisch unterlegene Volkswirtschaften wie Italien, Griechenland oder Spanien konnten nicht mehr ihre Währungen abwerten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Tatsächlich erwies sich der Euro als der wichtigste Brennstoff, der die deutsche Exportmaschine in der letzten Dekade befeuerte.
Perspektive
Die deutsche Exportkonjunktur wird nur so lange weiterlaufen können, wie in anderen Regionen und Volkswirtschaften genügend Nachfrage generiert wird. Zumeist geschieht das nun durch Konjunkturprogramme, wie sie zuletzt beispielsweise in Amerika und Japan erneut aufgelegt worden. Mit Fug und Recht kann somit konstatiert werden, dass das auch das jüngste Sommermärchen der deutschen Exportindustrie auf Kosten Anderer geträumt wird: auf Kosten der lohnarbeitenden Bevölkerung in Deutschland, wie auch derjenigen Volkswirtschaften, die Deutschlands Exportüberschüsse mit Defizitbildung bezahlen. Damit geht aber auch eine extreme Abhängigkeit der BRD von den Wechselfällen der globalen Konjunkturentwicklung einher. Wie der jüngste Abschwung der deutschen Exportdynamik im Juli um 1,5% gegenüber dem Vormonat andeutet, könnte sich dieses deutsche “Sommermärchen” sehr bald als das erweisen, was es auch ist: Ein Märchen.