Das rechtsradikale Syndrom


„…In puncto Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit gleichen die Deutschen trockenen Alkoholikern, bei denen bereits beim ersten Glas der Rückfall droht und die deswegen zu vollkommener Abstinenz verurteilt sind. Der Umstand, dass die Deutschen ihre Nachkriegsdemokratie nicht im Aufstand gegen Hitler erkämpft haben, sondern sie aus den Händen ihrer ‚Besatzer‘ entgegennahmen, also ‚von oben‘ verabreicht bekamen, hat bis in die Gegenwart spürbare Folgen.

Demokratische Verkehrsformen wurden von vielen nur notdürftig und oberflächlich Entnazifizierten als Teil jener alliierten ‚Umerziehungsmaßnahmen‘  wahrgenommen, die die Deutschen als Quittung des ‚Zusammenbruchs‘ und als Folge ihrer Niederlage über sich ergehen lassen mussten. Leidlich akzeptiert wurden sie erst, als das „Wirtschaftswunder“ ein Arrangement mit ihnen erleichterte und versüßte. Wenn in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Krisen die Prämien für angepasstes Verhalten ausbleiben oder spärlicher werden, liegen deswegen in Deutschland unter einer dünnen Schicht zivilisierter Verhaltensweisen alte Denk-, Gefühls- und Vorurteilsgewohnheiten immer bereit.

Zeiten allgemeiner Verunsicherung lassen quasi reflexartig das Bedürfnis nach ündenböcken ins Kraut schießen, die man für die eigene Misere verantwortlichen machen kann. Hier kann man gar nicht früh und radikal genug Alarm schlagen. Meine Generation ist mit dem kategorischen Imperativ der Kritischen Theorie aufgewachsen, dass wir unser Denken und Handeln so auszurichten haben, dass Auschwitz sich nicht wiederholt.

Wenn ich Anzeichen zu erkennen glaube, dass sich gesellschaftlich etwas zusammenbraut, was auch nur andeutungsweise in Richtung Nazitum deutet, kann ich gar nicht anders, als schroff und hart zu reagieren. Dass das pädagogisch manchmal nicht sonderlich geschickt ist, gestehe ich Ihnen gern zu. Jemand, der sagt, er sei rechts, aber Judenverfolgung müsse nicht sein, gibt ja schon durch die Formulierung zu erkennen, dass er die Judenverfolgung lediglich für eine Geschmacksverirrung und eine Übertreibung hält. Das sind die Leute, die nicht müde werden darauf hinzuweisen, dass „an Hitler nicht alles schlecht war“, dass er „die Autobahnen gebaut und die Arbeitslosen von der Straße geholt hat“. Tut mir leid, da endet mein Differenzierungsvermögen und mein Verständnis.

Es gibt in der Tat so etwas wie ein rechtsradikales Syndrom, zu dem verschiedene „Symptome“ gehören, die ich in der von Ihnen kritisierten Passage aneinandergereiht habe. Im einzelnen kann der Rechtsradikalismus wechselnde Züge annehmen, aber dennoch zeigt sich, dass bestimmte Einzelseiten in seiner Physiognomie regelmäßig im Verein mit anderen auftreten. So ist, wer gegen Ausländer wettert, in der Regel auch gegen Schwule und für die Prügelstrafe. Es existiert hier eine sozialpsychologische Komplementarität, wonach bestimmte gesellschaftliche Affekte sich mit anderen verbinden.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch einmal sagen, dass mein Hauptanliegen war zu zeigen, dass der Nationalsozialismus kein Randgruppenphänomen gewesen ist, sondern aus der Mitte der Gesellschaft hervorgewachsen ist und dort seine Massenbasis hatte. Auch da, wo der zeitgenössische Rechtsradikalismus sich scheinbar harmlos präsentiert und sich eine gewisse Zurückhaltung auferlegt, müssen wir zeitig energisch reagieren. Es besteht nämlich die Gefahr, dass angesichts der sich zuspitzenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus das rechtsradikale Potenzial sich verstärkt und radikalisiert…”

Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/150120_Leserbriefe.pdf


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