Das Opfer, das Opfer erbringen sollten

Um die Opfer kümmere man sich so gut wie nicht, ist eine berüchtigte Sentenz der Jetztzeit. Man hört es oft, liest es in einschlägigen Medien regelmäßig. Dabei wird aber unterschlagen, dass Opfer sich auch wie Opfer benehmen sollten, sonst ist es mit der "gesellschaftlichen Integration" von Opfern schnell dahin, wird man zum Ex-Opfer, das nicht mehr die moralische Anerkennung erhält, die man vorab gesellschaftlich bereit war zu investieren.
Als Natascha Kampusch als junge Frau aus den Fängen ihres Entführers flüchtete, mischte sich in die Spektakelsucht der Öffentlichkeit sogleich Ablehnung. Wie konnte diese Frau so unsagbar wortgewandt und gefangen sein, so punktgenau die Episoden und Symptome ihres Martyriums benennen? Weshalb war sie nicht verstört und verdattert? Eine in sich zusammengesunkene Frau? Wieso ist sie erwachsen geworden und nicht viel infantiler in einem Erwachsenenkörper geblieben? So stellt man sich Opfer eines solchen Leidensweges doch vor: Zurückgeblieben durch Entführung und sexuelle Gewalt. Und es gab auch einen gröberen Takt an Fragestellungen: Warum ist sie nicht vorher schon geflüchtet? Wieso beschimpft sie ihren Peiniger nicht? War das nicht alles auch viel Show? Wollte da jemand einen Opferstatus erhalten, obgleich er gar kein Opfer war, sondern sich gemütlich in die Nische einrichtete, die der Täter ausersonnen hatte? Muss ein Opfer nicht hassen in seiner Schwäche und stets fluchtbereit gewesen sein?

Kampusch versuchte sich hernach im Leben. Jeder Schritt wurde kommentiert. Probierte sie sich in Liebesdingen, so hieß es schnell mit Zynismus unterlegter Scheinfreude, sie habe die Jahre im Keller aber gut überstanden. Jetzt gibt es auch noch einen Film über ihre Erlebnisse. Kulturell wertvoll wird er nicht sein. Ambitionierte Geschichten, die vorschnell ins Kino kommen, enden oft im kulturellen Nirvana, decken bloß den künstlerischen Anspruch einer Vorabendserie ab. So viel zum Cineastischen. Aber weshalb dieser vergrätzte Ton, warum dieser Ärger darüber, da wolle jemand mit seinem Leben und seinem Leiden Geld verdienen? Abzocke mit dem Leid eines Opfers, das sie ja selbst ist? Und somit Entweihung anderer Entführungs- und Vergewaltigungsopfer? Das ganze Projekt sei deshalb so infam, weil Kampusch selbst involviert war, davon wusste und beratend zur Seite stand. Wenn es ein Film ohne Bezug in der Realität gewesen wäre - aber mit dieser Wurzel in der Wirklichkeit, da wird es einfach nur geschmacklos!
Ihr Fehler von Anbeginn ihrer Flucht war nur, dass sie nicht die Opferklischees erfüllte, die sich eine Gesellschaft wünscht. Eine Gesellschaft, die sich allenthalben entrüstet, es gäbe keinen Opferschutz. Und dann kommt ein Opfer in die Öffentlichkeit, das stark ist, das sich selbst nicht als menschlichen Müll, sondern als streitbare Person sieht, das sich sozusagen selbst schützt, selbst opferschützt - und plötzlich ist es dieser Öffentlichkeit nicht besonders recht, dass da jemand nicht an seinem Leid zerbricht. Diese Sozietät des Boulevards, die wir aus Gründen der Einfachheit immer noch Gesellschaft nennen, hat gar kein Interesse an Integration von Opfern in den Alltag. Sie will sich an schwächlichen, verbrauchten und zerbrechlichen Opfern weiden; sie will herzzerreißende Geschichten und einen Intervall des Mitfühlens und Mitleidens garantiert sehen.
Ein Opfer, das aus seiner Rolle schlüpft, ist ein Betrug an einer Öffentlichkeit, die für sich in Anspruch nimmt, Opferschutz sei ihr Metier. Sie verwechselt indessen Fragen des Opferschutzes und der -integration lediglich mit Balladen nach Strickmuster von Och, so ein armes Ding! Sie glaubt, einem Opfer stehen Poeme des Mitleides zu und deshalb habe sich ein Opfer diesen Poemen angemessen zu verhalten. Das ist das Opfer, das Opfer erbringen müssen. Kampusch entspricht diesem Dafürhalten nicht. Für sie gibt es keine Poeme, für sie gibt es nur despektierliche Verszeilen und Unverständnis.

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