Das Leid an der Kultur

Meine nächste „große“ Miszelle heißt „Leidkultur“ und beschäftigt sich, wie der Name dezent andeutet mit der „Leitkultur“ Schimäre. Aber bevor ich in medias res gehe, will ich etwas wichtiges geklärt haben: wtf ist eigentlich „Kultur“?

Ok, das waren jetzt genug Gänsefüßchen in einem Absatz. Ab hier setzt einfach eure eigenen, ok?

Als Erstsemester der Ethnologie bekommt man eben diese Frage um die Ohren gehauen. Ethnologie als Wissenschaft fremder Kulturen (jede Menge Gänsefüßchen-Material hier) beschäftigt sich mit nichts anderem. Aber wenn man meint, dass die Ethnologie, oder jede andere Kulturwissenschaft, eine griffige Definition ihres Gegenstandes hat, ist man ziemlich auf dem Holzweg. Der letzte Nebensatz war übrigens Kultur in Reinform. Aber weiter.

Als unbedarfter Student mit großen Augen und dem Wunsch, die Welt zu erklären und möglichst ein bisschen besser zu machen bekommt man erst einmal ein nettes Buch zu lesen. Das Buch heißt schlicht „Culture“ (ok, ein paar Gänsefüßchen ….) wurde von den amerikanischen Ethnologen A.L. Kroeber und C. Kluckhohn verfasst und enthält nicht weniger als 300 Definitionen von „Kultur“. Das ist Wahnsinn!, denkt sich der Erstsemester. Wahnsinn? Das ist WISSENSCHAFT!

Wenn dann der erste Schock nachgelassen hat, lernt man, dass, in der Tat, Kultur eine sehr schwammige Sache ist. Aber auch sehr konkret. Kultur umfasst Dinge (materielle Kultur), Beziehungen zwischen Menschen (Sozialkultur), Ideen (keine Idee), Sprache (Sprachkultur) und letztlich alles, was Menschen machen, denken und sie von anderen Menschen in anderen räumlichen Zusammenhängen (das ist wissenschaftlich für „Gegend“) unterscheiden.

Als Kulturwissenschaftler schaut man sich eine Gegend an. Schaut, was die Menschen dort so machen oder nicht machen oder sich gegenseitig aufs Strengste verbieten zu tun, es aber trotzdem irgendwie tun. Guckt, welche ihrer Nachbarn das machen. Man lernt, wie eine Gruppe „Cousin“ sagt, oder stellt fest, dass es für jedes Kind der Elterngeschwister andere Bezeichnungen gibt, je nachdem ob sie vom Vaterbruder, der Mutterschwester oder aus einem anderen Clan sind. Man schaut sich an, was für Körbe sie flechten oder ob sie Tupperware bevorzugen. Sieht sich ihre Fernsehprogramme an, hört ihre Musik, lacht, oder nicht, über ihre Witze. Nimmt ihre Drogen, isst ihr Essen, trinkt ihren Alkohol, notiert, was sie tun, wenn ihnen schlecht ist. Begleitet sie zur Arbeit, feiert ihre Feste, beschreibt, was sie glauben oder auch nicht. Was ihre Nachbarn von ihnen halten, was sie von ihren Nachbarn halten. Wenn man also im Grunde das Leben der Menschen eines bestimmten Ortes beschrieben hat und es vielleicht mit dem Leben bei uns, wo immer das ist, vergleicht hat man eine Kultur erfunden.

Der Ethnologe Roy Wagner hat, treffend wie ich finde, Kultur als einen Prozess beschrieben. Dieser wird von den Menschen selbst in Gang gehalten, indem sie sich über ihre Leben austauschen. Um der Komplexität ihrer Welt gerecht zu werden benutzen sie Symbole, denen sie Bedeutung geben. „Vernunft“, zum Beispiel. Was vernünftig ist, bestimmt der kulturelle Konsens. Vernunft an sich gewinnt Bedeutung durch den Wert, den eine bestimmte Kultur ihr zuweist. So ist Vernunft in Europa zum Beispiel wichtiger als in den USA, wo es andere Symbole gibt, denen mehr Bedeutung gegeben wird. Ähnlich wie Wagner haben auch der deutsche Philosoph Jürgen Habermas und der Soziologe Niklas Luhmann auf die kommunikative Erzeugung von Kultur (oder Gesellschaft via sozialer Systeme bei Luhmann) hingewiesen.

Der andere Punkt, in dem sich fast alle Kulturwissenschaftler einig sind: Kultur verändert sich andauernd. Dazu muss man eigentlich nicht mehr viel schreiben, oder? Trotzdem ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Kultur kein statisches Gebilde ist, sondern ein stetiger Prozess.

Also, Kultur.

  1. Alles, was Menschen so machen, sagen, denken im Gegensatz zu dem, was andere Menschen machen, sagen, denken. Die Grenzen, die um Menschengruppen gezogen werden, müssen irgendwie sinnvoll sein.
  2. Kulturen sind Erfindungen. Einerseits der Leute, die zu den Kulturen gehören. Andererseits der Leute, die sie beschreiben. Die Ersteren können Letztere sein.
  3. Kultur verändert sich. Mit jeder Folge neuen Folge „Dschungelcamp“, mit jeder Bundestagsrede, Rechtschreibreform, Revolution, Evolution, Devolution, Schulbuch, Theateraufführung, Windowsversion, Apple-Gadget, Kinderlied oder Blogeintrag.

Danke, dass ihr bis hier durchgehalten habt ;)



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