Das Knistern zwischen Griesgram und Sexbombe
Blutüberströmt, mit einer Schusswunde an der Brust – so findet ein Zugbegleiter einen Fahrgast im Nachtzug von Warschau nach Frankfurt am Main. Wenige Augenblicke später ist der Mann tot. War es Raubmord? Es sieht ganz danach aus. Denn als die Polizei anrückt, flüchtet ein Mann im Kamikazestil aus dem Zug und entkommt.
Der erste Fall des neuen Frankfurter Tatort-Teams Nina Kunzendorf und Joachim Król war ein Publikumsrenner: 8,73 Millionen Menschen (27,5 Prozent Marktanteil) sahen vor einem halben Jahr die Folge Eine bessere Welt. Eine Bombenquote. Und ein Hingucker, schon allein wegen Kunzendorf, die die Polizistin Conny Mey als rotzfreche Prolette mit Charme und Sexappeal gab.
Auch im neuen Fall bleibt die kürzlich mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Schauspielerin ihrer Linie treu – und irritiert die Zuschauer und Hauptkommissar Frank Steier (Król). «Wo ist denn Ihre Hose?», lautet nach minutenlangem Schweigen sein erster Satz in diesem neuen Tatort. Kollegin Mey steht nämlich nur mit einer Polizei-Jacke bekleidet vor ihm, ihre langen schlanken Beine sind nackt.
Beim Joggen erwischt
Des Rätsels Lösung: Mey war gerade beim Joggen, als sie zum Tatort gerufen wurde, hatte keine Zeit mehr zum Umziehen und ermittelt nun eben in kurzen Sporthöschen. Später kleidet sie sich wieder bunt und billig, geht Kickboxen und mit einem Soldaten (Benno Fürmann) ins Bett. Steier dagegen, der noch an den Folgen einer Stichverletzung aus dem letzten Fall sowie unter Panikattacken leidet, gibt den stummen Griesgram, verbringt die Nächte mit viel Rotwein im Büro und würde die Kollegin am liebsten auf den Mond schießen: «Sie haben einfach eine zu begrenzte Fantasie für diesen Beruf», schnauzt er sie an.
Die beiden suchen Elsa, die Frau des Ermordeten (Inka Friedrich), auf, um ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes (Stephan Grossmann) zu überbringen. Von der Hochschwangeren erfahren sie, dass ihr Ehemann Sanitäter bei der Bundeswehr in Afghanistan war, doch vor drei Jahren wegen Medikamentendiebstahls entlassen wurde. Später finden Mey und Steier heraus, dass sich der flüchtige Hauptverdächtige (Jevgenij Sitochin) und Elsas Mann aus Afghanistan kannten. Beide waren an krummen Geschäften beteiligt. Rache als Tatmotiv scheint offensichtlich. Der Fall bekommt jedoch eine neue Wendung, als plötzlich auch Feldjäger der Bundeswehr großes Interesse am Verdächtigen haben und den Fall an sich reißen wollen.
So viel Realismus war selten
Der Tote im Nachtzug ist kein gewöhnlicher Tatort. Denn das, was Autor und Regisseur Lars Kraume den Zuschauern hier bietet, hat man in dieser Krimireihe so noch nicht gesehen. In diesem Tatort wird dem Zuschauer nämlich nicht die Welt erklärt, sondern die Polizeiarbeit. Zeugenvernehmung, Ballistik, sequenzielle Tathergangsrekonstruktion. Wir lernen: Kriminalkommissar zu sein, ist ein anspruchsvolles Handwerk. Und eines, für das man mitunter einen hohen persönlichen Preis bezahlt.
Der fabelhafte Król legt seinen griesgrämigen Kripo-Routinier als die ärmste Wurst im deutschen Krimigewerbe an. Unendlich einsam, traumatisiert durch die in der ersten Folge erlittene Stichverletzung, aber zu stolz, seine Ängste einzugestehen. Daneben Kunzendorf als katzenhafte Sexbombe, kaum wiederzuerkennen, gibt sie sonst doch meist dramatische Charaktere. Hier ist sie ein Gefühlsmensch. Empathisch und immer bereit, Informationen mit einem Blowjob zu erkaufen.
Einer der Höhepunkte der Untersuchung und des Films selbst ist die Tatortanalyse. Wieder und wieder spielen die beiden Kommissare das Ereignis im Schlafwagenabteil durch, um herauszufinden, wie die Tat vor sich ging. Dabei kommt es zu prickelnden Szenen zwischen Mey und Steier, denn attraktiv findet der Kommissar seine Kollegin ja auch. Und so seufzt der sonst so stille Ermittler, während er Mey von hinten mit seinen Armen umschlingt: «Ich könnte ewig so stehen bleiben.»
Das Ende überzeugt nicht
Die Auflösung des Falls lässt den Zuschauer etwas ratlos zurück, überzeugt dieses Motiv doch nicht vollständig. Nur so viel sei verraten: Der Mörder ist nicht der Flüchtige aus dem Zug. Und Mey und Steier ziehen am Ende an einem Strang und nehmen das Recht selbst in die Hand.
Bestes Zitat: «Sie können doch nicht mit einem wildfremden Mann ins Bett steigen, nur um an Informationen ranzukommen!» (Steier/Król ist entsetzt über Meys/Kunzendorfs Ermittlungsmethoden)
Titel: Tatort – Der Tote im Nachtzug
Regie: Lars Kraume
Darsteller: Joachim Krol, Nina Kunzendorf, Benno Führmann, Inka Friedrich, Jevgenij Sitochin, Arnd Klawitter, Gerd Wameling
Sendetermin: Sonntag, 20. November 2011, 20.15 Uhr, Das Ertse
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Frankfurter «Tatort» – Das Knistern zwischen Griesgram und Sexbombe
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