Das kann auch nur mir passieren!

Liebes Internet!

Diese Woche habe ich mal wieder eine Geschichte zu erzählen, die so ausgedacht klingt, dass man sie eigentlich zu einer Kurzgeschichte verarbeiten müsste, und die geht so. Wir hatten im Herbst eine Dame in unsere Hausgemeinschaft aufgenommen, die mit aller Welt zerstritten war, keine Freunde und kein Geld hatte und dringend einen festen Wohnsitz brauchte. Wir hatten Platz in der WG und ein großes Herz.

Tja. Nach kurzer Zeit stellte sich heraus, warum die Dame mit aller Welt zerstritten ist. Sie kann einfach nicht anders. Leider stellten wir uns als Feindbild als völlig untauglich heraus, speziell ich. Denn mit mir kann man sich einfach nicht streiten. Mit Menschen, an denen mir liegt, trage ich Meinungsverschiedenheiten mit gewaltfreier Kommunikation aus, zu Menschen, die Dramen brauchen um des Dramas willen, halte ich schon seit Jahren keinen Kontakt. Zeitfresser und Energievampire sind des Autors größter Feind.

Trotzdem hatte ich in gewissen Grenzen Mitgefühl mit dieser gequälten Frau, weil ich davon ausgehe, dass jeder Mensch sein Bestes tut. Wie schrecklich muss es also sein, wenn man sich überall nur Feinde macht, aus jedem Job und jedem Vertrag rausfliegt und mit jedem Mal wird das Gefühl, Opfer zu sein und von allen gehasst zu werden, größer. Ich zahlte also noch stillschweigend den nicht überwiesenen Mietanteil der Dame aus eigener Tasche und atmete auf, als sie ihre Sachen packte und wutentbrannt auszog.

Als die Luft rein war, stellten wir allerdings fest, dass sie unseren Router und einen Fernsehreceiver mitgenommen hatte. Am toten Telefonkabel hing ein Erpresserbrief, in dem sie 500 Euro Lösegeld für die Geräte forderte, keine Polizei. Das war dann doch der Moment, in dem wir in schallendes, befreites Gelächter ausbrachen. Unser Router war entführt worden, wie absurd ist das denn!

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin dann, auch auf die Gefahr hin, dass die Entfüherin sich missachtet fühlt, nicht zur Lösegeldübergabe gegangen, sondern hab mit einem netten Serviceherren bei unserem Telefonanbieter telefoniert, der mir versprach, ganz schnell einen neuen Router zu schicken. Trotzdem waren wir für ein paar Tage von der Welt abgeschnitten. Und was soll ich sagen?

Ich hatte die entspannteste und produktivste Woche seit Jahren. Ich liebe das Internet, keine Frage, aber es frisst Zeit, wie ein Hamster auf der Suche nach Nistmaterial ein Sofakissen! Da denkt man immer, dass man konzentriert und fokussiert an seinen Texten arbeitet, aber wie oft checkt man zwischendurch das eMail-Postfach, die Blogstatistiken, die Amazon-Verkaufsränge, liest sich in einem interessanten Blog fest oder lädt “mal eben” das eBook eines Kollegen herunter …

Das Leben ohne Internet sah für mich so aus: Um acht Uhr morgens kochte ich mir meinen Tee, machte Feuer im Kamin und setzte mich an das Romanmanuskript, das ich seit zehn Jahren überarbeiten will. Und die Arbeit nahm mich ohne Ablenkungen völlig gefangen. Endlich weiß ich, wo der Roman hin will. Ich entwarf begeistert eine völlig neue Kulisse, entdeckte, wie ich den Charakteren, die mir bisher zu flach und unmotiviert schienen, Vielschichtigkeit einhauchen muss und führte noch nachts im Bett Dialoge mit meinen Figuren. Ich arbeitete mich in einen Schreibrausch, wie ich ihn ewig nicht erlebt hatte. So muss schreiben sich anfühlen, genau so, mit Leidenschaft und Besessenheit für die eigene Arbeit, alles andere ausblendend.

Als der Paketbote den neuen Router brachte, war ich tatsächlich ein bisschen enttäuscht. Aber ich habe daraus gelernt. Ich habe die Muße beim Schreiben wiederentdeckt. Überall liest man Tipps, wie man mal schnell ein paar eBooks schreiben kann, um ein passives Einkommen zu generieren, aber ich sage: Leute, lasst euch nicht hetzen! Gute Geschichten müssen reifen und wachsen. Verbringt eure Zeit lieber mit euren Romanfiguren, als mit euren Facebookfreunden oder Browsergames!

Im Nachhinein bin ich der Entführerin unseres Routers richtig dankbar, auch wenn es sicherlich nicht in ihrer Absicht lag, mir eine so große Freude zu machen. Aber ich habe wiederentdeckt, wie gut es für die eigenen Texte ist, nicht in die durchgetaktete Hektik des Internets zu verfallen, sondern das Schreiben an sich zu genießen. Nicht als zielgerichteten Akt, sondern als lustvollen Schaffensprozess. Ich hab mir jetzt einfach einen Stundenplan gemacht, um meine Arbeit besser zu strukturieren. Und ein paar Stunden am Tag habe ich jetzt der Arbeit an meinem Roman reserviert. Und zwas offline. Und danach darf ich zur Belohnung lesen, was während meiner Arbeitszeit im hektischen Internet so alles passiert ist! ;-)


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