DAS HAUS AUF DER GRENZE

DAS HAUS AUF DER GRENZE

„Er hat dir in den Teller gespuckt“, bemerkte mein Tischnachbar. Hatte ich einen ähnlichen Satz nicht bereits anderswo gehört? Ich schaute mich um. An der Theke stand der Wirt und putze Gläser. Es gab nur wenige andere Gäste. Ein paar Andere und eine alte Frau, die mir seltsam vertraut vorkam. Wo war ich und wer hatte mir in den Teller gespuckt?

Die Kneipe! Kam es mir in den Sinn. Die Kaserne, das Schlachtfeld, der Wald. Der verdammte Vierertraum, erkannte ich. Doch das mit dem Teller gehörte nicht hierhin.

„Nein“, sagte mein Tischnachbar, ein ungewaschener Geselle mit verfilztem Haar und listigen Augen. „Das hat dir Armin erzählt.“

Armin! Mir schwirrte der Kopf. Wieso wusste der Mann von der Wirklichkeit? Und wieso gerade Armin? Der saß doch im Sanatorium.

„Wieso?“, fragte ich. „Woher weißt du das?“

Der verfilzte Mann grinste. „Die Grenzen sind durchlässig in diesen Zeiten. Mal hier, mal drüben, man hat die Wahl.“

Das war keine Traumgestalt, durchzuckte es mich wie ein Blitz. Der Kerl gehörte überhaupt nicht in meinen Traum. Ein Eindringling?

„Nein, ein Wanderer“, grinste er.

„Ein Wanderer?“, staunte ich. Du wanderst zwischen den Träumen…?“

„…und der Wirklichkeit. Ein schwieriges Leben.“ Er seufzte und einen Augenblick glaubte ich einen dunklen Schatten in seinen Augen zu sehen.

„Dann kannst du diesen Traum jederzeit verlassen? Oder sitzt du auch fest wie ich?“

„Wenn die Zeit gekommen ist, ziehe ich weiter“, wich er aus.

„Dann kennst du die anderen Vier“, versuchte ich ihn auszuforschen. Um diese unglückliche Welt zu verlassen, musste man die anderen vier Orte aufsuchen, wie mir der blinde Soldat im Wald verraten hatte. Doch wo konnte ich diese vier Orte finden?

„Den einen Ort kennst du bereits.“

„Die Wirklichkeit“, stieß ich hervor. Wo diese Erkenntnis herkam, konnte ich nicht erklären.

„Gut, gut!“ Der Verfilzte grinste. Seine Augen glänzten. „Bleiben noch drei. Auch den zweiten Ort müsstest du eigentlich kennen.“

„Das Sanatorium“, sagte ich. Es war mir einfach so eingefallen, oder besser: zugefallen. „Aber wie ist das möglich? Das Sanatorium befindet sich doch in der Wirklichkeit, und dies hier ist ein Traum … oder etwa nicht?

„Zweifelsohne. Doch beim Sanatorium irrst du dich. Es befindet sich sowohl in der Wirklichkeit wie auch im Reich der Träume.“

Mir sträubten sich die Haare im Nacken. Wenn das wahr war, rückte dies Armins Aufenthalt in diesem Haus in ein ganz anderes Licht. Kein Wunder wollte er dort bleiben. Ein Haus mitten auf der Grenze. Mal war man hier, mal drüben. Ich erinnerte mich an mein Zusammentreffen mit Kinski und dem Fibonacci-Mädchen. Das Sanatorium, ein Haus zwischen zwei Welten!

„Und die beiden restlichen Orte?“, wollte ich wissen. „Befinden die sich auch im Grenzbereich?“

„Das kommt darauf an, wo du stehst“, sagte er geheimnistuerisch.

„Verdammt, ich stehe hier in diesem Traum. Mehr gibt es nicht.“ Ich war dabei meine Contenance zu verlieren, stellte ich erstaunt fest. In diesem Augenblick hörte ich Gewehrfeuer draußen vor der Tür. So nahe war noch nie gekämpft worden. Hoffentlich blieb die Kneipe verschont. Ich blickte zu dem Wirt an der Theke, doch der putzte Gläser als sei nichts geschehen. Als mein Blick wieder zurückglitt, war mein Tischnachbar verschwunden.

Was jetzt? Nur mit der Hälfte der Antworten konnte ich nichts anfangen. Wo befanden sich die restlichen zwei Orte? „Er hat dir in den Teller gespuckt“, hatte der Verfilzte gesagt. Was hatte er damit gemeint? Lag in diesem Satz der Schlüssel zu den zwei fehlenden Orten? Ich stand auf und begab mich zur Theke.

Doch da löste sich der Traum im Morgengrauen auf.

Immer wenn es interessant wird, ist Schluss. Ist euch das auch schon aufgefallen? Euer Traumperlentaucher.



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