Das Geheimnis der mentalen Stärke und die Kraft aus dem Hilfsmotor!

Problem erkannt, Ziel definiert – und jetzt? Wer vor einer großen Aufgabe steht, braucht die richtige Strategie.

Umbau in einem Fitness-Studio am Winterhuder Marktplatz in Hamburg. Auf einer Bretterwand dürfen die Besucher mit dicken bunten Filzschreibern notieren, was ihnen zum Sinn des Trainings alles einfällt. Schlichte Bekenntnisse (“Damit ich noch besser aussehe”, “Nie wieder Rückenschmerzen”) stehen neben Spruchweisheiten, bevorzugt auf Englisch: “No pain, no gain” oder “You don’t get what you want, you get what you work for”.

Arbeite hart und geh an die Schmerzgrenze – nun ja. Ganz so einfach, wie flotte Merksätze suggerieren, ist es dann doch nicht, regelmäßig und erfolgreich zu trainieren. Sicher kann es vorkommen, dass jemand, der gerade Eisen stemmt, beim Blick auf die Bretterwand-Sprüche noch ein bisschen mehr aus seinen Muskeln herausholt als sonst. Aber wie immer, wenn eine Sache anstrengend ist, reicht ein kurzer Kick nicht für längere Effekte.
So geht es beim Diäthalten und bei vielen anderen guten Vorsätzen – der erste Schwung verfliegt im Nu. Auch Sport gehört zu den Lebensbereichen, bei denen es darauf ankommt, sich wieder und wieder selbst zu motivieren. Amateure wollen ihre Fitness verbessern und vielleicht sich und anderen etwas beweisen. Profis wollen Siege erringen. Gute Sportler gelten als willens- und charakterstarke Menschen, die zeigen, was mit Disziplin, Selbstvertrauen und Optimismus möglich ist.

Positive Erinnerungen nutzen

Worin könnte das Geheimnis der mentalen Stärke liegen? In der psychologischen Fachsprache ist viel von “Selbstwirksamkeit” die Rede. Im Wesentlichen geht es um Vertrauen in das eigene Leistungsvermögen. Werner Mickler, Sportpsychologe beim Deutschen Fußball-Bund, hat damit einige Erfahrung. Er bildet in Köln angehende Trainer aus. Wie schafft man es, dass eine Mannschaft mit Schwung und Kampfgeist auch in schwierige Partien geht? Mickler sagt: “Ein guter Trainer wird zum Beispiel mit dem Spieler vorher durchgehen, was ihm alles schon mal gelungen ist, gern auch mit Videos. Das hat sich sehr bewährt.” Auch wenn auf dem Platz eine Niederlage droht, können sich die Spieler an den positiven Erinnerungen aufrichten und versuchen, das Match zu drehen.

Sprechstunde: Diese Techniken helfen bei Stress am besten

“Wir müssen vor allem daran glauben, dass wir gewinnen können”, sagt die langjährige Spitzensportlerin Verena Bentele. Im Skilanglauf und im Biathlon hat die 31-Jährige zwölf Goldmedaillen bei Paralympischen Spielen gewonnen, sie hat Germanistik und Pädagogik studiert und arbeitet nach einer systemischen Ausbildung als Coach. Von Geburt an ist sie blind, nur hell und dunkel kann sie unterscheiden.
Dass sie häufig oben auf dem Siegertreppchen stand, liege sicherlich auch daran, dass sie “ein Wettkampf-Typ” sei, sagt Bentele. Dazu gehöre “die Freude, sich mit seinen eigenen Grenzen auseinanderzusetzen”, genau wie “die Bereitschaft, Risiken einzugehen”. Erfolgserlebnisse sieht sie als Voraussetzung für weitere Erfolge – wenn es gut läuft, setzt die Selbstwirksamkeit einen erfreulichen Kreislauf in Gang.

Gemeinsam geht es einfacher

Unterstützer und Mitstreiter oder auch Ersatzhandlungen können dabei helfen, nicht nur im Sport. Wer zum Beispiel mit dem Rauchen aufhören möchte, beginnt die Tabak-Abstinenz gemeinsam mit anderen und hat sicherheitshalber immer ein Päckchen Kaugummis in der Tasche – anstelle der Zigarettenpackung. “Wenn man erst einmal nur mit einem Hilfsmotor vorankommt, wird man vielleicht bald schon stärker und schafft es auch so”, sagt Bentele.

Vor Rückschlägen und Niederlagen ist man aber nicht gefeit. Ein paar Kilo abnehmen, das geht schon. Etwas anderes ist es, sein Wunschgewicht zu halten.

Nötig ist also eine Strategie, die der menschlichen Schwäche etwas entgegensetzt. Das Psychologen-Ehepaar Gabriele Oettingen und Peter M. Gollwitzer hat ein Konzept entwickelt, das nicht nur einleuchtend klingt, sondern auch in vielen Studien erprobt worden ist. Es trägt den Namen “Mentale Kontrastierung mit Implementierungs-Intentionen” (MCII, auf Englisch “mental contrasting with implementation intentions”). Das klingt zwar sperrig, lässt sich aber Schritt für Schritt gut nachvollziehen.

In ihrem Büro an der Hamburger Universität (außerdem hat sie eine Professur an der New York University) erklärt Oettingen geduldig ihre Ergebnisse. Motivation beschreibt sie als gerichtete Energie und nennt ein schlichtes Beispiel, wie man sie bei sich und anderen erkennen kann: Jemand rennt zur Bushaltestelle; seine Motivation, den Bus zu erreichen, ist also hoch.

Ziele definieren

In ihrem Konzept nimmt Oettingen das Wünschbare und das Machbare, die beiden wichtigsten Elemente der Motivation, in den Blick. Wie wünschbar ist es, den Bus zu erreichen? Wenn es die falsche Linie ist, kann man ihn ruhig wegfahren lassen. Und falls der richtige Bus kommt, ist es überhaupt machbar, ihn zu erreichen? Oder muss man auf den nächsten warten?

Ziele, die wir uns im Alltag vornehmen, sind oft ebenso wünschenswert wie machbar. Jemand möchte abnehmen und meint es ernst. Auch die Machbarkeit ist hoch, schließlich muss man nur weniger essen. Die Frage ist, warum man es nicht schafft.

Als großen Widersacher des Erfolgs hat Oettingen ausgerechnet das positive Denken identifiziert. Wer sich allzu sehr auf die Kraft der guten Gefühle verlässt, wird leicht zum Opfer herber Enttäuschungen. “Je positiver die Leute über den Erfolg imaginieren, desto weniger erreichen sie ihn tatsächlich”, sagt die Psychologin. Sie führt eine Reihe von Studien an, die das belegen. Je optimistischer beispielsweise Patienten, die vor einer Hüftgelenksoperation stehen, darüber phantasieren, dass sie problemlos und rasch genesen werden, desto steifer bleiben sie und desto weniger Treppen können sie nach zwei Wochen steigen. Auf den schönen Tagtraum folgt das böse Erwachen.
Die Hürde bildlich vor Augen

Nun kommt ins Spiel, was Oettingen das “mentale Kontrastieren” nennt. Sie hat diese Strategie entdeckt und ihre Wirkmechanismen jahrzehntelang erforscht. Mentale Kontrastierung bedeutet: Positive Phantasien sind als Ansporn wichtig, aber man muss sich auch damit auseinandersetzen, was es in einem selbst ist, das der Wunscherfüllung entgegensteht. Nur so wird man das Hindernis überwinden. Stellt man sich diese innere Hürde dann auch noch bildlich vor, erkennt man, wie man sie überwinden und den Weg zur Wunscherfüllung gehen kann.

In einem weiteren Schritt lässt sich die Wirkung noch verstärken, durch sogenannte Wenn-dann-Pläne (in der Fachsprache “implementation intentions”). Die Forschungen dazu hat Oettingens Ehemann beigesteuert: Gollwitzer lehrt ebenfalls an der New York University, außerdem in Konstanz.
Was MCII konkret bedeutet, lässt sich an einem Beispiel zeigen: Jemand möchte regelmäßiger Sport treiben. Er wird sich also vorstellen, wie gut es sich anfühlt, fitter und schlanker zu werden (“Ich passe wieder in meine schicke Hose”) und dann sein persönliches Hindernis imaginieren (“Ich bin abends so müde”). Ein einfacher Plan (“Wenn ich abends müde bin, dann ziehe ich mir meine Sportschuhe an und laufe los”) kann helfen, dass man mit dem Sport beginnt, bevor man noch mal zum Nachdenken gekommen ist. Je mehr aus MCII eine Routine wird, umso besser.

Für ihre Methode sieht Oettingen jede Menge Anwendungsmöglichkeiten. “Welchen Wunsch habe ich für heute Abend? Ich überlege mir das oft. Will ich vielleicht etwas Schönes für die Beziehung tun? Und was hält mich eigentlich davon ab, mir diesen Wunsch zu erfüllen?”


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