Das Faustrecht kehrt zurück

Auf einen Kaffee / Foto: Christoph Baumgarten

Auf einen Kaffee / Foto: Christoph Baumgarten

Gesetze, Rechte, inter­na­tio­nale Gepflogenheiten? Wer braucht das noch? Zumindest, wenn man der Stärkere ist. Die Politik ein­fluss­rei­cher Staaten wird immer bru­ta­ler. Das zeigt die Posse um die erzwun­gene Landung von Boliviens Präsidenten Evo Morales in Wien. Die Tragikomödie zeigt auch, wie Kleinstaaten der Rückkehr des Faustrechts Vorschub leis­ten.

Ein Gerücht genügt und zahl­rei­che Mitgliedsstaaten der EU sper­ren den Luftraum für das Amtsflugzeug von Boliviens Präsident Evo Morales – wäh­rend des Fluges. Der kann zurück nach Moskau flie­gen oder in Wien lan­den. Das Flugzeug lan­det in Wien. Öster­reichs Bundespräsident Heinz Fischer wird aus dem Bett geläu­tet und gibt spä­ter an, die Bolivianer hät­ten um Landeerlaubnis wegen eines „tech­ni­schen Gebrechens“ ersucht. 13 Stunden und zahl­rei­che Verhandlungen, wohl auch von öster­rei­chi­scher Seite, spä­ter sagen Spanien und Co., der Luftraum sei wie­der offen und Morales darf wei­ter­flie­gen.

Flugraum hätte offen gehal­ten wer­den müs­sen

Der Vorgang ist uner­hört. Das Amtsflugzeug eines amtie­ren­den Präsidenten ist wohl oder übel sein Amtssitz – eine Rechtsansicht, die auch UHBP *) (Abkürzung für Unser Herr Bundespräsident) in einem Interview mit der Tageszeitung „Kurier“ ver­tritt. Amtsträger wie Amtssitz fal­len nach dem so genann­ten Völkergewohnheitsrecht unter inter­na­tio­nale Immunität. Die Immunität kann nur auf­ge­ho­ben wer­den, wenn dem Präsidenten schwere Verstöße gegen das Völkerrecht vor­ge­wor­fen wer­den. Das unbe­stä­tigte Gerücht, Morales habe (vielleicht/wahrscheinlich/ganz sicher/ man hat es von der Tante eines guten Freundes, des­sen Chef am Moskauer Flughafen war) Edward Snowden im Flugzeug mit­ge­nom­men, fällt eher nicht in die Kategorie.

Teil der Immunität ist, dass die Reise eines Staatsoberhauptes nicht behin­dert wer­den darf. Ausländische Staaten haben ihren Luftraum grund­sätz­lich und immer für Präsidenten und Präsidentinnen auf Durchreise offen zu hal­ten.

Man mag das für ein Privileg der Mächtigen hal­ten. An die­ser Kritik ist etwas dran. Allein, es gibt gute Gründe, warum das gehand­habt wird. Sonst könn­ten Staaten, die poli­ti­sche Konflikte haben, Präsidenten des Hauptkonfliktpartners ein­fach so per inter­na­tio­na­lem Haftbefehl für vogel­frei erklä­ren las­sen und ähn­li­ches. Das Chaos, das das brin­gen würde, kann man sich vor­stel­len.

Der Preis ist das inter­na­tio­nale Recht

Es spricht Bände, dass die­ses inter­na­tio­nale Prinzip ohne Not und über­ra­schend auf­ge­ho­ben wurde.  Und bei wem. Dass das auf Zuruf der USA pas­siert, liegt auf der Hand. Wer sonst hätte ein Interesse, Edward Snowden um jeden Preis ding­fest zu machen? Und sei der Preis das inter­na­tio­nale Recht.

Dass man das nur mit Nebenakteuren der Weltpolitik machen kann, liegt auf der Hand. Ein links­ge­rich­te­ter Präsident eines welt­po­li­tisch unbe­deu­ten­den süd­ame­ri­ka­ni­schen Landes – da kann man sich trauen, die Muskeln spie­len zu las­sen. Was soll pas­sie­ren? Die schlimmste Folge sind diplo­ma­ti­sche Noten ans US-Außenministerium, die in nicht mehr diplo­ma­ti­scher Sprache abge­fasst sind. Da wer­den sich die US-Amerikaner aber fürch­ten…

Schon bei Mexiko hätte man sich das nicht getraut

Schon beim mexi­ka­ni­schen Präsidenten hät­ten sich weder USA noch Verbündete getraut. Mexiko ist ein Wirtschaftspartner. Das nächste Handelsabkommen wird bestimmt irgendwo ver­han­delt. Von Brasilien ganz zu schwei­gen. Man darf auch wet­ten: Wäre Morales ein faschis­ti­scher süd­ame­ri­ka­ni­scher Putschist und nicht ein demo­kra­tisch gewähl­ter Präsident mit lin­ken Ansichten, nichts wäre pas­siert. Dann wäre er immer­hin ein poten­ti­el­ler Verbündeter. Allein, so wie die Dinge ste­hen: Einem Kämpfer gegen das kolo­niale Erbe Südamerikas wird‘s der Westen wohl noch zei­gen dür­fen. Auch das spielt bei den Ereignissen eine Rolle. Es riecht nach Kolonialismus.

Welche Rolle spielte Öster­reich?

Nach außen hin hat sich die Republik Öster­reich vor­nehm zurück gehal­ten und vor allem UHBP hat ver­mit­telt. Auch Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) wird den einen oder ande­ren Anruf getä­tigt haben, spielte aber eher eine Nebenrolle. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gefiel sich in pro­vin­zi­el­ler Kraftmeierei und behaup­tete: Dass Morales in Wien habe lan­den dür­fen, zeige, dass sich Öster­reich nicht vor den USA fürchte.

Die Details der Posse schei­nen Mikl-Leitners Gepolter als bloße Behauptungen zu ent­lar­ven. Die Organe der Republik haben offen­bar das gemacht, was man in Öster­reich am bes­ten kann: Sich durch­la­viert. Es liegt der Verdacht nahe, man habe sowohl neu­tra­ler Kleinstaat als auch treuer Verbündeter der USA gespielt. Möglicherweise durch­aus mit boli­via­ni­scher Unterstützung.

Eine Durchsuchung – und gleich­zei­tig doch keine

Da ist die Frage, unter wel­chen Bedingungen die Präsidentenmaschine in Wien Schwechat lan­dete. UHBP stellt die Abläufe gegen­über der Tageszeitung Kurier so dar: „Die Maschine hat wegen tech­ni­scher Probleme um Landeerlaubnis ersucht. Daher hat jemand vom Flughafenpersonal nach der Landung das Flugzeug bzw. den Piloten auf­ge­sucht, um sich nach der Art des tech­ni­schen Problems zu erkun­di­gen. Der öster­rei­chi­sche Beamte hat die Auskunft erhal­ten, dass der Defekt bereits beho­ben sei und hat bei die­ser Gelegenheit gese­hen, dass das Flugzeug leer ist. Er hat nicht unter den Sitzen nach­ge­se­hen. Es hat keine for­melle Nachschau gege­ben, aber es haben sich keine wei­te­ren Personen an Bord befun­den.“

Ein tech­ni­scher Defekt, der offen­bar nie exis­tiert hat. Wollten die Bolivianer mit der Anfrage sicher­stel­len, dass Öster­reich sie lan­den las­sen kann, ohne dass Öster­reich die USA brüs­kie­ren muss? Man darf nicht ver­ges­sen: So undi­plo­ma­tisch und unge­setz­lich das Vorgehen von Frankreich und Co war – im Prinzip hat sich die Posse immer noch im Rahmen der Diplomatie abge­spielt. Oder war die Begründung eine Bedingung, die Organe der Republik Öster­reich gestellt haben? Um eine dritte Möglichkeit ins Spiel zu brin­gen: Hat das öster­rei­chi­sche Außenministerium die Begründung im Nachhinein erfun­den? Ehrlich klingt das alles jeden­falls nicht.

Die Geschichte mit dem „öster­rei­chi­schen Beamten“ klingt auch eher nach Agentenklamotte als danach, dass sich jemand erkun­digt hätte, wel­che tech­ni­schen Gebrechen das Flugzeug hat. Warum sollte ein Flugzeugtechniker einen Blick in den Passagierraum des Flugzeugs wer­fen? War das der Versuch der Republik Öster­reich, eine ille­gale Durchsuchung des Amtsflugzeuges eines aus­län­di­schen Staatsoberhauptes durch­zu­füh­ren, zumin­dest ali­bi­hal­ber? Das Flugzeug fällt laut Völkergewohnheitsrecht eben­falls unter die Amtsimmunität eines Präsidenten und ist exter­ri­to­ria­les Gebiet. Keine Behörde der Welt (mit Ausnahme der Behörden des Herkunftslandes des Staatsoberhauptes) darf die­ses Flugzeug durch­su­chen. So ein­fach ist es. Punktum.

Wollte man, aber traute sich nicht?

Ist die Sache Ausdruck einer – schon bei­nahe kli­schee­haf­ten – öster­rei­chi­schen Schlamperei? Eigentlich wollte man, getraut hat man sich aber nicht? So schickt man einen Flugzeugtechniker hin, der im Nachhinein zu einem „öster­rei­chi­schen Beamten“ erklärt wird? Was soll das?

Natürlich kann auch das mit den Bolivianern abge­spro­chen sein. Man tut so, als ob, und kann spä­ter den Amerikanern sagen: „Wir hät­ten ja eh, im Rahmen des Möglichen halt.“ Das macht die Sache auch nicht bes­ser. Man hat bereits so getan, als würde man völ­ker­recht­li­che Prinzipien so schwam­mig aus­le­gen wie es die USA tun.

Außerdem: Was geht es die Republik Öster­reich an, ob Edward Snowden an Bord einer boli­via­ni­schen Maschine ist? Diese Amtsmaschine ist boli­via­ni­sches Staatsgebiet und Bolivien hat das Recht, auf sei­nem Territorium jeden Menschen zu beher­ber­gen, den es beher­ber­gen will. (Wieder mit Ausnahme von Menschen, denen schwere Verstöße gegen das Völkerrecht vor­ge­wor­fen wer­fen.)

Den Amerikanern hat man’s nicht gezeigt

Damit, dass man es den Amerikanern gezeigt hat, hat das gar nichts zu tun. Man hat sich offen­bar durch­la­viert. Vielleicht war es das Beste, was die Republik in der Situation tun konnte. Die ein­zige Möglichkeit, um Morales den Weiterflug zu ermög­li­chen. Fragwürdig bleibt es alle­mal. Und hat lang­fris­tige Konsequenzen.

Für die Großen gel­ten Sonderregeln

Fragwürdig ist die Sache auch im Licht von Beobachtungen, die ich 2004 als Reporter des ORF NÖ machte. Der öster­rei­chi­sche Bundespräsident Thomas Klestil war wenige Tage vor Ende sei­ner letz­ten Amtszeit ver­stor­ben. Zu sei­nem Staatsbegräbnis kamen Staatsoberhäupter und Ehrengäste aus der gan­zen Welt. Wladimir Putin reiste an. Arnold Schwarzenegger, damals Gouverneur von Kalifornien, ver­trat den amtie­ren­den US-Präsidenten George W. Bush.

Die Flugzeuge lan­de­ten alle auf einem Sonderabschnitt des Flughafens Wien. Dort, wo auch die Maschine von Morales vor weni­gen Tagen stand. Ich berich­tete über die Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen.

Es wim­melte von Polizisten der öster­rei­chi­schen Spezialeinheit Cobra, Scharfschützen auf den Dächern etc. etc. Nachvollziehbar. Gemeinsam mit Vertretern von Flughafen und teil­weise des Außenministeriums begrüß­ten sie die aus­län­di­schen Gäste und brach­ten sie durch die Schleuse im VIP-Zentrum auf öster­rei­chi­sches Staatsgebiet (der Transitbereich von Flughäfen ist bekann­ter­ma­ßen exter­ri­to­rial, ebenso die Landebahnen). Ohne Passkontrolle, ver­steht sich.

Secret Service hyper­ner­vös

Besonders zuvor­kom­mend war man Amerikanern und Russen gegen­über. Schwarzenegger flog seine Gulf Stream selbst. Agenten des Secret Service nah­men in Empfang. Die Kameras der Reporter mach­ten sie ner­vös. Zuerst woll­ten sie uns ver­scheu­chen. Das funk­tio­nierte nicht. Dann hol­ten sie einen Lieferwagen einer Cateringfirma, mit dem sie ver­such­ten, uns das Blickfeld zu blo­ckie­ren. Der Flughafen, eher inter­es­siert an posi­ti­ver PR, orga­ni­sierte für uns eine fahr­bare Leiter. Mit der konn­ten wir über die Blockade drü­ber­schauen. Die Amerikaner posi­tio­nier­ten den Wagen neu, wir stell­ten die Leiter um, um wie­der drü­ber­se­hen zu kön­nen. Dann erst grif­fen öster­rei­chi­sche Polizisten ein und erklär­ten dem Secret Service, das Ganze sei jetzt doch ein wenig über­trie­ben. Rechtlich gedeckt war das Vorgehen des Secret Service nicht.

Man darf auch davon aus­ge­hen, dass einige der Agenten Sturmgewehre und andere auto­ma­ti­sche Waffen bei sich hat­ten. Der Secret Service hat immer schwere Bewaffnung mit auf Reisen, wenn man den zahl­rei­chen inter­na­tio­na­len Berichten Glauben schen­ken darf. Es gibt kei­nen Grund, das nicht zu tun. Die Sturmgewehre hät­ten sie streng genom­men nicht haben dür­fen. Das dür­fen laut öster­rei­chi­schem Recht nur Polizei und Bundesheer. Rechtlich gese­hen sind Angehörige aus­län­di­schen Sicherheitspersonals in Öster­reich Privatpersonen. Jedem war’s egal. Da kam nie­mand auf die Idee, nach­zu­schauen.

Russische Atomcodes auf öster­rei­chi­schem Boden

Wladimir Putins Sicherheitsleute waren ent­spannt. Ich sel­ber stand keine zwei Meter von Putin ent­fernt, als er in die gepan­zerte Präsidentenlimousine stieg. Keiner sei­ner Leute hat auch nur mit dem Ohr gezuckt. Die wuss­ten schon, wo sie auf­pas­sen müs­sen und wo nicht. Direkt hin­ter Putin der Mann mit dem schwar­zen Koffer. Der, in dem die Codes für die Nuklearwaffen drin sind.

Die Codes haben auf öster­rei­chi­schem Staatsgebiet nichts ver­lo­ren. Öster­reich darf laut Staatsvertrag von 1955 keine Nuklearwaffen besit­zen (und selt­sa­mer­weise auch keine U-Boote) und darf keine bewaff­ne­ten aus­län­di­schen Truppen auf sei­nem Territorium zulas­sen. Öster­reich ist neu­tral (zumin­dest for­mal) – dar­auf hat 1955 gerade die UdSSR bestan­den.

Da lässt sich argu­men­tie­ren, dass es die Republik Öster­reich nicht zulas­sen kann und darf, dass von ihrem Gebiet aus ein Einsatzbefehl für Nuklearwaffen erteilt wird. Das hat nie­man­den geküm­mert. Der Mann mit dem schwar­zen Koffer durfte unge­hin­dert mit in die Präsidentenlimousine ein­stei­gen. Russland ist eben Großmacht.

Nicht auf­zu­schreien bedeu­tet Zustimmung

Es gibt offen­bar eine Diskrepanz zwi­schen dem, wie kleine Länder behan­delt wer­den und dem, wie große behan­delt wer­den. Die Diskrepanz zeigt sich nicht nur in der Art und Weise, wie große Länder ihre Interessen durch­set­zen. Sie zeigt sich auch im öster­rei­chi­schen Herumlavieren in der Causa Morales. Neutraler Staat und gleich­zei­tig poli­tisch Verbündeter der USA sein, das geht nicht zusam­men.

Es ist von die­sem Standpunkt gese­hen auch uner­heb­lich, ob es die Alibi-Untersuchung oder Doch-Nicht-Untersuchung von Morales‘ Amtsflugzeug gege­ben hat. Wichtig ist, dass man so tut, als habe man nach­ge­se­hen, ob Snowden an Bord ist und gleich­zei­tig behaup­tet, man habe die Exterritorialität des Flugzeugs respek­tiert. Das ist mit Verlaub eine Schmierenkomödie.

Auch im Nachhinein ver­sucht man sich durch­zu­la­vie­ren. UHBP sagt zwar, so etwas wie die Posse am Flughafen habe er nie erlebt. Aber ver­ur­teilt irgend­je­mand unmiss­ver­ständ­lich, dass auf offen­sicht­li­chen Druck der USA die Prinzipien des Völkerrechts gebro­chen wur­den?

Wer hier nicht laut auf­schreit, muss sich den Vorwurf gefal­len las­sen, die Rückkehr des Faustrechts auf die inter­na­tio­nale Bühne mit­er­mög­licht zu haben. Ob aus Opportunismus, Feigheit oder man­geln­der poli­ti­scher Vorstellungskraft, bleibt gleich.

Christoph Baumgarten


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