Das Demonstrieren der Ohnmacht

Am Wochenende haben Zehntausende gegen etwas demonstriert, das Sozialabbau genannt wird. Deutschlandweit sollen sich laut DGB 100 000 Menschen an den Aktionen beteiligt haben. Ausgerechnet die Gewerkschaften, die ja die Kürzungen und Einschränkungen für die arbeitende Bevölkerung seit Jahrzehnten ganz im Sinne der Arbeitgeber (lieber weniger Lohn, als weniger Arbeit bwz. lieber einen nicht so guten Job als keinen) moderieren, haben die Leute daran erinnert, dass es in Deutschland einfach nicht gerecht zugeht: Immer wird nur bei denen gespart, die ohnehin schon weniger haben.

Und so richteten sich die Demonstrationen gegen niedrige Löhne, Leiharbeit, die Rente mit 67 und weitere Einschnitte bei den Sozialleistungen. Und natürlich für Mindestlöhne, ein solidarisches Gesundheitssystem, eine gute Absicherung in Alter und für bessere Bildung.

Nun finde ich ja auch, dass die ganzen Einschnitte und Einsparungen schlecht für die Leute ist, und ich bin ja auch dafür, dass, wenn man schon arbeiten gehen muss, man am Ende dafür wenigstens ordentlich Geld in die Hand bekommen soll. Und natürlich sollen Kranke und Alte gut versorgt und Junge gut ausgebildet werden. Aber wie soll denn die Teilnahme an einer Demo dazu führen, dass die Leute bekommen, was sie fordern? Und wenn sie schon beim Fordern sind, warum sind sie dabei so unerträglich bescheiden?! Wird das Leben denn gleich so viel schöner, wenn man zum Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde antreten muss, wenn man seine schmale Rente schon zwei Jahre früher genießen darf und ein paar mehr junge Menschen an die Uni dürfen?

Und dann richten die Leute ihre Forderungen und Unmutsäußerungen auch noch genau an den Staat, der ihnen diese ganzen Ungerechtigkeiten und Einschnitte überhaupt erst zumutet. Die Politik hat beschlossen, sich für die Interessen der Banken, der Unternehmen, kurz “der Wirtschaft” einzusetzen und sofern in ihren Überlegungen Menschen vorkommen, handelt es sich so genannte Leistungsträger. Das sind die gut funktionierenden Geldverdiener, die die der Staat hätscheln und beschützen muss, damit sie Deutschland weiter voran bringen. Das ist und bleibt das erklärte Ziel aller Politik, und wenn das nur auf Kosten der Verlierer geht, dann geht es eben auf Kosten der Verlierer.

Es treibt einem ja schon die Tränen in die Augen, wenn ein IG-Metall-Leiter (Armin Schild) feststellt, dass es noch immer keinen Trend zu deutlichen Einkommensteigerungen geben würde, wo es doch ein Gebot des Anstandes sei, den Arbeitnehmern mehr Geld zu kommen zu lassen. Wie bitte? Ein Gebot des Anstandes? Warum vermutet er den ausgerechnet bei den Ausbeutern? Was sind die Gewerkschaften doch für Betschwestern-Vereine! Wenn die Arbeitgeber halt nicht so anständig sind, dass sie die demütigen Bitten erhören wollen, was machen wir denn da? Streiken geht ja nicht, das schadet dem Standort. Vielleicht beten?!

Und wenn Verdi-Chef Frank Bsirske sich hinstellt und sagt, dass in Deutschland eine soziale Zeitbombe ticke, die entschärft werden müsse – was meint der eigentlich damit? Wenn tatsächlich eine soziale Zeitbombe ticken würde, wäre es dann nicht besser, sie nicht zu entschärfen, damit sie irgendwann explodiert und die Revolution kommt? Warum will der eigentlich, dass man die Leute mit ein paar Zugeständnissen ans Soziale wieder einlullt und alles so weiter gehen kann, wie bisher?

So toll war es doch auch vor 5, vor 10, vor 20 Jahren nicht. Da wurde doch auch schon gegen Sozialabbau und für höhere Löhne demonstriert. Und gegen Atomkraft und gegen Krieg und so weiter. Offenbar hat es nichts genutzt, denn sonst hätte man ja langsam mal damit aufhören können. Aber nein, im Gegenteil, die Einschnitte und Zumutungen wurden immer schlimmer!

Da kann man mal sehen, was für ein treffliches Mittel so eine Demonstration doch ist. Die Leute können mal alles rauslassen, was ihnen nicht passt, und dann gehen alle artig nach Hause und es geht weiter wie bisher. Nur noch ein bisschen ungerechter und unsozialer. Wie immer.



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