Das Boot ist nie voll


Die Bundesregierung verschärft das Asylrecht, obwohl es für Einheimische und Geflüchtete genügend gute Arbeit und Wohnungen gäbe. Warum die Parole von der »begrenzten Aufnahmefähigkeit« Deutschlands falsch ist und nur der rassistischen Hetze von Pegida, AfD und NPD nützt, erklären Hans Krause und Yaak Pabst. –

Von CSU-Hardliner Horst Seehofer über Bundespräsident Gauck bis hin zu SPD-Chef Gabriel: Es vergeht nicht ein Tag an dem Politikerinnen und Politiker vor den »Grenzen der Aufnahmefähigkeit« in Deutschland warnen. Zwar hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch behauptet »Das Grundrecht auf Asyl kennt keine Obergrenze« – doch jetzt beschließt ihre Regierung die schärfste Einschränkung des Asylrechts seit 1993. Begründet wird dies vor allem damit, dass Deutschland angeblich nur eine begrenzte Zahl von Menschen aufnehmen könne und Städte und Gemeinden keinen Platz und kein Geld mehr für Flüchtlinge hätten. Doch nichts davon entspricht im Geringsten der Wahrheit. Die teilweise katastrophalen Zustände vor Ort hat die Bundesregierung selber zu verantworten. Jahrelang blieb die Bundesregierung trotz steigender Flüchtlingszahlen untätig und sorgte nicht für ausreichend Wohnraum, für genügend Schul- und Kitaplätze, für eine Gesundheitsversorgung und Zugang zu Arbeit. Jetzt wird so getan, als sei plötzlich eine Katastrophe aufgetreten, doch der aktuelle Notstand hätte durch vorausschauendes Handeln vermieden werden können. Tatsächlich müssen Flüchtlinge Katastrophen durchleben: die Katastrophen, die sie zur Flucht aus ihrer Heimat getrieben haben, die Katastrophe, hier unter freiem Himmel oder in riesigen Behelfsunterkünften hausen zu müssen, die Katastrophe, zwischen zuständigen Bürokratien hin und her geschubst zu werden. Während sich manche Kommunen trotz aller Widrigkeiten ernsthaft um Lösungen bemühen, inszenieren andere den Notstand: ein brandgefährliches Vorgehen, dass den Nährboden für die Hetze und Angriffe von lokalen Neonazi-Gruppen bietet. Dass jetzt immer mehr Kommunen sagen, sie seien mit der Unterbringung überfordert, ist nicht die Schuld der Flüchtlinge, sondern der Großen Koalition, die bis heute auf eine Politik der Abschreckung und Repression setzt.

Asylrecht: Deutschland kann mehr Flüchtlinge aufnehmen und gleichzeitig die Armut bekämpfen
Der deutsche Staat ist einer der reichsten der Welt. Niemand müsste arbeitslos oder arm sein. Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der die Grenze der Belastbarkeit von Wohnraum, Arbeit oder Bildung noch nicht annähernd erreicht sind. Politikerinnen und Politiker sprechen trotzdem von der angeblichen »Grenze der Aufnahmekapazität«, weil sie diesen Reichtum nie für die Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung eingesetzt haben und es auch weiter nicht tun wollen. Schon seit Jahren arbeiten Millionen Menschen im Niedriglohnsektor, in den Städten fehlt es an bezahlbarem Wohnraum, die Schulen und Hochschulen haben zu wenig Lehrpersonal und sind mangelhaft ausgestattet. Es gibt zu wenig Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas und Bibliotheken, Schwimmbäder und andere kommunale Einrichtungen sind von Schließung bedroht. All das ist schon seit Jahren so und hätte nie passieren müssen: Die Steuereinnahmen sprudeln, der Haushaltsüberschuss lag laut Statistischem Bundesamt im ersten Halbjahr 2015 bei 21 Milliarden Euro. Aus der europäischen Schuldenkrise ergaben sich laut dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle für den Bundeshaushalt seit 2010 Einsparungen von rund 100 Milliarden Euro. Als in der Krise 2008 die Banken vor dem Zusammenbruch gerettet wurden, beschloss der Bundestag innerhalb einer Woche ein Rettungspaket von fast 500 Milliarden Euro. Die angeblich »Beschränkte Aufnahmekapazität« soll von der tatsächlich seit Jahren stattfinden Ausplünderung der öffentlichen Haushalte ablenken. Die Zukunft der öffentlichen Daseinsvorsorge ist tatsächlich bedroht, allerdings nicht von Flüchtlingen, sondern von Reichen, Banken, Konzernen und ihrer Regierung.

Warum sind Städte und Gemeinden pleite?

Der Staat gibt Milliarden für Dinge aus, die keinem Menschen nützen und senkt Steuern für die Reichsten der Reichen. Politikerinnen und Politiker stellen die Verschuldung der Städte und Gemeinden oft als unabänderlich dar. Tatsächlich ist sie durch die Steuergesetze der Bundes- und Landesregierungen bewusst herbeigeführt und kann jederzeit verändert werden. Mit 670 Euro im Monat pro Flüchtling zahlt der Bund den Kommunen zwar viel zu wenig, um den Einwanderern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Doch beweist dieser Beschluss vom Flüchtlingsgipfel, dass die Bundesregierung den Städten und Gemeinden jederzeit helfen kann, wenn sie nur will. Angeblich fehlt den Städten das Geld, um Flüchtlinge unterzubringen. Aber gleichzeitig hat die Bundesregierung für 2016 mit 34,2 Milliarden Euro den höchsten Verteidigungshaushalt seit 1990 beschlossen. Zudem haben Merkel und Minister mit der Unternehmenssteuerreform erst 2008 das größte Steuergeschenk-Paket an die Wirtschaft seit 25 Jahren gemacht. Würden heute dieselben Steuergesetze gelten wie vor 20 Jahren, würde der Staat jedes Jahr etwa 50 Milliarden mehr Steuern einnehmen und zwar von Reichen, Banken und Konzernen. Städte und Gemeinden wurden in den letzten Jahren von CDU, SPD, Grünen und FDP ruiniert und könnten jederzeit wieder mit mehr Geld ausgestattet werden. Flüchtlinge verursachen nur geringe Kosten, verglichen mit den Steuergeschenken unter denen Kommunen seit Jahren leiden.

Es gibt genug gute Arbeit für Flüchtlinge und Einheimische

Auch nützliche und dringend zu erledigende Arbeit ist in Deutschland genug vorhanden – für Geflüchtete und Einheimische. Während Millionen Menschen über Stress und Arbeitsverdichtung klagen, weigern sich aber die Arbeitgeber neue Vollzeitstellen einzurichten, sondern laden den Beschäftigten Überstunden auf. So werden beispielsweise in keinem anderen europäischen Land mehr unbezahlte Überstunden geleistet als in Deutschland. Laut einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) wurden im vergangenen Jahr knapp 1,4 Milliarden Überstunden geleistet. Das allein entspricht nach Angaben der Bundesregierung rund 730.000 Vollzeitarbeitsplätzen. Statt immer mehr Überstunden brauchen wir eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Gleichzeitig fehlt es in Kitas, Schulen, Altersheimen und Krankenhäusern an gutem und angemessenem bezahlten Personal. Mit einem staatlichen Programm für mehr Arbeitsplätze könnten Hunderttausende Geflüchtete und Einheimische dort beschäftigt werden. Doch anstatt die Mindestlöhne zu senken, brauchen wir einen öffentlichen Beschäftigungssektor für tariflich bezahlte und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze.

Asylrecht: Können wir Millionen Flüchtlinge aufnehmen?

Ja, Deutschland ist nicht erst seit kurzem, sondern war schon immer ein Einwanderungsland. Einwanderer kommen seit Jahrhunderten in großer Zahl nach Deutschland, wurden integriert und selbst zu Einheimischen. Bereits im 19. Jahrhundert wanderten hunderttausende Polen und Italiener ins Deutsche Kaiserreich ein, allein ins Ruhrgebiet etwa 300.000 damals so genannte »Ruhrpolen«. Niemand würde heute Menschen, die Nowak, Kowalski oder Schimanski heißen, für Ausländer halten. Auch beim besten deutschen Basketballspieler Dirk Nowitzki vermutet man keinen Migrationshintergrund. Doch all diese Namen haben einen polnischen Ursprung, stammen überwiegend von Einwanderern und sind mit den Jahren zu »deutschen« Namen geworden. Die jüngere Geschichte Deutschlands zeigte vor allem nach 1945, dass es keine natürliche »Aufnahmefähigkeit« einer Gesellschaft gibt. Vielmehr war die Bereitschaft, Einwanderer aufzunehmen, immer stark davon abhängig, ob Politiker und Medien gesagt haben, dass die Einwanderung erwünscht sei oder nicht. Nach Kriegsende 1945 kamen Menschen aus den bisherigen deutschen Ostgebieten und aus Rumänien, Jugoslawien und der Tschechoslowakei als Vertriebene in die vier Besatzungszonen. Bei der ersten Volkszählung nach dem Krieg (1946) wurden 9,7 Millionen Flüchtlinge im verkleinerten und stark zerstörten Deutschland gezählt. Bei einer Gesamtbevölkerung von 65,9 Millionen waren das 15 Prozent.

Dazu kamen noch einmal über 5 Millionen »Evakuierte«, die noch während des Krieges ihre Wohnungen verloren hatten. Im späteren Westdeutschland waren 1945 41 Prozent aller Wohnungen zerstört. Die Flüchtlinge und die Ausgebombten wurden »einquartiert«, leerstehender Wohnraum wurde bis in die letzte Kammer genutzt, Notbaracken wurden gebaut. Es gab große Spannungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Neid und Missgunst beherrschte die Stimmung unter den «Alt-Bewohnern«. Aber Medien und politische Parteien und auch die Militärbehörden haben diesen Spannungen damals geschlossen entgegengewirkt. Ein anderes Beispiel sind die sogenannten Aussiedler: Einwanderer deutscher Abstammung aus der Sowjetunion, Kasachstan und Polen. In den 80er und 90er Jahren stieg ihre Zahl stark an und lag in den fünf Jahren von 1988 bis 1992 bei rund zwei Millionen. Damit war die Zahl der »Aussiedler« höher als die Zahl der Asylsuchenden (1,2 Millionen) im gleichen Zeitraum. Sie wurden im Vergleich zu Asylsuchenden bevorzugt behandelt und erhielten Erstausstattungen, Eingliederungshilfen, Bildungs- und Sprachangebote. Ein drittes Beispiel sind die Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR. Nach der Öffnung der innerdeutschen Grenze 1989 und der Vereinigung 1990 kam es zu einer drastischen Ost-West-Wanderung. Über 3 Millionen ehemalige Bewohner der DDR siedelten über in die »alten« Bundesländer. Auch dieser innere Migrationsprozess verlief weitgehend spannungsfrei. »Das Boot« war immer nur dann angeblich »voll«, wenn es sich um Flüchtlinge und Migranten handelte, denen kein deutscher Pass zugestanden wurde. Hier zeigt sich der nationalistische und rassistische Charakter der deutschen Einwanderungspolitik.

In den Flüchtlingsunterkünften ist es zu Schlägereien unter den Flüchtlingen gekommen. Sind sie gewalttätiger als Deutsche?

Nein, schuld an der Gewalt sind die menschenverachtenden Erstunterkünfte in Sporthallen, ehemaligen Baumärkten und anderen leerstehenden Gebäuden. Dort haben die Menschen keinerlei Privatsphäre und stehen unter ständiger Beobachtung: beim Umziehen, beim Waschen, bei jedem Gespräch und jeder Berührung. Mit so vielen Menschen in einer Halle ist es immer laut. Es gibt viel zu wenige Toiletten und Duschen, die immer verschmutzt sind und die medizinische Versorgung ist miserabel. Hinzu kommt, dass viele Flüchtlinge in der Unterkunft in der ständigen Angst leben, wieder in ein Leben voll Armut, Krieg und Unterdrückung abgeschoben zu werden. Außerdem haben Flüchtlinge in den Unterkünften keinerlei Recht auf Mitbestimmung. Sie können noch nicht mal gemeinsame Forderungen aufstellen wie Schüler oder Gefängnisinsassen. In Flüchtlingsheimen gibt es keine Beiräte, keine Sprecher, keinen Einfluss.

Diese von der deutschen Regierung herbeigeführten Umstände sind die Grundlage für Wut, Frustration und Aggressionen. Daraus folgen wiederum Verbrechen, die immer passieren, wenn Menschen in großer Zahl unter unmenschlichen Bedingungen zusammengepfercht werden. Als 2005 der Hurrikan »Katrina« halb New Orleans überschwemmte, sperrte die US-Armee 20.000 Flüchtlinge ins Football-Stadion der Stadt. Nach etwa einer Woche waren zwei Menschen an Krankheiten gestorben und einer hatte Selbstmord begangen. Zudem gab es zahlreiche Berichte von Zerstörungswut, Schlägereien mit schweren Verletzungen und Vergewaltigungen. Gleichzeitig ist die Berichterstattung in den Medien irreführend. Denn überwiegend sind Flüchtlinge Opfer von Gewalt und nicht Täter. ..“

Quelle und gesamter Text: http://marx21.de/asylrecht-das-boot-ist-nie-voll/


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