Das andere Katholische

Nun, da das Oberhaupt der katholischen Kirche Deutschland besucht und nebenher ein politisches Stelldichein in Berlin gibt, vernimmt man viele verschiedene Stimmen, die sich dazu bemüßigt sehen, ihre Stellung abzugrenzen. Zwei Stossrichtungen prägen hierbei den Diskurs. Beides sind dabei weniger Stoss- denn Stussrichtungen. Da sind die einen, die im Papst eine Koryphäe im Kampf gegen Ausbeutung und Unrecht wahrnehmen - und die anderen, die Religion per se für verdammenswert halten und den Katholizismus natürlich für ganz besonders (wenn es nicht gerade der Islam ist, den man mit Schimpf und Schande abtut). Religionsschmähung ist das Fach der egomnischen Mitte, aber auch unter Linken ist sie gängige Praxis. Für sie ist Religion a) langweilig und Zeitraub und b) grundsätzlich das Grundübel des menschlichen Dramas auf Erden - wohl genau in dieser Reihenfolge.

Zu einfache Wahrheiten

Das ist jedoch zu einfach um wahr sein zu können. Wahr ist sicherlich, dass die dreihundertsechste Ausgabe des römischen Bischofs, nicht unbedingt ein hartgesottener Kämpfer gegen Ausbeutung ist. Ermahnungen verteilt er zwar hin und wieder in seinen Reden und Enzykliken - hernach sitzt er aber mit den Kapitalisten dieser Welt zusammen, parliert und betreibt die Geschäfte jenes weltlichen Staates, der sich Staat Vatikanstadt nennt. Deshalb allerdings im Katholizismus ein Übel zu erblicken, das Menschen geistig knechtet und in Ketten legt, greift zu kurz. Religionskritiker räumen dem Papst so nämlich eine Rolle ein, die er sich selbst anerkannt hat; unterstreichen somit jenen Anspruch auf Oberhoheit, den sich das Papsttum stets selbst verlieh. Hier zeigt sich, dass selbst Kritiker und Ächter so weit gehen, dem Papst Absolutheitsanspruch einzuräumen - als ob nur der Papst das katholische Christentum ausmache.

Macht er aber nicht! Würde er freilich gerne - wollte er immer. Deshalb hat er sich die theologische Deutungshoheit im Vaticanum I verbürgen lassen. Kritik hat das immer auf sich gezogen. Auch heute noch. Und stets haben sich Katholiken gefunden, die das Primat des Papstes als spektakuläres Überbleibsel von 1869/1870 abtaten und sich nicht weiter darum kümmerten. In Lateinamerika beispielsweise, war der Papst von jeher zu weit weg, um Bedeutung zu erlangen - Rom musste sich schon vor Jahrhunderten damit abfinden, dass das katholische Lateinamerika nicht den Katholizismus praktizierte, den man über dem Teich gerne gesehen hätte. Synkretismen wurden somit geduldet, bei Voodoo im Dienste des Herrn wurden aus Mangel an Überwachungs- und Sanktionsmöglichkeiten beide Augen zugedrückt. Diese Ferne zu Rom blieb den Katholiken dieser Weltregion im Gedächtnis, wurde zum Gewohnheitsrecht und beschwor in den Sechzigerjahren des Zwangzigsten Jahrhunderts eine neue Theologie, die nicht an Herrschaftsstrukturen ketten, nicht knechten sollte, sondern befreien. Der angelsächsische Kapitalismus, der ins Lateinamerikanische ausstrahlte, pflasterte den Weg für diese Befreiungstheologie; ebnete den Weg für eine politische Theologie, die nicht im stillen Kämmerlein Enthaltsamkeit predigte, sondern Gerechtigkeit forderte.

Es ist eine zu einfache Wahrheit der politischen Linken, Religion und explizit den Katholizismus dafür zu tadeln, dass er Menschen in Unmündigkeit stößt. Die eine Auslegung, wie sie Rom predigt, tut das sicherlich auf die eine oder andere Weise. Überhaupt: wer so argumentiert, der argumentiert eurozentristisch, denn die katholische Welt kennt auch andere theologische Verfassungen, kennt auch eine Theologie der Befreiung, die regional bedingt, fern von Europa entstand.

Die Lebenserfahrung der Armen

Die Idee ist, um sie in einfache Worte zu kleiden, relativ banal und eigentlich, so könnte man als unbedarfter Beobachter meinen, die selbstverständliche Auslegung christlichen Denkens. An der alltäglichen Erfahrung der Armen hat sich Theologie auszurichten. Sie darf nicht das Werkzeug der Mächtigen und Reichen sein, sie gehört in die Hände von Theologen, die die Bibel dazu heranziehen, Menschen moralisch zu stärken, sie im Kampf gegen Unrecht zu einen, damit sie die tägliche Mühsal, die Ausbeutung und Ungerechtigkeit stemmen können. Diese Form des Katholischen ist auch nicht nur Labsal für die gebeutelte Seele, die Gemeinden sind basisdemokratisch strukturiert und gegenseitige Hilfe ist die Konsequenz, die theologisch aus der Bibel exegiert wird. Die Befreiungstheologie will den Mensch aus einer Welt befreien, in der Menschen über Menschen verfügen, sie ausplündern und bevormunden. Der Katholik, der befreiungstheologisch betreut wurde, ist kein treudoofer Ritus-Katholik, sondern ein zweifelnder, sich mit den Müden, den Armen, den geknechteten Massen solidarisierender Christenmensch, der getreu dem Motto Feuerbachs handelt, wonach der Mensch des Menschen Gott sei.

Vorwürfe an die zentralisierte Kirche ergeben sich hiermit von alleine. Denn sie gibt sich damit zufrieden, alte Strukturen zwar manchmal zu kritisieren, will aber daran nichts ändern. Sie macht, was Politiker in aller Welt in tumber Haltung oder verschleiernder Absicht gerne tun: den Kapitalismus schimpfen und an den Anstand der kapitalistischen Mitspieler appellieren - dass diese Menschen einfach nur die Regeln des System exzessiv praktizieren, dass sie nur Produkte sind, nicht die Handlungsführenden, ist nicht der Kern der zentralkirchlichen Kritik. Sie will Ausbeutung und Profitstreben etwas einfrieden, als ob damit wesentliche Probleme gelöst wären. Und natürlich macht der Papst der Befreiungstheologie zum Vorwurf, dass sie spaltet, Menschen aufhetzt und ihnen Flausen in den Kopf setzt. Einer der renommiertesten Befreiungstheologen, Leonardo Boff, erhielt in den Achtzigerjahren Rede- und Lehrverbot, nachdem er sich vor der Glaubenskongregation rechtfertigen musste. Damaliger Vorsitzer der Kongregation war übrigens der, der heute den Papst gibt. Leute, die die Bibel zur Befreiung heranziehen, darüber scheint sich der Papst, der angeblich so viel gegen die Ungerechtigkeit tut, ziemlich sicher zu sein, sind gefährliche Leute und sollten den Mund halten.

Religion kann nützlich sein im Kampf für eine bessere Welt

Die politische Linke sitzt zuweilen am Stammtisch, so wie man es der politischen Rechten gerne nachsagt. Links haut man dann gerne auf die Religion, die man für unnormal, überholt und gefährlich hält. Sie kann nicht einsehen, dass es im Menschen ein Programm zu geben scheint, das ihn Religion erfinden oder praktizieren läßt. Religionen wandeln sich, können mal spiritueller, mal profaner sein. (Ist denn der Konsumrausch nicht auch eine Form von arg profaner Religiosität?) Und sie sieht nicht ein, dass Religion so gefährlich wie fruchtbar sein kann - sie ist janusköpfig, wie alles im menschlichen Dasein janusköpfig ist. Man denke nur an den menschlichen Geist, der Gedichte von Rilke hervorbrachte, aber auch die Atombombe. Fruchtbar war sie, wie sie grausam war. Das frühe Christentum war durchaus ein humanitärer Fortschritt zur brutalen Götterwelt der Römer - das galt auch für den Islam, der Fürsorge und Rechtsnormen in die Wildnis arabischer Nomadenstämme brachte, später auch ins frühmittelalterlich-chaotische Spanien. Warum sollte das nicht auch für die Befreiungstheologie gelten?

Deshalb muß man nicht an Gott glauben. Man kann weltlich bleiben, muß aber anerkennen, dass auch diejenigen, die einen Gott haben, durchaus humanitären Fortschritt bewältigen können. Fortschritt zu einer besseren Welt für alle Menschen ist nicht das Metier der weltlichen Kräfte alleine. Das glauben sie nur, weil sie annehmen, Religion habe nur und ausschließlich Schaden verursacht. Das stimmt aber nicht - Religion ist nicht Religion, Katholizismus nicht Katholizismus, Islam nicht Islam. Das sollte man immer berücksichtigen, wenn man zürnt. Der Papst und seine Kamarilla haben es verdient, dass man ihrer zürnt - aber deshalb ist Religion an sich noch nicht überkommen. Ein Blick nach Lateinamerika beweist das.

Die politische Linke, die affektive Religionskritik übt, sollte es wie dereinst Feuerbach halten, der das Wesen des Christentums entblößte und den Blick darauf schärfte, dass es menschliche Attribute sind, die die religiöse Sehnsucht hintertreiben. Seine Erkenntnisse konnten ihn aber nicht trügen: der Mensch, er braucht die Religion - der eine mehr, der andere weniger. Man kann sie nicht austreiben, man muß mit ihr leben und darf sie als Kraft zur Bewältigung der gravierenden sozialen Probleme unserer Zeit, nicht aussperren. Den Männerbund Roms, sicherlich, den kann man getrost belächeln und ausklammern. Aber der steht auch nicht für das Christentum, ja nicht mal für das Katholische allgemein...


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