Das Alter der andern…

Mir scheint, die Treppen werden heute unpraktischer gebaut als früher. Sie haben mehr Stufen, und diese werden immer höher. Früher konnte man mühelos zwei Stufen auf einmal nehmen, heute nur noch eine.Heute braucht man viel kleinere Druckbuchstaben als früher. Ich muss die Zeitung immer weit weg halten, und die Ziffern auf den Münzautomaten werden immer schwerer lesbar. Es gibt Leute, die behaupten, in meinem Alter brauche man eine Brille, doch das ist barer Unsinn! Ich könnte mir die Nachrichten natürlich vorlesen lassen, aber auch das geht nicht; heute sprechen die Leute ja so leise und undeutlich, dass man sie kaum hören kann.Alles ist weiter weg. Die Entfernung zwischen meinem Haus und dem Bahnhof ist doppelt so groß geworden, und dazwischen hat man einen Hügel hingebaut, den ich früher nie gesehen habe. Dazu kommt, dass die Züge früher fahren. Ich versuche gar nicht mehr, sie im Laufschritt noch zu erreichen, da sie ohnehin abfahren, bevor ich ankomme. Man braucht auch nicht mehr die gleichen Kleiderstoffe. Die heutigen Kleider neigen dazu einzugehen, namentlich an der Taille. Und die Schuhnestel sind heute nur noch schwer erreichbar.Auch das Klima hat sich geändert. Die Winter sind kälter, die Sommer heißer geworden. Wenn man versucht, den Schnee vor der Türe wegzuschaufeln, stellt man fest, dass er viel schwerer geworden ist, als er früher war. Die Zugluft ist viel unangenehmer geworden. Das kommt gewiss von der Art, wie man heute die Fenster herstellt. Man könnte natürlich auch jeweils in ein Land mit angenehmeren Klima fahren, wenn die Reise nur nicht so weit und beschwerlich wäre.Die Leute sind heute jünger als sie zu meiner Zeit waren. Kürzlich habe ich an meiner alten Universität an einer Zusammenkunft ehemaliger Studenten teilgenommen und war entsetzt zu sehen, was für Kinder jetzt dort zugelassen werden. Ich muss allerdings gestehen, dass sie höflicher sind, als wir es seinerzeit waren. Sie haben mich respektvoll mit „Herr Doktor“ angesprochen, und einer hat sich sogar angeboten, mir über die Straße zu helfen.Umgekehrt sind die Leute meiner Generation viel älter als ich. Offenbar nähert sich meine Generation dem, was man ein „gewisses Alter“ zu nennen pflegt. Ist das aber Grund genug, dass meine früheren Studienkameraden in einem Zustand fortgeschrittener Senilität daher torkeln? Einer von ihnen hatte sich sogar so verändert, dass er mich nicht wiedererkannte …Heute früh habe ich mich im Badezimmer im Spiegel betrachtet. Und ich muss sagen: die heutigen Spiegel sind auch nicht mehr das, was die früheren waren …
Corey Ford, Dramaturge New York.
Nach der französischen Fassung „Sur le roc“, Mai 1996
Hauszeitschrift des Altersheims Home Salem, St. Legier
Deutsch von A.W. Stabel


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